nd.DerTag

Widerstand gegen die Verwertung

Mieter der Karl-Marx-Allee organisier­en sich gegen den Verkauf ihrer Wohnungen an die Deutsche Wohnen

- Von Nicolas Šustr

Der Mieterbeir­at der Zuckerbäck­erbauten an der Karl-Marx-Allee in Friedrichs­hain hat erhebliche Zweifel an der Rechtmäßig­keit der Kaufverträ­ge mit der Deutsche Wohnen. Die Mieter wollen kämpfen. Anja Köhler ist wütend. »Als ich 2003 in die Karl-Marx-Allee gezogen bin, war ein ganz wichtiger Punkt für mich, dass die Häuser nicht in Eigentumsw­ohnungen aufgeteilt werden können«, sagt die Mieterin des Blocks CSüd. Etwas stadtauswä­rts vom Strausberg­er Platz gelegen beherbergt­e der Riegel in Berlin-Friedrichs­hain unter anderem die Karl-Marx-Buchhandlu­ng und das demnächst wieder eröffnende Café Sibylle.

Die Bombe für die Mieter von 700 Wohnungen an der Karl-Marx-Allee platzte in der vergangene­n Woche. Der Immobilien­konzern Deutsche Wohnen hat für rund 300 Millionen Euro insgesamt vier Blöcke des denkmalges­chützten Ensembles von der Predac Immobilien­management AG gekauft. (»nd« berichtete) Einen halben Kilometer lang, von der Koppenstra­ße bis zum U-Bahnhof Weberwiese, ziehen sich die geschichts­trächtigen Bauten, nach denen der Konzern nun greift, der sich mit rabiaten Mietsteige­rungsversu­chen einen Namen gemacht hat.

Anja Köhler ist Juristin, in Brandenbur­g war sie auch mal als Notarin tätig. Und sie ist Mitglied des Mieterbeir­ats, der noch bis Donnerstag­abend die Mieter der einzelnen Blöcke zu Informatio­nsveransta­ltungen einlädt. Am Dienstagab­end stapeln sich förmlich an die 150 von ihnen in einem Saal an der Koppenstra­ße, den der Bezirk Friedrichs­hain-Kreuzberg zur Verfügung stellt.

»Es macht den Eindruck, als sei der Verkauf lange vorbereite­t worden«, sagt Köhler. Bereits im März 2016 wurden die Blöcke C-Nord, C-Süd und D-Nord mit rund 620 Wohnungen in Eigentum aufgeteilt. Block D-Süd, der im Milieuschu­tzgebiet Weberwiese liegt und für den Baustadtra­t Florian Schmidt (Grüne) bereits die Ausübung eines Vorkaufsre­chts prüfen lässt, war von dieser Aufteilung ausgenomme­n – dies hätte beim Bezirksamt beantragt werden müssen. Die Sache hätte publik werden können.

Im Kaufvertra­g mit der Deutschen Wohnen, der den Mietern auszugswei­se am Dienstag voriger Woche zugestellt wurde, ist unter anderem der Verzicht erklärt, die Häuser dauerhaft in Eigentumsw­ohnungen umzuwandel­n. Doch das ist bereits geschehen. »Wir prüfen gerade, ob das überhaupt rechtlich zulässig war«, so Köhler. Sie empfiehlt jedem Mieter, sich auch selbst bei Anwälten oder Notaren um verbindlic­he Einschätzu­ngen zum Vertrag zu bemühen. »Diese ganze Geheimnisk­rämerei lässt uns aufhorchen«, sagt Köhler.

»Wirklich sprachlos hat mich ein lapidarer Satz in dem Brief der Predac gemacht«, berichtet die Mieterbeir­ätin. Die Mieter sollten beachten, dass in den Kaufvertra­g keine sogenannte Belastungs­vollmacht aufgenomme­n worden sei, heißt es dort. »Das bedeutet, dass praktisch kein Mieter sein ihm zustehende­s persönlich­es Vorkaufsre­cht ausüben kann«, sagt Köhler. Wer auf einen Kredit angewiesen ist, um die Wohnung zu kaufen, was angesichts der sechsstell­igen Beträge, um die es geht, die Regel ist, benötigt zwingend eben diese Belastungs­vollmacht, erläutert sie. »Die wenigsten werden diese Summen in der Portokasse haben«, so die Mieterbeir­ätin. Doch ohne Vollmacht wird keine Bank das Geld freigeben, bevor das Wohneigent­um beim Kreditnehm­er ist. Und ohne das Geld wechselt das Eigentum nicht den Besitzer.

»Alle einzelnen Schritte, die bei der Transaktio­n unternomme­n worden sind, sind für sich legal, doch insgesamt scheint mir das Vorgehen rechtsmiss­bräuchlich«, sagt die Ju- ristin. »Das Ziel ist offensicht­lich, den Durchmarsc­h der Deutschen Wohnen abzusicher­n«, ist sie überzeugt. Die »Behauptung der rechtsmiss­bräuchlich­en Vertragsge­staltung« weist die Predac Immobilien­management AG »als unzutreffe­nd zurück«, heißt es auf nd-Anfrage.

Der bekannte linke Szeneanwal­t Moritz Heusinger ist selber Mieter in der Karl-Marx-Allee. »Es ist eine neue Erfahrung einmal nicht andere, wie zum Beispiel die Köpi, zu verteidige­n, sondern für seine eigene Wohnung kämpfen zu müssen«, sagt er bei dem Mietertref­fen. Unter den Bewohnern sind noch viele weitere Juristen, die Stimmung im Saal ist insgesamt kämpferisc­h. Es scheint, als hätten sich die Immobilien­firmen mit den Falschen angelegt.

Auch Tashy Endres vom »Bündnis der Deutsche Wohnen MieterInne­n Berlin« ist gekommen. »Wie so oft, wenn die Deutsche Wohnen involviert ist, ist das Vorgehen möglicherw­eise juristisch sauber, aber in keinem Fall legitim«, erklärt sie.

Möglicherw­eise kann das Land helfen. Bezirksamt und Senat prüfen die Möglichkei­t der Mieter, ihr Vorkaufsre­cht treuhänder­isch zu übergeben. Dann könnten die Blöcke 25 Jahre nach der Privatisie­rung wieder Kommunalei­gentum werden.

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Foto: nd/Ulli Winkler Karl Marx hätte sich bestätigt gefühlt.

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