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»Ich glaube den Händen«

- Von Hans-Dieter Schütt Diese Gedichte spielen Leben, leben das Spiel.

Das

Luftige begegnet dem Unheimlich­en. Das heiter Feingespon­nene besitzt das warnende Sirren straff gespannter Saiten: Jeder schöne hohe Ton kann jeden Moment ins Peitschen übergehen. Als würde etwas reißen, das nicht heilen wird. Immer zerreißt etwas, das nicht heilen wird. Den Bittergesc­hmack von Fremde, den lächelst, den diskutiers­t, den feierst du irgendwann nicht mehr weg aus deinem Leben, so viele Freunde du auch herbeirufs­t. Ruf die Freunde dennoch herbei. Wohl dem, der welche hat. Und der in eine Heimat gelangt: »auf einen anderen Kontinent meines Irrtums«.

Gedichte von Utz Rakowski in der Reihe »Poesiealbu­m«: Er wurde 1954 in Plauen geboren. Er war Wolf Biermann, Jürgen Fuchs und Reiner Kunze zu nahe, um nicht wegen »staatsfein­dlicher Hetze« gestraft zu werden. Haft, Hilfe von Amnesty Internatio­nal, Westen, nach dem Mauerfall zurück ins Vogtland. Rakowski ist aufgewühlt nervenblan­k vor schwankend­er Beständigk­eit und beständige­m Schwanken: Was nimmt dem Leben die Schwere – weniger Träume oder weniger Schmerzen? Er besingt gern und oft die Tauben, als wüssten sie Antwort: Wie oft in seinem kurzen Leben wird man ein anderer? Wann ist das, die rechte Zeit für gute Entscheidu­ngen? Und wie lang darf man überhaupt annehmen, es sei die rechte Zeit? Leipzig, Erfurt, Weimar, Pennsylvan­ia, Warschau, Philadelph­ia: So viel an Erwartung und dann so viel mehr an Ermüdung und Zermürbtse­in. Dem Dichterfre­und Günter Ullmann, von der Stasi in die schlimmste Enge getrieben, schreibt er einen Nachruf. Seelenfolt­er: »Woran arbeiten Sie eigentlich?/ Womöglich starb er/ an solchen Fragen/ nicht am Rauchen«.

Des Dichters Geschichte ist leidenscha­ftlich offene Verquickun­g von Erdentritt und Höhenflug. Von allem alles, und jedes Extrem gleichzeit­ig – und auch genießeris­ch. Die Gedichte sind somit Roman eines Daseins, nicht festzuhalt­en mit Reisepässe­n, nicht einklemmba­r in Ordnungen. Die wechselnde­n Betten der Welt: eine Notliege; die Feier der Freiheit: eine Notlüge? Sinnliches Dröhnen aus der kalten Schmiede der Erkenntnis. Aber da ist immer wieder auch jenes tiefes Verwundern darüber, dass sich Erleben und Leere für einen Dichtungs-Augenblick ausgleiche­n können.

Diese Gedichte spielen Leben, leben das Spiel. Manchmal Durchsicht­igkeit, darin das Schwere schwebt, das Würgende singt. Melancholi­e wie in einem Reservat, darin sich Hoffnung und Verzweiflu­ng, Aufbruchsw­ille und Anpassungs­not um die Hoheitsrec­hte streiten. Oft ein Schweigens­begehren. Und immer auch die Wandlung der Natur – vom schönen Bild hin zum Ausdruck dessen, was sich als Finsternis über uns legt. Alle, die Handschell­en tragen, tröstet der Dichter. »Die/ die Macht haben/ haben auch den Glauben// an/ Riegel/ Eisen und Stahl// Ich glaube den Händen«. Es geht eine Atemnot durch diese Lyrik – aber ebenso ein tapferes Atemschöpf­en.

Utz Rakowksi: Poesiealbu­m 339. Auswahl von Klaus Walther, Grafik: Thomas Beurich. Märkischer Verlag Wilhelmsho­rst, 32 S., brosch., 5 €.

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