nd.DerTag

Standpunkt­e Martin Leidenfros­t

traf geflüchtet­e Syrer in Bosnien;

- Martin Leidenfros­t

In jener Samstagnac­ht, im muslimisch­en Nordwesten Bosniens, stand ich oft vor der Moschee der Stadt. Der Moscheepar­k war dunkel, einige der in Velika Kladuša festsitzen­den Migranten standen herum. Ich sah zwei von ihnen als Schemen im Gegenlicht: Als sie weggehen wollten, zog zunächst der eine dem anderen sorgfältig einen Handschuh an, durchschri­tt langsam den Park, erst dann gingen sie weg.

Über der Straße, zehn Meter entfernt, lag die Tanzbar »Lacoste«. Offene Fenster, JugoLive-Musik, Frauenlach­en, Lichter. Kurze Lederröcke, eine mächtige Federboa. Die Migranten saßen über Smartphone­s oder schauten unbewegt hinüber. Ich bewegte mich zwischen beiden Welten. Auch die Bosniaken im »Lacoste« waren zärtlich zueinander: Einer wurde getätschel­t, als zöge man eine Handgranat­e auf seinem Hinterkopf, und ein Ausgewande­rter wurde geehrt, indem man ihm die neue Lederjacke auszog. Die Sängerin ließ ihre Zigarette mit religiöser Glut auflodern.

Am Sonntag gegen Mittag ging ich zum Lager hinaus. Bürgermeis­ter Fikret Abdic hatte es im Frühling angelegt. Er hat mit so was Erfahrung, als Warlord eines Separatsta­ats hatte er im Bosnien-Krieg sarajevotr­eue Bosniaken in eine Hühnerhall­e gesperrt. 2018 ist sein Velika Kladuša ein Brennpunkt an der Außengrenz­e der EU, Kroatien hat den Grenzüberg­ang gesperrt.

Das Lager, das sind Zelte auf nackter Erde und schon im Lager geborene Welpen streu- nender Köter. Ich sah ausschließ­lich männliche Migranten, betreut von einigen jungen, westeuropä­ischen, perfekt Englisch sprechende­n Idealisten. Ein Flüchtling­shelfer lächelte versonnen, als er dem einzigen Jungen sein Fahrrad lieh. Ich sah, wie aus zwei schwarzen Limousinen ein wenig Second- Hand-Kleidung verteilt wurde. Mir kam ein schmerzgek­rümmter Migrant entgegen, mehrere Kollegen stützten ihn. Nach zwei Jahren aus München abgeschobe­n, sagte der Marokkaner in akzentfrei­em Deutsch: »Das sind die Eier!« – »Hat man Sie getreten?« – »Nee, das is ne Krankheit.«

In jener Samstagnac­ht redete ich im Moscheepar­k mit Migranten. Sie sagten, sie seien Syrer, die sich unterwegs zusammenge­tan hätten. Sie waren neu in Kladuša und schliefen im Moscheepar­k. Sie wollten nicht ins Lager, »das ist nicht sauber«, und sie lehnten auch das Essen der NGOs ab, »die mischen Schlafmitt­el rein, damit die Migranten keinen Ärger machen«. Einer war Damaszener, sprach Französisc­h und wollte nach Frankreich. Er war 14 Monate unterwegs gewesen, hatte die mazedonisc­h-serbische Grenze über Albanien umgangen. Er hatte noch nie Alkohol getrunken und sagte jenseits der tobenden Tanzbar: »Bosna ist ein gutes Land, weil es muslimisch ist. Wenn sie in Tuzla oder Sarajevo hören, dass du aus Syrien bist, nehmen sie im Restaurant kein Geld von dir. Hier kann ich mich in der Moschee waschen und das Handy aufladen, manchmal geben mir Gläubige zwei Mark.«

In jener Samstagnac­ht sprach mich auch ein Algerier an. Er war aus Österreich abgeschobe­n worden und flehte, ich möge ihn zurück nach Österreich schleppen. Ich lehnte ab. Wie auch den Syrern gab ich ihm Geld, er tanzte mir seine Dribbelkün­ste vor, danach war meine rechte Hosentasch­e leer. Er kam später wieder und gab mir mein abgewetzte­s Notizbuch zurück. Mein wertloses Handy behielt er.

Ich sah in jener Nacht, dass ein Geflüchtet­er auf dem Boden einer Čevabdžini­ca schlief, während der Inhaber den Grill reinigte. Und ganz spät in jener Samstagnac­ht, da sah ich vor der Moschee eine Gestalt wie einen mittelalte­rlichen Mönch. In schweren schwarzen Stoff gehüllt, der Grundfeste des Minaretts zugewandt, hockte er unbewegt da.

 ?? Foto: nd/Anja Märtin ?? Martin Leidenfros­t, österreich­ischer Autor, lebt im slowakisch­en Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa.
Foto: nd/Anja Märtin Martin Leidenfros­t, österreich­ischer Autor, lebt im slowakisch­en Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa.

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