»Ich glaube den Händen«
Das
Luftige begegnet dem Unheimlichen. Das heiter Feingesponnene besitzt das warnende Sirren straff gespannter Saiten: Jeder schöne hohe Ton kann jeden Moment ins Peitschen übergehen. Als würde etwas reißen, das nicht heilen wird. Immer zerreißt etwas, das nicht heilen wird. Den Bittergeschmack von Fremde, den lächelst, den diskutierst, den feierst du irgendwann nicht mehr weg aus deinem Leben, so viele Freunde du auch herbeirufst. Ruf die Freunde dennoch herbei. Wohl dem, der welche hat. Und der in eine Heimat gelangt: »auf einen anderen Kontinent meines Irrtums«.
Gedichte von Utz Rakowski in der Reihe »Poesiealbum«: Er wurde 1954 in Plauen geboren. Er war Wolf Biermann, Jürgen Fuchs und Reiner Kunze zu nahe, um nicht wegen »staatsfeindlicher Hetze« gestraft zu werden. Haft, Hilfe von Amnesty International, Westen, nach dem Mauerfall zurück ins Vogtland. Rakowski ist aufgewühlt nervenblank vor schwankender Beständigkeit und beständigem Schwanken: Was nimmt dem Leben die Schwere – weniger Träume oder weniger Schmerzen? Er besingt gern und oft die Tauben, als wüssten sie Antwort: Wie oft in seinem kurzen Leben wird man ein anderer? Wann ist das, die rechte Zeit für gute Entscheidungen? Und wie lang darf man überhaupt annehmen, es sei die rechte Zeit? Leipzig, Erfurt, Weimar, Pennsylvania, Warschau, Philadelphia: So viel an Erwartung und dann so viel mehr an Ermüdung und Zermürbtsein. Dem Dichterfreund Günter Ullmann, von der Stasi in die schlimmste Enge getrieben, schreibt er einen Nachruf. Seelenfolter: »Woran arbeiten Sie eigentlich?/ Womöglich starb er/ an solchen Fragen/ nicht am Rauchen«.
Des Dichters Geschichte ist leidenschaftlich offene Verquickung von Erdentritt und Höhenflug. Von allem alles, und jedes Extrem gleichzeitig – und auch genießerisch. Die Gedichte sind somit Roman eines Daseins, nicht festzuhalten mit Reisepässen, nicht einklemmbar in Ordnungen. Die wechselnden Betten der Welt: eine Notliege; die Feier der Freiheit: eine Notlüge? Sinnliches Dröhnen aus der kalten Schmiede der Erkenntnis. Aber da ist immer wieder auch jenes tiefes Verwundern darüber, dass sich Erleben und Leere für einen Dichtungs-Augenblick ausgleichen können.
Diese Gedichte spielen Leben, leben das Spiel. Manchmal Durchsichtigkeit, darin das Schwere schwebt, das Würgende singt. Melancholie wie in einem Reservat, darin sich Hoffnung und Verzweiflung, Aufbruchswille und Anpassungsnot um die Hoheitsrechte streiten. Oft ein Schweigensbegehren. Und immer auch die Wandlung der Natur – vom schönen Bild hin zum Ausdruck dessen, was sich als Finsternis über uns legt. Alle, die Handschellen tragen, tröstet der Dichter. »Die/ die Macht haben/ haben auch den Glauben// an/ Riegel/ Eisen und Stahl// Ich glaube den Händen«. Es geht eine Atemnot durch diese Lyrik – aber ebenso ein tapferes Atemschöpfen.
Utz Rakowksi: Poesiealbum 339. Auswahl von Klaus Walther, Grafik: Thomas Beurich. Märkischer Verlag Wilhelmshorst, 32 S., brosch., 5 €.