Neuer Missbrauchsvorwurf
Steckten pädophile Kirchenleute in Hildesheim unter einer Decke?
Gegen den 1988 verstorbenen Bischof von Hildesheim, Heinrich Maria Janssen, gibt es einen neuen Vorwurf sexuellen Missbrauchs. Die Aussagen des Opfers klingen glaubhaft, heißt es aus dem Bistum. Ehrfürchtig bekreuzigten sich fromme Gläubige, wenn er segnend an ihnen vorüberschritt auf seinem Weg vom bischöflichen Palais zu den weit geöffneten Bronzetüren des Hildesheimer Domes. Personifizierte klerikale Würde zog mit ihm zum sechsstimmigen Geläut in die Kathedrale. Wer Bischof Heinrich Maria Janssen so von 1957 bis 1982 erlebte, gewann den Eindruck: Hier kommt die Katholische Kirche selbst. Ihr fügt der einstige Oberhirte des fast ganz Niedersachsen umfassenden Bistums jetzt womöglich durch sexuelles Vergehen posthum erheblichen Schaden zu.
Denn ein erneuter Missbrauchvorwurf gegen den 1988 verstorbenen Bischof dürfte die Kirche Roms weiter in Misskredit bringen, deren Image durch übergriffige Geistliche ohnehin arg ramponiert ist. Vor wenigen Tagen hatte sich ein ehemaliger Messdiener beim Bistum gemeldet und berichtet: Ende der 1950er-Jahre habe er in Hildesheim im katholischen Kinderheim »Bernwardshof« gelebt und im Zusammenhang mit dem Bischof sehr Demütigendes erlitten. Damals sei er vom Heimleiter, einem Priester, per Auto zu Janssen gebracht worden. Dieser, so geht aus dem Bericht weiter hervor, soll den Jungen dann aufgefordert haben, sich nackt auszuziehen. Nachdem dies geschehen sei, habe ihn der Bischof wieder weggeschickt mit den Worten, er könne ihn »nicht gebrauchen«. So zitierte das Bistum den heute Mittsiebziger auf einer Pressekonferenz.
Erst vor wenigen Tagen hatte sich der frühere Messdiener an das Bistum gewandt, einem aktuellen Gesprächsangebot des neuen Bischofs Heiner Wilmer an Opfer sexueller Gewalt folgend. Der seit September amtierende Chef am Dom hatte unlängst das Vertuschen solchen Geschehens durch Amtsvorgänger harsch kritisiert.
Gegen Janssen hatte bereits 2015 ein Ex-Messdiener schwere Vorwürfe erhoben: Schon als er zehn Jahre alt war, sei er von dem Bischof mehrfach sexuell missbraucht worden. Offensichtlich hegte das Bistum keine Zweifel an den Darstellungen des Mannes, zahlte es ihm doch 10 000 Euro. Dies sei eine »Anerkennung des erlittenen Leids«, hieß es seinerzeit von der Kirchenleitung, aber keine Schuldanerkenntnis. Eine Untersuchungsgruppe kam später zu dem Schluss, die Beschuldigungen gegen Janssen hätten kein Fundament.
Der aktuelle Fall jedoch scheint anders bewertet zu werden. Sowohl eine externe Psychiaterin und Forensikerin als auch er selbst halten den Betroffenen nach Gesprächen mit ihm für »sehr glaubhaft«. Das erklärte Bischof Wilmer, seitens der Medien zu seiner Einschätzung der Vorwürfe gefragt.
Es ist nicht allein der Vorwurf gegen den Altbischof, mit dem dessen mutmaßliches Opfer beim Bistum vorstellig geworden war. Darüber hinaus hatte der Ex-Messdiener berichtet, in Hildesheim auch von einem Kaplan und von jenem Priester missbraucht worden zu sein, der ihn seinerzeit zu Bischof Janssen gebracht und nach der sexuellen Demütigung wieder abgeholt hatte. Ein Transport, der die Frage aufwirft: Ließ sich der Bischof den Jungen »zuführen«? Steckten pädophile Kirchenleute in der Domstadt unter einer Decke? Bis hin zum höchsten Würdenträger? Vermutlich bewegen diese Fragen auch den neuen Bischof. Er versicherte, »unverzüglich externe Experten« mit Untersuchungen zu beauftragen. »Sexualisierte Gewalt ist nicht einfach ein Versagen, sondern ein Verbrechen«, betonte Heiner Wilmer. Und das bedürfe der Aufklärung.