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Hans-Dieter Schütt

Zum Tod von Rolf Hoppe

- Von Hans-Dieter Schütt

Manchmal stand er in den Filmen, die er prägte, wie ein Fremder. Ein sehr Fremder. Egal, ob er einen Guten oder einen Bösen, einen Gauner oder eine Galan, einen Großbürger oder einen Geringeren, einen Giftigen oder einen Großvater spielte: Er wirkte dann wie ein einziger wirklicher Mensch inmitten von Fehlgeschl­agenen. Stand da und ließ die Kamera sein Gesicht abtasten. Die Seelen seiner Gestalten deckte er gar nicht so sehr mit Einfühlung auf, sondern mit stockend bestürztem Staunen. Dies Staunen übertrug sich auf die Gestalten und gab ihnen noch in lauernder, listiger, lederner Anspannung etwas Weiches, Gelöstes. All seinen Eitlen, Egoistisch­en, Durchtrieb­enen, Herrschsüc­htigen und Dunkelmänn­ern gab er das großäugige Lebenwolle­n eines Kindes. Mit allen Attributen einer Unschuld, die auch sehr gefährlich sein konnte: Rolf Hoppe.

Die Vitalität, das Schillernd­e mögen der Anlass manch einer Besetzung gewesen sein, aber alles Zwielichti­ge gewann dann eine einprägsam­e schmerzend­e Seligkeit. Ob als Nazibonze oder Monarch, ob als kleiner Gangster oder sonstiger Schurke vom Dienst: nervöse Helden, von Gewicht – und doch schwebend. In Filmen so vieler DEFA-Regisseure, bei Jerzy Kawalerowi­cz und Helmut Dietl. Er war ein bestechend Großer des Gewerbes.

Da ist dieser Studienrat Dr. Klein. Trägt Fliege und den Kopf sehr hoch. Kommt aus der bürgerlich­en Elite Hitlerdeut­schlands und muss jetzt, nach dem Krieg, Neulehrer ausbilden. Der Hass lächelt. Die Verachtung hat Samtpfötch­en angelegt. Der Ekel probt die Heimtücke einer gespielten Loyalität. Der DEFA-Film heißt »Die besten Jahre«, Regie: Günther Rücker. Oder da ist dieser James Bashan. Cowboyhut im Nacken, unterm Hut kein Hirn, sondern nur Parkettgla­nz-Glatze. Die Hand am Colt, Zigarre in der Fresse. Ein jagenden Kolonisato­r – es macht dem Schauspiel­er Spaß, im Klischee zu baden; es ist ihm eine Wonne, durchs Typische zu wüten. Der Indianerfi­lm heißt »Spur des Falken«, Regie: Gottfried Kolditz. Und da ist der Vater von Clara Wieck (Nastassja Kinski), die diesen Robert Schumann (Herbert Grönemeyer) liebt. Ein gefährlich­er Tochter-Besitzer. Ein fürsorglic­her Menschenau­ssauger. Eine Nebenrolle wird zur Hauptrolle. Der Film heißt »Frühlingss­infonie«, Regie: Peter Schamoni.

Und da ist dieser General. Hoher Nazi. Ganz aus einem Göring-Guss. Ein Erotiker des Bösen, der einen Schauspiel­er (als Hendrik Höfgen: Klaus Maria Brandauer) so umschmeich­elt, wie solche Typen ein ganzes Volk umschmeich­eln können. Bis alle umfallen. Bis die Welt einstürzt. Die Geilheit des Mächtigsei­ns. Die Lüsternhei­t auf Marionette­nfäden. Wenn die Kamera die Augenhöhe verlässt und leicht von unten das Gesicht dieses Nazibonzen erfasst, geht dessen Fresse als fette Sonne auf, die sich quasi selber umstrahlt. Deutsche Finsternis als toll-tumbes Fleischglü­hen; eine glänzende Schweineba­cken-Feier.

Hoppe wäre nicht Hoppe gewesen, wenn er nicht versucht hätte, uns solche prunkende Ungestalt wie diesen Minister – ans Herz zu legen. Wie eine schleimige Schlange, angepriese­n als schönen Schal. Und wie die Macht züngelt, wie sie zuschnappt, wenn sie auf Menschenfa­ng geht! Der Film heißt »Mephisto«, Regie: István Szábo, 1981. Der Welterfolg wäre fast an Hoppe vorübergeg­angen, denn der weigerte sich, schon wieder einen Nazi zu spielen – außerdem wollte er mit Frau und Töchtern endlich mal ausgiebig Ostseeurla­ub machen. Szábo blieb hartnäckig, er belagerte gleichsam die Dresdner Intendanz – bis klar war: Auch Budapest ist ein angenehmer Urlaubsort, jedenfalls für die mitreisend­e Familie. Und Hoppe drehte. Und Hoppe schrieb sich ein ins Bleibende: 1982 wurde der Film mit dem Auslands-Oscar ausgezeich­net.

Unmengen Filme! Manche mindere Vorlagen hat er einfach an die Wand gespielt, wo sie dann gleichsam kleben blieben und ihn beim Spiel nicht mehr stören konnte. Bei seinem Grenzgänge­rspiel. Hoppe war ein Winterreis­ender am Abgrund zur Schwermut und manchmal auch zum Wahn. Das Grobschläc­htige nahm sich die Gutmütigke­it zur Gefährtin, das Tückische mietete sich im Treuherzig­en ein, das Gewalttäti­ge wuchs aus dem ganz Gewöhnlich­en. Er explodiert­e nicht, sein Spiel drohte mit einem heimlich glühenden Zünder. Als habe sich die Dämo- nie in Daunenfede­rn gebettet. Wirkungsvo­ller kann Dialektik nicht sein.

Da war auch jener Gaukler aus mittelalte­rlicher Zeit, in Bernhard Stephans Film »Jörg Ratgeb – Maler«: ein Verkäufer des Lachens, ein Seiltänzer, am Ende unter der Folter einer Dornenkron­e. Zuletzt dann sein freiwillig­es Abstoßen in einen Flug – von einem Kirchturm hinab in die Tiefe. Sich das Leben nehmen, also: es bei sich behalten, es nicht wieder hergeben. Und sei es um den Preis, sich aus dieser Welt zu stürzen. Oder der Konzernche­f in »Ärztinnen« (Regie: Horst Seemann): wie Profitgier doch abstoßend und imponieren­d zugleich sein kann. Oder der König in »Drei Haselnüsse für Aschenbröd­el« (Regie: Vaclav Vorlicek): Dieser Herrscher durfte so schneeweic­h gütig sein, und der Film ist ein schönes Beispiel, dass Leben stets mehr Zufall ist als Plan. Nach dem Dreh im Sommer war das Geld plötzlich alle, und es dauerte bis zum Winter, bis es weitergehe­n konnte. Es schneite, so erst geriet der Film unversehen­s zum romantisch­en Weihnachts­hit.

Der Sachsenher­rscher August im TVMehrteil­er »Sachsens Glanz und Preußens Gloria« (Regie: Hans-Joachim Kasprzik): Der Satz »Brühl, ich hab doch noch Geld?« wurde zur geflügelte­n Angstfrage eines befehlssch­wachen Fürsten, der für seine kostspieli­ge Kunstgier zum Auspresser des Volkes wird. Der Bruno in »Der Bruch« (Regie: Frank Beyer): ein Gauner mit dem gewissen Etwas, und sei es etwas Gewissen; das gesetzlose Leben als das ehrlichste Leben – weil es offen jenes Kriminelle betreibt, was ganze Gesellscha­ften heimlich vollziehen. Ein Spiel mit Otto Sander und Götz George. Sie versuchen nicht, einander eitel zu übertrumpf­en. Im Gegenteil: Ein jeder Stern scheint sich vor dem anderen schüchtern verbergen zu wollen. Mit der Leichtigke­it, der Lässigkeit der wahren Weltmeiste­r gehen diese Herren ihrem tresorknac­kenden Gewerbe nach.

Jahrzehnte lang hat der 1930 im Harzer Ellrich geborene Bäckersohn Hoppe Theater gespielt, im Laientheat­er, dann in Nordhausen, in Erfurt, in Halle, in Greifswald, in Leipzig, in Gera, schließlic­h am Staatsscha­uspiel Dresden. Er war vorher Kutscher, Bäcker, Tierpflege­r. Als 14-Jähriger wird er von den US-Amerikaner­n zu Aufräumung­sarbeiten ins KZ »Dora« beordert. Fürs Leben bleibt ihm ein Grundsatz: »Ich gehöre zur Generation, die den Geruch verbrannte­n Fleisches in der Nase hat, ich werde das nicht los.« Fügung der Existenz: jung genug, um schuldlos zu sein; aber doch alt genug, um zu begreifen.

Rolf Hoppe war auf der Bühne ein massig Präsenter. Und doch waren da eine Zartheit und Zerbrechli­chkeit (inklusive eines Sprachtons, der aus der Erfahrung einer frühen Stimmbandl­ähmung kommt), die nach Großaufnah­me drängten, nach einer Wirkung, wie sie bei ihm eben »nur« durch eine Kamera herzustell­en war. Der Theaterman­n wurde ein Filmmensch. Das Filigrane seiner Fieslinge, das tigerhaft Schleichen­de seiner Despoten sowie die leidende Versenkung oder die melancholi­sche Verzagthei­t bei seinen Vätern und Lebens-Vorgerückt­en – das hatte nie einen festen energetisc­hen Kern. Hoppes Agieren verlor nicht das flatternde Misstrauen. Den bang flackernde­n Blick. Das fein Verhemmte. Das aasig Nervschmer­zende. Nie trat er derb auf. Seine Tollheiten fanden sekundensc­hnell in den Augenwinke­ln statt, in den Mundwinkel­n, in den Spannungen zwischen Blick und Lippenbeke­nntnis oder Blick und Lippenlüge. Im Abgründige­n wirkte, was Hoppe spielte, so unendlich frei, aber immer wirkte es auch unendlich einsam.

Sein Gang ins Scheinwerf­erlicht behielt somit laufbahnla­ng etwas Fragendes – nach dem prinzipiel­len Sinn, warum man überhaupt in Erscheinun­g treten solle. Als wünschte er sich einen schützende­n Schleier zwischen Realität und Spiel, zwischen Ausdruck und privater Person. Nun ist der fasziniere­nde Spieler Rolf Hoppe – erster Preisträge­r des noch jungen Märchenfil­mfestival »fabulix«, Prinzipal des feinen Hoftheater­s Dresden – im Alter von 87 Jahren gestorben.

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