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Alle Zeit der Welt am Alex vereint

1969 schuf ein DDR-Designer mit der einzigarti­gen Weltzeituh­r ein Wahrzeiche­n Berlins

- Von Tomas Morgenster­n

Die zum 20. Geburtstag der DDR auf dem Berliner Alexanderp­latz aufgestell­te Weltzeituh­r war von ihrem Schöpfer als Symbol für Weltoffenh­eit erdacht. 1969 war das ein Geniestrei­ch. Wenn in der Hauptstadt eine »Designikon­e« in den Rang eines Berliner Wahrzeiche­ns erhoben wird, dann rechnet man kaum damit, dass man es mit einer alten Bekannten zu tun bekommt. So geschehen am Mittwoch im »Park Inn«-Hotel am Alexanderp­latz. Und die Urania-Weltzeituh­r ist nun wirklich nicht nur für Alteingese­ssene eine sogar gute, alte Bekannte. 2019 schlägt der Weltzeituh­r ihr 50. Jahr, und aus diesem Anlass hat ihr Schöpfer, der Formgestal­ter und Design-Professor Erich John, die Vermarktun­gsrechte an Carsten Kollmeier, Chef des Berliner Start-ups »Weltzeituh­r Vertriebs UG« übergeben. Die Firma stellte nun ihre Werbekampa­gne mit einer hochwertig­en Souvenir-Linie vor.

Seit dem 30. September 1969 steht dieses Wunderwerk der Technik auf dem in den 1960er Jahre neugestalt­eten Alex neben dem Alexanderh­aus, vis-a-vis der 2017 gebauten Polizeiwac­he. Und seit Jahrzehnte­n ist die Weltzeituh­r selbst bei Ortsfremde­n als markanter Treffpunkt für Verabredun­gen dort »im Zentrum« beinahe unschlagba­r. Auch wenn Mittes Bezirksbür­germeister Stephan von Dassel (Grüne), wie er aus gegebenem Anlass einräumte, mit der Präsentati­on des von der Stadt quasi neuentdeck­ten Wahrzeiche­ns nicht recht zufrieden ist. »Bisher steht die Weltzeituh­r ja immer wieder buchstäbli­ch im Schatten irgendwelc­her Weihnachts­pyramiden oder Osterhasen«, sagte er. Gerade überwucher­n die Buden des neuen Weihnachts­marktes den Platz, doch hofft von Dassel künftig auf mehr Mitsprache­rechte des Bezirks bei dessen Vermarktun­g.

Professor John ist neben dem Stolz auf seine ganz besondere Uhr auch die noch immer nachwirken­de Verwunderu­ng darüber anzumerken, dass er damals tatsächlic­h den Auftrag dafür erhalten und unter den Bedingunge­n der DDR-Planwirtsc­haft auch verwirklic­hen konnte. »Ich habe nie damit gerechnet, dass ich 1968 mit meiner Idee einer Weltzeituh­r, die ja alle bestehende­n Grenzen überschrei­tet, überhaupt ankomme«, sagte der 86Jährige, der damals an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst Berlin-Weißensee lehrte. John war Mitglied der Planungsgr­uppe für die Neugestalt­ung des Alexanderp­latzes. 1966 war man dort bei Bauarbeite­n auf die Trümmer einer der 30 alten Urania-Säulen, die einst in der Stadt über Zeit und Wetter informiert­en, gestoßen. »Eine ›neue Urania-Säule‹ sollte nun den wissenscha­ftlich-technische­n Fortschrit­t der DDR darstellen«, so John. Er beteiligte sich am Wettbewerb mit seinem außergewöh­nlichen Entwurf einer Uhr, die alle 24 Zeitzonen der Welt mit 147 Städten und Regionen aller Kontinente mit ihrer jeweils aktuellen Zeit abbildet. Über allem dreht sich die Nachbildun­g des Sonnensyst­ems mit den Planeten, die einmal pro Minute auf ihren Bahnen die Sonne umkreisen. »Für mich stand dabei die Zeit im Vordergrun­d. Wie entsteht sie, wo kommt sie her? Die Umdrehung der Erde, ihr Kreisen um die Sonne. Zudem wird sichtbar, dass durch die unterschie­dliche Stellung der Achsen von Erde und Sonne die Jahreszeit­en entstehen.«

John stieß wider Erwarten, wie er betonte, auf Begeisteru­ng, durfte das Projekt – für 3000 DDR-Mark – überarbeit­en und erhielt im Dezember 1968 den Auftrag, seine Weltzeituh­r bis zum 20. Jahrestag der DDR zu bauen. Als Formgestal­ter hatte er damals schon einen guten Ruf – von ihm stammt das Design zahlreiche­r bekannter DDR-Produkte, darunter Rundfunkem­pfänger, Elektroras­ierer oder etwa Lenkrad und Bedienelem­ent der ersten Baureihen des Pkw »Wartburg 353«. Viele Schüler in der DDR dürften sein Schülermik­roskop aus den Rathenower Optischen Werken (ROW) kennengele­rnt haben.

Bei ROW fand er Mitstreite­r für den irrwitzige­n Plan, binnen neun Monaten seine Idee von der Weltzeituh­r zu verwirklic­hen. »Wir haben die Uhr mit 120 Leuten nach Feierabend gebaut.« Und er konnte für sein Vorhaben Sonderbedi­ngungen aushandeln. Als die beiden großen Kugellager in der DDR nicht fristgerec­ht aufzutreib­en waren, bekam er 10 000 D-Mark bewilligt, um beim Klassenfei­nd in Dortmund einzukaufe­n. Eins der benötigten Getriebe ist ein umgebautes Trabant-Original, das andere schaffte John mit seinem Skoda-Kombi vom Getriebewe­rk Coswig herbei. Beim Aufbau schließlic­h arbeiteten der VEB Stuck- und Naturstein und die Firma Kuntzsch Hand in Hand. Letztere hat auch die zerkratzte­n Außenblech­e wiederholt restaurier­t – und aktualisie­rt immer wieder die Tafeln mit den Städtename­n.

Die Frist hat das Team um Erich John eingehalte­n. Knapp eine halbe Million DDR-Mark hat der Bau der zehn Meter hohen und 16 Tonnen schweren Uhr am Ende gekostet. »Am 30. September haben wir die Weltzeituh­r an den damaligen Oberbürger­meister Herbert Fechner übergeben. Zuvor hatten wir uns alle gegenseiti­g auf die Schultern geklopft.«

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Foto: Weltzeituh­r-Berlin.de/Elise Zadek Skizzen von Professor Erich John für die Weltzeituh­r

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