Alle Zeit der Welt am Alex vereint
1969 schuf ein DDR-Designer mit der einzigartigen Weltzeituhr ein Wahrzeichen Berlins
Die zum 20. Geburtstag der DDR auf dem Berliner Alexanderplatz aufgestellte Weltzeituhr war von ihrem Schöpfer als Symbol für Weltoffenheit erdacht. 1969 war das ein Geniestreich. Wenn in der Hauptstadt eine »Designikone« in den Rang eines Berliner Wahrzeichens erhoben wird, dann rechnet man kaum damit, dass man es mit einer alten Bekannten zu tun bekommt. So geschehen am Mittwoch im »Park Inn«-Hotel am Alexanderplatz. Und die Urania-Weltzeituhr ist nun wirklich nicht nur für Alteingesessene eine sogar gute, alte Bekannte. 2019 schlägt der Weltzeituhr ihr 50. Jahr, und aus diesem Anlass hat ihr Schöpfer, der Formgestalter und Design-Professor Erich John, die Vermarktungsrechte an Carsten Kollmeier, Chef des Berliner Start-ups »Weltzeituhr Vertriebs UG« übergeben. Die Firma stellte nun ihre Werbekampagne mit einer hochwertigen Souvenir-Linie vor.
Seit dem 30. September 1969 steht dieses Wunderwerk der Technik auf dem in den 1960er Jahre neugestalteten Alex neben dem Alexanderhaus, vis-a-vis der 2017 gebauten Polizeiwache. Und seit Jahrzehnten ist die Weltzeituhr selbst bei Ortsfremden als markanter Treffpunkt für Verabredungen dort »im Zentrum« beinahe unschlagbar. Auch wenn Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne), wie er aus gegebenem Anlass einräumte, mit der Präsentation des von der Stadt quasi neuentdeckten Wahrzeichens nicht recht zufrieden ist. »Bisher steht die Weltzeituhr ja immer wieder buchstäblich im Schatten irgendwelcher Weihnachtspyramiden oder Osterhasen«, sagte er. Gerade überwuchern die Buden des neuen Weihnachtsmarktes den Platz, doch hofft von Dassel künftig auf mehr Mitspracherechte des Bezirks bei dessen Vermarktung.
Professor John ist neben dem Stolz auf seine ganz besondere Uhr auch die noch immer nachwirkende Verwunderung darüber anzumerken, dass er damals tatsächlich den Auftrag dafür erhalten und unter den Bedingungen der DDR-Planwirtschaft auch verwirklichen konnte. »Ich habe nie damit gerechnet, dass ich 1968 mit meiner Idee einer Weltzeituhr, die ja alle bestehenden Grenzen überschreitet, überhaupt ankomme«, sagte der 86Jährige, der damals an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst Berlin-Weißensee lehrte. John war Mitglied der Planungsgruppe für die Neugestaltung des Alexanderplatzes. 1966 war man dort bei Bauarbeiten auf die Trümmer einer der 30 alten Urania-Säulen, die einst in der Stadt über Zeit und Wetter informierten, gestoßen. »Eine ›neue Urania-Säule‹ sollte nun den wissenschaftlich-technischen Fortschritt der DDR darstellen«, so John. Er beteiligte sich am Wettbewerb mit seinem außergewöhnlichen Entwurf einer Uhr, die alle 24 Zeitzonen der Welt mit 147 Städten und Regionen aller Kontinente mit ihrer jeweils aktuellen Zeit abbildet. Über allem dreht sich die Nachbildung des Sonnensystems mit den Planeten, die einmal pro Minute auf ihren Bahnen die Sonne umkreisen. »Für mich stand dabei die Zeit im Vordergrund. Wie entsteht sie, wo kommt sie her? Die Umdrehung der Erde, ihr Kreisen um die Sonne. Zudem wird sichtbar, dass durch die unterschiedliche Stellung der Achsen von Erde und Sonne die Jahreszeiten entstehen.«
John stieß wider Erwarten, wie er betonte, auf Begeisterung, durfte das Projekt – für 3000 DDR-Mark – überarbeiten und erhielt im Dezember 1968 den Auftrag, seine Weltzeituhr bis zum 20. Jahrestag der DDR zu bauen. Als Formgestalter hatte er damals schon einen guten Ruf – von ihm stammt das Design zahlreicher bekannter DDR-Produkte, darunter Rundfunkempfänger, Elektrorasierer oder etwa Lenkrad und Bedienelement der ersten Baureihen des Pkw »Wartburg 353«. Viele Schüler in der DDR dürften sein Schülermikroskop aus den Rathenower Optischen Werken (ROW) kennengelernt haben.
Bei ROW fand er Mitstreiter für den irrwitzigen Plan, binnen neun Monaten seine Idee von der Weltzeituhr zu verwirklichen. »Wir haben die Uhr mit 120 Leuten nach Feierabend gebaut.« Und er konnte für sein Vorhaben Sonderbedingungen aushandeln. Als die beiden großen Kugellager in der DDR nicht fristgerecht aufzutreiben waren, bekam er 10 000 D-Mark bewilligt, um beim Klassenfeind in Dortmund einzukaufen. Eins der benötigten Getriebe ist ein umgebautes Trabant-Original, das andere schaffte John mit seinem Skoda-Kombi vom Getriebewerk Coswig herbei. Beim Aufbau schließlich arbeiteten der VEB Stuck- und Naturstein und die Firma Kuntzsch Hand in Hand. Letztere hat auch die zerkratzten Außenbleche wiederholt restauriert – und aktualisiert immer wieder die Tafeln mit den Städtenamen.
Die Frist hat das Team um Erich John eingehalten. Knapp eine halbe Million DDR-Mark hat der Bau der zehn Meter hohen und 16 Tonnen schweren Uhr am Ende gekostet. »Am 30. September haben wir die Weltzeituhr an den damaligen Oberbürgermeister Herbert Fechner übergeben. Zuvor hatten wir uns alle gegenseitig auf die Schultern geklopft.«