Arbeitsteilung statt Spaltung
Diether Dehm über linke Wahlergebnisse und die Auseinandersetzung in der LINKEN
Allem großartigen Einsatz der Kämpfenden in Bayern und Hessen, aber auch der Wahlabend-Schönfärberroutine von Parteispitzen zum Trotz: die LINKE-Zuwächse waren wieder mal nur Bruchteile der SPDVerluste; (SPD + Linke im einst roten Hessen = 26 Prozent; die SPD verlor ca. 400 000 Stimmen, die LINKE gewann nur 20 000 dazu).
Die beiden »arbeitsorientierten« Parteien machen oft dieselben Fehler, gewinnen selten gegeneinander; weil: Sie hängen von derselben Meinungsführerschaft ab. Die eine steht zu tief in der Regierung, die andere ist zu fern dafür. Beiden fehlt realistische Gegenmacht im außerparlamentarischen Raum. Niemand aber, der sich um Leben und Arbeitskraft betrogen fühlt, wählt eine Partei nur, weil die ihm Wünsch-Dir-was vorspielt.
Statt über R2G-Luftschlösser hätten LINKE und SPD längst über »Angst vorm Altern« beraten müssen. Ein solcher Diskurs vereinte urbane Milieus mit der traditionellen Schwäche der Linken: den ländlichen. Gegen Rentenraub, Lohndumping und modische Altersdiskriminierung. Beide Parteien stehen vor der kulturellen Herausforderung, auch Jugendlichen verständlich zu machen, was da brutal schnell auf die Familienkasse und später auf sie selbst durchschlägt. Es geht um einen Glücksentwurf vom »vollwertigen dritten Lebensabschnitt« (Psychologe Lucien Seve). Zwei Drittel wohnen in Gemeinden mit unter 100 000 Einwohnern. Der Kampf für Alte dort ist auch ein Kampf ums Alter: gegen rechts.
Grüne Medienlieblinge können sich aktuell, auch zur Migration, jeden Widersinn erlauben. Kürzlich schimpfte eine hessische Wählerin am Grünen-Stand über eine Gruppenvergewaltigung durch Migranten. Der Grünen-Kandidat raunzte sie an, das könne ihr »beim Oktoberfest genauso passieren«. Am Samstag stärkten die Grünen dann Kretschmanns Abschiebelinie: »Es können nicht alle bleiben!«
Linken fällt Unlogik aber immer auf die Füße. Tabuisieren stand uns nie besonders gut. 840 Millionen Menschen hungern; alle zehn Sekunden verhungert ein Kind. Hungerprofiteure sind nur mit antiimperialistischem Kampf und einem konkre- ten Punkteplan für gerechtere Weltwirtschaft zu überwinden, weder durch Willkommenskultur noch durch Flucht.
Wähler wittern Unlogik mit Schwejkscher Schläue. Wenn zum Beispiel eine Partei einerseits den Sozialstaat propagiert, aber gleichzeitig, offene Grenzen »für alle und sofort«. Wo alle Grenz(anlag)en sofort abgerissen würden, jeder ergo seinen Steuerstandort selbst bestimmen dürfte, gäbe es keine sozialstaatliche Umverteilung mehr. Und ohne nationalstaatliche Regeln für Leistungsbezüge auch kein Tarifsystem. Und: Widersprechen sich Internationalismus und Heimat, verschont von Freihandelsterror und NATO? Heimischfühlen birgt Vergewisserung gegen Enteignung von oben. Grünen und FDP darf das zweitrangig sein. Linkeren Parteien nie.
Aber stattdessen sind sie Weltmeister beim »Spargeln«: Wo ein Kopf sich zeigt, wird er abgestochen. Talent ist halt unquotierbar. Stattdessen dolchte militantes SPD-Mittelmaß in die (vielen) Schwächen von Sigmar Gabriel. Siegreich waren sie schon bei Brandt, Steinkühler, Lafontaine u.a. Danach kam stets der große Katzenjammer. Hingegen: Jeremy Corbyn hat der Medienmeute knapp getrotzt. Zu Labours Glück!
Eine Partei, die Geschwächte mobilisieren will, darf sich selbst nicht in kleine Scheiben zerlegen. Momentan mühen sich einige zerstörerisch an Sahra Wagenknecht. Ich will nicht glauben, dass Erfolgschancen bei vorgezogenen Bundestagswahlen, die Europawahl und linke Zukunft abhängig werden von wenigen MdBs, die sich in der Fraktion gegen Sahra bewegen lassen. Hierüber sollten alle Betroffenen entscheiden: nach »Paragraf 1 Ordnung für Mitgliederentscheide«. Die, gefühlt, Tausendste fragt mich, wann wir endlich Sahra Wagenknecht als Kanzlerkandidatin aufstellen. (Klar, ich fand eine staatsmännische Ausrede.)
Die AfD streitet sich drauflos, ohne zu verlieren – solange sie angreift. Die LINKE, mit Zank längst nicht mehr im Angriff, verfeuert ihre Zuwächse in Stagnation. Schwache wählen keine Schwachen; je weiter links, desto lockerer sind ihre Bindung an bürgerliche Wahlen und ihre Sehnsucht nach Stärke durch Geschlossenheit. Sahra Wagenknecht erreicht so viele. Auf Katja Kippings Anhänger sollte auch niemand verzichten. Aus Spaltung könnte Arbeitsteilung werden; aus Verbissenheit ein heiter enttabuisierendes Mehr an Realismus.