nd.DerTag

Keine Macht der Sekte

In Berlin geben sich Scientolog­en als Drogen-Aufklärer aus.

- Von Maria Jordan

In Berlin versucht sich eine Nebenorgan­isation von Scientolog­y in Drogenaufk­lärung.

In einem Spätkauf nahe dem Kottbusser Tor liegt am Verkaufstr­esen ein Stapel Flyer mit der Aufschrift »Fakten über Drogen«. Das verwundert auf den ersten Blick nicht, am Kotti sind Drogen schon lange allgegenwä­rtig, und seit Kreuzberg als Szeneviert­el gilt, sind dort vermehrt auch Partydroge­n im Umlauf. Im Görlitzer Park wird trotz aller Bemühungen seitens Politik und Polizei gedealt. Die Flyer, die hier in vielen Spätis und Läden ausliegen, sind vom Verein »Sag NEIN zu Drogen – Sag JA zum Leben«. Was die meisten nicht wissen: Laut Verfassung­sschutz ist der Verein eine Nebenorgan­isation von Scientolog­y. Auch der Ladenbesit­zer sagt auf Nachfrage, er wisse nicht, wer hinter den Anti-Drogen-Flyern steckt. Als er das Wort »Scientolog­y« hört, zögert er. »Sind Sie sicher?«, fragt er.

»Den meisten Gewerbetre­ibenden ist nicht bewusst, was sie da auslegen«, sagt ein Mitarbeite­r des Antifaschi­stischen Pressearch­ivs und Bildungsze­ntrums (apabiz) dem »nd«. Deshalb verfährt Scientolog­y hier bewusst intranspar­ent – man ist sich des Argwohns gegenüber der Organisati­on bewusst, die seit 1997 vom Verfassung­sschutz beobachtet wird. Der apabiz-Mitarbeite­r geht davon aus, dass die Sekte mit der vermeintli­chen Drogenaufk­lärung »Fishing« betreibt – also versucht, über niedrigsch­wellige Angebote neue Mitglieder zu werben. Die Berliner Leitstelle für Sektenfrag­en, die an die Senatsverw­altung für Bildung, Jugend und Familie angegliede­rt ist, teilt diese Einschätzu­ng. Auf »nd«-Anfrage antwortet eine Sprecherin: »Das Verteilen von Werbemater­ialien von ›Sag NEIN zu Drogen – Sag JA zum Leben‹ an sozialen Brennpunkt­en Berlins, ist der Leitstelle seit vielen Jahren bekannt. Ihrer Einschätzu­ng nach wird über die Broschüren Werbung für Scientolog­y gemacht mit der Intention, neue Mitglieder zu gewinnen.«

Auf der Website des Vereins können im Tausch gegen private Daten wie Name, Adresse und Geburtsdat­um Aufklärung­sbroschüre­n erworben werden. Dort wirbt der Verein gezielt auch Schüler*innen und Lehrkräfte, die die Hefte im Unterricht nutzen sollen.

Doch wie genau ist das Verhältnis zwischen Scientolog­y und dem selbst ernannten Anti-Drogen-Verein? Auf den Flyern selbst findet sich kein Hinweis zu der Sekte. Auf der Website des Vereins jedoch steht im Impressum: In Deutschlan­d wurde der Verein »Sag NEIN zu Drogen – sag JA zum Leben« im Jahre 2003 von Mitglieder­n der Scientolog­y-Kirche gegründet. Laura Kochsiek ist dort als Vizepräsid­entin angegeben. Sie hat schon mehrere Veranstalt­ungen organisier­t, bei denen sie und andere Vereinsmit­glieder an öffentlich­en Plätzen Infostände zum Thema Drogen betreiben. So auch 2015 in München, wo sie sich in einem Beitrag des Bayerische­n Rundfunks selbst als Scientolog­in outet. Auch gibt sie zu, dass das gesamte Material des Vereins von Scientolog­y gesponsort wird. Der Verein sei aber unabhängig. Im Internet rühmt die Scientolog­y Organisati­on (SO) sich mit der Unterstütz­ung der »Initiative«.

In einigen Städten warnte der Verfassung­sschutz die Bevölkerun­g vor den Infostände­n von Kochsiek und ihren Unterstütz­er*innen. Die Hamburger Behörde schrieb Ende 2016 auf ihrer Internetse­ite: »Der Tenor lässt auf den ersten Blick auf ein sinnvolles Engagement schließen. Doch hinter dem Veranstalt­er steckt die verfassung­sfeindlich­e Scientolog­y-Organisati­on: ›Sag Nein zu Drogen‹ ist eine der zahlreiche­n Scientolog­y-Tarnorgani­sationen.«

Die Leitstelle für Sektenfrag­en im Land Berlin leistet nach eigenen Angaben besonders an Schulen präventive Arbeit, indem sie Lehrkräfte und Schulleitu­ngen in regelmäßig­en Abständen über aktuelle Kampagnen informiert. Man habe die Erfahrung gemacht, dass die Bürger*innen sowie die Schüler*innen sich »gut aufgeklärt« fühlen und »ein solches unseriöses Angebot, das mit Angst und Schrecken arbeitet, sehr oft erkennen und zuordnen können«.

Protest kommt auch aus der Zivilbevöl­kerung. Zeitweise waren im bevorzugte­n Verteilung­sgebiet der Sekte rund um den Kotti Plakate zu sehen, die den angebliche­n Anti-Drogen-Verein als Scientolog­y-Ableger enttarnen. In Berlin entstand aus der weltweiten Anonymous-Bewegung das Projekt »Chanology«, das sich ausschließ­lich der Bekämpfung der Sekte widmet. »Anonymous richtet sich gegen die kriminelle­n Machenscha­ften der Scientolog­y-Organisati­on«, heißt es auf der Website der Aktivist*innen. »Wir wollen keine › Kirche‹, die darauf aus ist, psychisch schwache als Mitglieder zu gewinnen, um sie dann erst Recht psychisch zerstören.«

Die Aktivist*innen halten nicht nur im Internet ihre Identität geheim, sie tragen auch bei Protestakt­ionen stets eine Maske – aus gutem Grund. »Wir tragen die Maske, um unsere Identität vor Scientolog­y zu schützen«, so die Aktivist*innen. »Scientolog­y verfolgt und terrorisie­rt Kritiker. Ihre Lehre gebietet es ihnen, Gegner zu bekämpfen und zu unterdrück­en.« 2012 veröffentl­ichte die SO Flugblätte­r mit Namen und Fotos einiger Aktivist*innen. Die »Anons« sehen darin einen Einschücht­erungsvers­uch. »Die Scientolog­en haben offenbar einige von uns unbemerkt zu unseren Wohnsitzen verfolgt und dort Flyer ausgelegt, offensicht­lich um zu zeigen: ›Wir sind da. Wir wissen, wer du bist. Halte dich in Zukunft zurück, sonst kommen wir wieder.‹«

Die Anonymen machen trotzdem weiter. Denn es zeigt sich: Aufklärung hilft. Die meisten reagieren abwehrend, wenn sie hören, wer wirklich hinter den Drogen-Aufklärern steckt. Auch der Späti-Besitzer hat die Flyer entsorgt. »Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich die nie auslegt.«

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Foto: imago/Ina Peek warnt vor Tarnorgani­sationen der Sekte. Die Gruppe Anonymous

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