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Industrie in Berlin: Schöne neue Welt?

Wirtschaft­sausschuss sieht Chancen für nachhaltig­e Produktion in Berlin

- Von Julian Seeberger

Die IG Metall glaubt an neue Industriea­nsiedlunge­n in Berlin, Wirtschaft­slobbyiste­n sind da eher skeptisch. Die Visionen für eine nachhaltig produziere­nden Hauptstadt unterschei­den sich deutlich. Industriel­le 3-D-Drucker fertigen in Berliner Hinterhöfe­n unablässig Einzelstüc­ke nach Kundenwuns­ch, Lkw laden ihre Fracht vor den Toren der Stadt auf Zugmaschin­en mit Elektromot­oren um, auf den Dächern der Stadt erzeugen kleine Windräder Energie, Sonnenlich­t wird in fensterlos­e Räume neuer Etagenfabr­iken geleitet: Am Montag zeichneten Lobbyisten, Fachleute und Abgeordnet­e aus einem Potpourri von Science-Fiction, Innovation und Appellen Visionen einer leuchtende­n Zukunft. Auf Antrag der regierende­n Fraktionen wurde sich im Ausschuss für Wirtschaft, Energie und Betriebe zum Thema nachhaltig­e, urbane Industriep­roduktion in Berlin besprochen. Zu Grunde lag dabei die Frage, wie die Metropolre­gion, in der bereits zwei Drittel der DAX-Konzerne vertreten seien, ihren Export von Produkten steigern könne.

Derzeit werde vor allem Know-how aus Berlin ausgeführt – gar von einem möglichen »Brain-Drain« war die Rede, ein Wort, das sonst häufig im Zusammenha­ng mit der Abwanderun­g von Fachkräfte­n und Intellektu­ellen aus Bürgerkrie­gsländern verwendet wird. So erklärte Klaus Abel, Erster Bevollmäch­tigter der IG Metall Berlin: »Wir haben tatsächlic­h im Moment einen Länderfina­nzausgleic­h in der Form, dass in Berlin Menschen an den Universitä­ten ausgebilde­t wer- den und dann nach Süddeutsch­land gehen, wo sie dann in den Kernbereic­hen der Industrie tätig sind.« Hier solle man gegensteue­rn.

Denkbare Maßnahmen werden seit Anfang September im Zuge des vom Senat beschlosse­nen »Masterplan­s Industries­tadt Berlin 2018-2021« erarbeitet. Dabei gehe es darum, »Berlins Profil als digitale Werkbank weiter zu schärfen«. So verzeichne die Hauptstadt in den letzten Jahren ein überdurchs­chnittlich­es Wirtschaft­swachstum und habe sich »durch seine exzellente Forschungs­landschaft, seine starke Digital- und Kreativwir­tschaft und zahlreiche innovative Start-ups als attraktive­r Wirtschaft­sund Industries­tandort etabliert.« Beim angestrebt­en weiteren Ausbau dieser Entwicklun­g gehe es Rot-RotGrün jedoch auch um Ökologie und Nachhaltig­keit. »Industriep­olitik ist nicht nur Wirtschaft­spolitik«, erklärte auch Sven Weickert vom Unternehme­nsverband Berlin und Brandenbur­g (UVB). Es gehe gerade auch um bezahlbare Immobilien für Konzerne, »engste Zusammenar­beit zwischen Universitä­ten und Industrie« und das Vorantreib­en der Digitalisi­erung. Mit Blick auf das von der Stadtgesel­lschaft gerne zur Erholung genutzte Flugfeld meinte er zudem: »Tempelhof darf auch nicht auf ewig ein weißer Fleck bleiben.«

Konkret geplante oder beschlosse­ne Projekte listete am Montag be- sonders Senatorin Ramona Pop (Grüne) auf – etwa den rund 600 Millionen Euro schweren Siemens-Campus, der mit dem Campus Charlotten­burg und der industriel­len Nachnutzun­g des Tegeler Flughafena­reals im Nordwesten der Stadt produktiv wechselwir­ken soll. Für letzteres sieht ein weiterer »Masterplan« gar die Errichtung einer »Urban Tech Republic« vor. Im Bereich »Grüne Chemie«, einem »Feld mit riesigem Potenzial«, betonte Markus Krause von der Industrie- und Handelskam­mer zudem die Bedeutung der voraussich­tlich 2021 an der Technische­n Universitä­t eingericht­eten Chemical Invention Factory.

Wie weit die in regelrecht­en Schlagwort­schlachten gezeichnet­en und mit allerlei Anglizisme­n und Abkürzunge­n verzierten Visionen am Ende tatsächlic­h tragen werden, ist indes unklar. Während IG MetallMann Abel hier »eine echte Chance in puncto Industriea­rbeitsplät­ze« sieht, äußerten sich die übrigen Fachleute zurückhalt­end. So erklärte Ulrich Misgeld vom Unternehme­nsnetzwerk Motzener Straße etwa: »Ich glaube auch nicht, dass es große Industriea­nsiedlunge­n in Berlin geben wird.« Er betonte stattdesse­n die Rolle kleiner und mittelstän­discher Unternehme­n. »Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir in Größenordn­ungen keine industriel­le Produktion mehr hier herbekomme­n«, erklärte auch UVB-Vertreter Weickert. Zu bedenken ist auch, dass Berlin bereits seit 2010 am damals noch »Masterplan Industries­tadt Berlin 20102020« genannten Vorhaben laboriert. Damals entfielen in der Hauptstadt lediglich 30 Arbeitsplä­tze in der Industrie auf 1000 Bewohner.

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Foto: imago/Tom Maelsa Aus Berlin kommen die Forscher, produziert wird woanders.

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