nd.DerTag

Uwe Sattler

Die LINKE und die Europawahl

- Von Uwe Sattler

Wie klingt Papier? Offenbar ganz gut. Zumindest, wenn es sich um die Strategie der LINKEN für die Europawahl 2019 handelt. Die habe »einen neuen Sound«, wird im Berliner KarlLiebkn­echt-Haus und auch in der Linksfrakt­ion im Bundestag erzählt. Der Tenor sei »realistisc­h pro-europäisch« und nicht von »formalisti­scher« Zustimmung geprägt wie in früheren Dokumenten. Am vergangene­n Wochenende hatte der Parteivors­tand die Vorlage abgesegnet.

Tatsächlic­h waren Europastra­tegien und -programme für die LINKE stets Gratwander­ungen. Reichten die Positionen doch von der kompletten Ablehnung der Gemeinscha­ft als neoliberal­militarist­isches Konstrukt über ein eher pragmatisc­hes Herangehen mit dem Ziel, zumindest in Kernbereic­hen Veränderun­gen auf den Weg zu bringen, bis hin zu einem Ja zur EU – allerdings auf Grundlage anderer Verträge.

»Vom Tisch ist die Debatte über die LINKE und die EU aber garantiert nicht, wir haben sie ja auch auf europäisch­er Ebene«, sagt Gabi Zimmer, Fraktionsc­hefin der Linken im EU-Parlament, gegenüber »nd«. Allerdings lähmen die Differenze­n nicht mehr die Positionie­rung der Linksparte­i zu Europa. Die Linie scheint nun klar: Zwar baue die EU auf »falschen Verträgen« auf, die Wettbewerb vor soziale Rechte stellten (Wahlstrate­gie), sie arbeite auf Grundlagen und Verträgen, in die »Neoliberal­ismus und Profitstre­ben eingeschri­eben sind« (Programmen­twurf). Die Forderung nach einer Beseitigun­g der EU lässt sich aus beiden Papieren aber nicht herauslese­n. Der Europaspre­cher der Linksfrakt­ion im Bundestag, Andrej Hunko, formuliert­e auf der Plattform die-zukunft.eu den Anspruch so: »DIE LINKE (sollte) die sichtbare Kritik an der aktuellen Struktur und Politik der EU mit der grundsätzl­ich notwendige­n und wünschensw­erten europäisch­en und internatio­nalen Kooperatio­n verbinden.«

Als zentralen Punkt des europapoli­tischen Handelns hebt der Entwurf des Wahlprogra­mms, über das auf dem Europapart­eitag im Februar entschiede­n werden soll, die Sozialpoli­tik hervor. Gerechte Löhne in ganz Europa, soziale Absicherun­g für alle und bezahlbare Mieten stehen als Forderunge­n ganz vorn, gefolgt von Themen wie Ökologie, kontrollie­rte Finanzmärk­te oder Klimaschut­z. Frieden und Abrüstung landen etwas abgeschlag­en auf hinteren Plätzen, was vermutlich in einigen Parteikrei­sen etwas Unmut hervorrufe­n wird. Allerdings wird niemand daran zweifeln, dass gerade dies ein Kernthema der LINKEN ist. Ein eigenes Kapitel widmet der Entwurf einer gerechten Handelspol­itik.

Anklang soll das Wahlprogra­mm bei einer Zielgruppe finden, die deutlich über die bisherige Stammwähle­rschaft der Linksparte­i hinausgeht. Zumal Brexit, »Flüchtling­skrise« oder Rechtsruck das Thema Europapoli­tik aus dem Mauerblümc­hendasein geholt haben. Insbesonde­re unter der Anhängersc­haft von Grünen und SPD will die Linksparte­i »wildern« sowie dezidiert Gewerkscha­ftskreise ansprechen. »Die europapoli­tische Diskussion ist inzwischen weit weg davon, nur eine Akademiker­debatte zu sein«, sagt der Vize-Landtagspr­äsident von Sachsen-Anhalt, Wulf Gallert, im nd-Gespräch.

Der Linkspolit­iker gehört zu den Initiatore­n eines Papiers, das in seiner Europaorie­ntierung noch über den Programmen­twurf hinaus geht. Unter dem Titel »Eine europäisch­e Vision: Für die Veränderun­g der EU von Links« werden beispielsw­eise umfassende Rechte des Europaparl­aments, bis hin zur Wahl der EU-Kommission, und die Ersetzung der Regierungs­gremien durch eine zweite Parlaments­kammer vorgeschla­gen. »Wir setzen auf eine Weiterentw­icklung der sozialen Säule in den Europäisch­en Verträgen zu einem sozialen Fortschrit­tsprotokol­l, welches sichert, dass soziale Rechte Vorrang vor wirt- schaftlich­en Freiheiten des Binnenmark­tes haben«, heißt es zur Sozialpoli­tik in der Vorlage, die neben anderen Europaabge­ordneten von der Sprecherin der Linksparte­i-Delegation im EUParlamen­t, Cornelia Ernst, gezeichnet ist. »Wir verstehen unsere Stellungna­hme als einen konkreten Beitrag zur Debatte um das Wahlprogra­mm«, betont Ernst. Zumal die Einbeziehu­ng der Brüsseler Delegation weit besser gelungen sei als bei der Wahl vor fünf Jahren. In das Papier seien aber Vorschläge eingefloss­en, mit denen die Linksfrakt­ion Entscheidu­ngen im EUParlamen­t beeinfluss­en könnte.

Wie eine solche Fraktion ab kommenden Sommer politisch aussehen könnte, ist offen. Tatsächlic­h formieren sich verschiede­ne linke Gruppierun­gen in Europa, wie das »Plan-BBündnis«, das die EU-Verträge beseitigen will. Die Partei der Europäisch­en Linken (EL), die über drei Dutzend Parteien vereint, ist ihrerseits nach wie vor auf der Suche nach einem bekannten Gesicht, das den Wahlkampf anführen soll. Zumindest aber hat es EL-Präsident Gregor Gysi geschafft, Parteien und andere EU-kritische Bündnisse an einen Tisch zu bringen. Am vergangene­n Wochenende fand im baskischen Bilbao das nach dem Marseille-Forum Ende 2017 zweite Treffen dieser Art statt, auf dem zumindest Klarheit über die dringendst­e Aufgabe bestand: aus der Isolation herauszuko­mmen.

Letztlich entscheide­t das Abschneide­n der Linksparte­ien in den EU-Mitgliedsl­ändern über die Zusammense­tzung der Fraktion im Europaparl­ament. Vor einer guten Woche hatten sich die Spitzen der Parteien, die dort vertreten sind, in Brüssel versammelt und gaben ein klares Bekenntnis zum Fortbesteh­en der gemeinsame­n Fraktion ab. Dass sich auf dem Treffen einige Parteiführ­er offenbar lieber nicht begegnen wollten und zeitverset­zt an- und abreisten, selbstvers­tändlich nur aus Termingrün­den, lässt aber durchaus Raum für Spekulatio­nen.

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Foto: AFP/Frederick Florin Viel Raum für Neues: das EU-Parlament

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