Kernprofil linke Volkspartei
SPD-Landesvize Czyborra: Es geht um die Existenz der Sozialdemokratie
Frau Czyborra, die Hauptstadt-SPD schmiert in den Umfragen immer weiter ab. Aktuell liegt sie bei nur noch 15 Prozent. Damit wäre sie nicht einmal mehr sicher drittstärkste Partei. Wird der Landesparteitag am Wochenende Impulse für die notwendige Neuaufstellung der SPD geben?
In jedem Fall! Wir werden viele Anträge zu für Berlin wichtigen Themen beschließen. Zudem wird die Organisationspolitische Kommission die Ergebnisse ihres Berichts vorstellen, wie sich unser Landesverband strukturell erneuern kann. Wir können noch so viele tolle Thesenpapiere zur Neuaufstellung verabschieden, wenn sich das aber nicht auf der Handlungsebene der Partei widerspiegelt, ist niemandem geholfen. Die Situation der Sozialdemokratie ist bundesweit dramatisch. Darauf müssen wir schnell Antworten finden.
Vor dem Landeparteitag ist es erstaunlich ruhig in der Partei. Sogar die ewigen internen Widersacher, Parteichef Michael Müller und Fraktionsvorsitzender Raed Saleh, halten die Füße still. Auf dem Parteitag wollen sie sogar beide zum Thema »Perspektiven für Berlin« sprechen. Ist Geschlossenheit derzeit das oberste Gebot?
Von dem lähmenden persönlichen Zwist in der Partei haben alle die Nase voll. Ich glaube aber nicht, dass Geschlossenheit und innerparteilicher Frieden um jeden Preis das ist, was die SPD jetzt braucht. Stattdessen müssen wir die notwendigen Debatten über Profil und Zukunft der Partei in aller Konsequenz und mit der nötigen Solidarität führen. Alle Genossen sollten inzwischen verstanden haben, dass es um nicht weniger als die Existenz der Sozialdemokratie geht.
Beim letzten Parteitag im Juni stand der Vorsitzende Müller wegen seines Führungsstils von vielen Seiten unter Beschuss. Jetzt hört man von den Kritikern nichts mehr. Ist Müller alternativlos?
Die SPD hat in Berlin über 20 000 Mitglieder. Es mangelt uns nicht an fähigem Personal. Bei uns klebt niemand an seinem Posten. Michael
Müller hat als Parteivorsitzender und Regierender Bürgermeister schon viele wichtige Akzente gesetzt. Auch in der Bundespartei ist er präsent, seine Ideen zu Mietenpolitik und solidarischem Grundeinkommen finden über Parteigrenzen hinweg Gehör. Ich glaube, dass einige in seiner Personalie einen Sündenbock für all die Dinge suchen, die in der Hauptstadt noch nicht perfekt laufen.
561 Seiten: so umfangreich war das Antragsbuch auf einem Parteitag noch nie. Mit welchen Themen wollen die Genossen die Berliner wieder für sich gewinnen?
Ein zentrales Thema ist Europa. Die SPD muss unterstreichen, dass sie schon immer »die« Europapartei in Deutschland war. Zudem wollen wir die urbane Sicherheit in den Fokus stellen und deutlich machen, dass in-
nere und soziale Sicherheit zusammen gedacht werden müssen.
Ein Antrag sieht die Einführung von Videoüberwachung an kriminalitätsbelasteten Orten vor. Das Vorhaben ist in der SPD seit längerem umstritten. Werden Sie für den Antrag stimmen?
Ja. Die SPD ist die Partei, die sich schon immer für Sicherheit im öffentlichen Raum eingesetzt hat. Dass sich die Bürger zu jeder Tages- und Nachtzeit in ihrem Kiez und ihrer Stadt sicher fühlen können, ist ein klassischer sozialdemokratischer Wert. Es geht bei dem Antrag auch nicht darum, Berlin mit Überwachungskameras zuzupflastern, sondern diese Technik flexibel und anlassbezogen einzusetzen. Das ist sinnvoll und trägt dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen Rechnung.
Ihr Kollege im Landesvorstand, Julian Zado, hat davor gewarnt, dass die SPD die Großstädte an die Grünen verliert. Will man mit Initiativen wie die zur Legalisierung von Cannabis bewusst im Wählermilieu der Konkurrenz wildern?
Ich persönlich bin aus gesundheitspolitischer Perspektive schon lange für die Legalisierung von Cannabis. Ich sehe das auch überhaupt nicht so wahltaktisch und halte nichts davon, jeweils einen politischen Hauptgegner gemäß aktueller Umfragewerte auszumachen. Die SPD muss wieder mutig ihr Kernprofil als linke Volkspartei schärfen. Das bedeutet in einer Metropole wie Berlin vor allem, nicht nur ein ganz bestimmtes großbürgerliches Klientel anzusprechen. Als Sozialdemokraten machen wir nicht nur Politik für den S-Bahnring, sondern für die gesamte Stadt.