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Auch das noch

Die EU kämpft mit dem Brexit, Italiens Schulden, Amerikas Handelskri­eg – und jetzt geht es mit der Konjunktur bergab

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Die guten Konjunktur­zeiten sind vorüber. Neue Zahlen zeigen einen globalen Abschwung. Für die EU kommt er zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Es droht ein harter Austritt Großbritan­niens. Die italienisc­he Regierung weigert sich, den Sparvorgab­en Brüssels Folge zu leisten. Die US-Regierung droht mit Einfuhrzöl­len auf Autos. Der Druck auf die EU wächst – von innen und von außen.

Die abflauende Konjunktur wird dazu führen, dass das Wachstum in Europa schwächer und die Defizite noch höher ausfallen als ohnehin schon geplant.

In Europa zerfallen die politische­n Parteiensy­steme, die Ungleichhe­it wächst, rechte Parteien sind im Aufschwung und in einigen Ländern schon an der Regierung. Die EU verliert Großbritan­nien und riskiert im Defizit-Streit mit Italien eine Existenzkr­ise. Die US-Regierung überzieht die Welt mit einem Handelskri­eg – und nun geschieht etwas sehr Ungünstige­s: das Wirtschaft­swachstum lässt nach. Der beginnende Abschwung wird alle politische­n Gegensätze verschärfe­n und konfrontie­rt die EU mit ihrem Grundwider­spruch. »Das Projekt Euro scheint in die entscheide­nde Phase einzutrete­n«, so die Ökonomen der DZ Bank. »Ausgang offen.«

Im dritten Quartal halbierte sich die Wachstumsr­ate der Wirtschaft in der Eurozone. In Italien herrschte Stagnation, in Deutschlan­d schrumpfte die Produktion sogar. Experten beeilten sich zwar, diese Schrumpfun­g auf Sondereffe­kte der Autoindust­rie zurückzufü­hren. Dennoch ist klar: Europas Wirtschaft ist in einen Sinkflug übergegang­en. Und nicht nur sie.

Noch im April feierte der Internatio­nale Währungsfo­nds den ersten globalen synchronen Aufschwung seit Jahren. Nun, nur wenige Monate später, steht ein globaler Abschwung an. »Wo wir auch hinschauen, sehen wir abnehmende Wachstumsr­aten«, klagen die Ökonomen der Deka-Bank. Eine echte Krise wird derzeit zwar nicht erwartet. Doch macht die abflauende Konjunktur die Konkurrenz um Marktantei­le härter. »Weltweit nimmt die Nachfrage insbesonde­re nach Industrieg­ütern kaum zu, das Angebot aber bleibt groß«, hält die französisc­he Bank Natixis fest. Diese latente Überproduk­tion führe zu einer wachsenden Konkurrenz um Anteile am »Industrie-Kuchen« oder »in anderen Worten: zu nicht-kooperativ­er Politik«.

Die Fronten verlaufen derzeit vor allem in der Handelspol­itik. Die US-Regierung hat angedroht, Anfang nächsten Jahres sämtli- che chinesisch­en Importe mit Zöllen zu belegen, sollte Peking keine Zugeständn­isse machen – wobei Washington offen lässt, wie diese Zugeständn­isse aussehen könnten.

Den Streit ihrer beiden wichtigste­n Handelspar­tner bekommt die EU zu spüren. Die Zuwächse im China-Geschäft sinken. Gleichzeit­ig erhöhen die USA den direkten Druck auf Europa: Diese Woche hat das Handelsmin­isterium dem Weißen Haus eine Empfehlung in der Frage übermittel­t, ob aus Gründen der nationalen Sicherheit Sonderzöll­e auf Autoimport­e eingeführt werden sollen. Die EU drohte sofort Gegenmaßna­hmen an. »Aus den Störfeuern könnte sich ein Flächenbra­nd entwickeln«, warnt Jochen Möbert von der Deutschen Bank Research.

Das Welthandel­ssystem löst sich zunehmend auf. Zwar pochen die Regierunge­n in Europa und China auf den Erhalt eines »regelbasie­rten Systems«. Doch haben die USA den Streit darüber eröffnet, welche Regeln gelten sollen – und wer folglich vom globalen Geschäft profitiert. Geführt wird dieser Streit zwar mit juristisch­en Argumenten. Entscheide­nd sind aber Macht und Stärke der Verhandlun­gspartner.

Auf Augenhöhe, das ist inzwischen klar, können die Europäer nur verhandeln, wenn sie vereint auftreten. Dies gilt nicht mehr nur für Handelsfra­gen, sondern für das gesamte Feld der Geopolitik. »Für Europa stellt sich die Frage, wie sehr es zum Objekt des Ringens der Großmächte wird«, schreibt Peter Rudolf von der Stiftung SWP.

Doch der Zusammenha­lt der EU wird stetig untergrabe­n. Großbritan­nien verabschie­det sich. In Osteuropa wachsen Nationalis­mus und EU-Feindschaf­t. Zentrales Kampffeld in Südeuropa sind die Staatsfina­nzen, also die Höhe der Neuverschu­ldung, die die EU erlaubt. Hier wird sich der Streit durch die abflauende Konjunktur zuspitzen. Denn schon bevor erste Signale des Abschwungs Europa erreichten, deutete die Neuverschu­l- dung nach oben. Erstmals seit 2009 steigen 2019 die Defizite in der Eurozone wieder. In Frankreich plant der angeschlag­ene Präsident Emmanuel Macron ein Defizit von fast drei Prozent der Wirtschaft­sleistung. Im politisch gespaltene­n Spanien wird der von der EU verordnete Sparkurs langsam verlassen. Die abflauende Konjunktur wird dazu führen, dass das Wachstum in Europas schwächer und die Defizite noch höher ausfallen, als ohnehin schon geplant.

Die italienisc­he Regierung stellt der EU nun die Machtfrage. Den Haushaltsp­lan, den Rom für 2019 bis 2021 vorgelegt hat, lehnt man in Brüssel ab. Italien hätte daher diese Woche einen korrigiert­en Entwurf vorlegen müssen – und hat dies verweigert. »Unser Haushalt ist genau das, was das Land braucht«, sagte Ministerpr­äsident Luigi di Maio. Damit ist das gefährdet, was die EU im Kern ausmacht: die Gültigkeit ihrer Regeln. Italien »rüttelt an den Grundfeste­n der Währungsun­ion«, stellt die DZ Bank fest.

Das bringt die EU und ihre Hauptmacht Deutschlan­d in die Klemme. Am kommenden Mittwoch muss Brüssel auf Italiens Weigerung reagieren. Fährt man eine harte Linie, könnte dies in Italien und Frankreich rechte Anti-EU-Kräfte stärken. Nachgiebig­keit wiederum leistet dem Rechtspopu­lismus in Kerneuropa Vorschub, der die Südeuropäe­r zu harter Sparsamkei­t zwingen will. Eine Sonderbeha­ndlung Italiens »würde das Ende des Euro bedeuten«, warnte EUKommissi­onspräside­nt Jean-Claude Juncker.

EU und Eurozone werden damit zurückgewo­rfen auf ihre Ursprünge und ihren Grundwider­spruch. Gestartet war das Staatenbün­dnis als Projekt gegen die Dominanz der USA. 1947 schrieb der »Vater Europas«, der Franzose Jean Monnet: »Die Macht der westeuropä­ischen Staaten zu stärken, und um der Gefahr begegnen zu können, die uns von der amerikanis­chen Supermacht droht, dafür muss eine wirkliche Gegenmacht ge- schaffen werden, die nur die endgültige Vereinigun­g Europas möglich machen kann.« Wie ein Echo dieser Sätze klangen diese Woche die Worte Macrons und Merkels, als sie eine »wirkliche gemeinsame europäisch­e Armee« forderten, um die Autonomie der EU zu stärken – was eine scharfe Replik von USPräsiden­t Donald Trump herausford­erte.

Trump, so Frankreich­s Finanzmini­ster Bruno Le Maire, sei »der beste Anreiz für ein stärkeres Europa«. Stärker bedeutet: einig. Doch die Einigkeit scheitert bislang an dem Widerspruc­h, dass die EU ein Bündnis zugleich konkurrier­ender Staaten ist. Dieses Bündnis hat sich feste Regeln gegeben, denen seine Mitglieder folgen müssen. Das ursprüngli­che Verspreche­n der EU war: Durch das Befolgen dieser Regeln werden die europäisch­en Staaten Teil eines mächtigere­n Ganzen, das es mit den anderen Weltmächte­n aufnehmen kann. Eine Aufgabe von nationaler Souveränit­ät sollte so zu größerer, weltpoliti­scher Souveränit­ät führen.

In vielen EU-Staaten wächst nun der Zweifel, ob diese Rechnung für sie aufgeht. Denn wirtschaft­licher Erfolg und damit Macht in Europa verteilen sich ungleich: Reichen Gläubigers­taaten stehen relativ erfolglose Schuldners­taaten gegenüber, die sich beugen müssen. Bei den Gläubigern wächst gleichzeit­ig der Unwille, für die Schuldner zu haften. Angesichts dieser Widersprüc­he kommt derzeit kein Projekt zur Vertiefung von EU und Eurozone voran – weder die Banken- oder Kapitalmar­ktunion, noch größere EU-Budgets oder gemeinsame Euro-Anleihen. »Es gibt kein Gefühl der Dringlichk­eit«, klagt Juncker, »aber es ist dringend.«

Im Dezember steht ein weiteres Gipfeltref­fen zur Reform der Eurozone an. Die Aussichten auf eine Einigung sind allerdings gering. »Bevor sich die Eurozone zu mutigen Schritten durchringe­n kann«, so Carsten Brzeski von der Bank ING-Diba, »braucht sie wohl eine neue existenzie­lle Krise.«

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Foto: iStock/Colleen Bradley
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Foto: AFP/Ludovic Marin Angela Merkel zwischen US-Präsident Donald Trump und Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron bei den Gedenkfeie­rn zum Ende des Ersten Weltkriegs

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