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Holger Pauler

Die 80er Jahre und der Punk

- Von Holger Pauler

Ist Punk ein Fall für die Kulturindu­strie? Natürlich: John Lydon aka Johnny Rotten und Sid Vicious wussten es vermutlich lange, bevor sie den ersten Akkord von »Anarchy in the UK« anschlugen: »Rrrrright nooow, ha, ha, ha... I am an anti-Christ, I am an anarchist«, hießen die ersten Textzeilen, lässig-arrogant rausgerotz­t. Wenig später standen die Sex Pistols mit ihrem Album »Never Mind the Bollocks, Here’s the Sex Pistols« an der Spitze der UK-Album-Charts. Ein Marketinge­rfolg ohne Beispiel und ein Beleg dafür, dass selbst die Ästhetik des Punks, die in Form und Inhalt eine Antiästhet­ik war und sich der Zerstörung des Bestehende­n verschrieb­en hatte, doch dem verhaftet blieb, wovor sie fliehen wollte: dem Fetisch der Warenwelt.

Punk war die erste Jugendbewe­gung, der das Utopische fehlte, was sich auch in der Rezeption niederschl­ägt: Während über ’68 und die RAF, über Hippies und Pop tonnenweis­e Bücher und Filme in Archiven lagern oder in Wohnzimmer­n herumstehe­n, ist das Material zu Punk überschaub­ar. Der Autor Roger Behrens hat dies in einem Vortrag aus dem Jahr 2014 wie folgt beschriebe­n: »Punk war innerhalb des Pop eine erste Bewegung, die selbstrefl­exiv diese – d. i. ihre eigene – Dynamik durchbrech­en wollte. Massenkult­urell setzte der Punk fort, was Dada und Surrealist­en im Handgemeng­e mit der Hochkultur versuchten. Und Punk scheiterte auch wie die Kunstavant­garden des frühen zwanzigste­n Jahrhunder­ts.«

Wer sich dem Phänomen Punk nähert, muss sich den Widersprüc­hen stellen. Die Ausstellun­g »superreal_punk«, die von der »Ping Pong Gallery c/o Trinkhalle Bochum« gezeigt wird, versucht sich dem Gegenstand visuell zu nähern. Der Fotograf Olaf Ballnus hat hierfür mehrere Dutzend Fotos ausgewählt, die er selbst in den 1980er Jahren gemacht und im gleichnami­gen Bildband veröffentl­icht hat. Ballnus war damals selbst Punk im Ruhrgebiet, und er hat sein Leben und das seiner Freunde und flüchtigen Bekannten in Bildern festgehalt­en. Die Exponate zeigen sehr persönlich­e Momentaufn­ahmen, die kein homogenes Porträt der Protagonis­ten und ihrer Umgebung abbilden können und sollen. »Für uns war Punk die wichtigste Zeit unseres Lebens«, sagt Ballnus. Die Musik, die aus England überschwap­pte, sei prägend gewesen für eine ganze Generation. »Es lag damals in der Luft. Im Ruhrgebiet haben wir das später erlebt als etwa in Düsseldorf, aber es war ähnlich intensiv: Mit 17 wollte ich nicht mehr sein wie die anderen. Ich musste raus.«

Es folgte ein Leben auf der Überholspu­r: Mit 19 die Gründung des Programmki­nos »Baluba«, das nur kurz existierte, aber der Auslöser für die Explosion war. Gemeinsam mit Wolfgang Wendland, späterer Sänger der Bochumer Punkband »Die Kassierer«, zeigte er Stummfilme, Werke von Rainer Werner Fassbinder und alles, was über Punk zu bekom- men war. Später ging es regelmäßig nach Berlin: übernachte­n in besetzten Häusern oder im Kadett C. Und natürlich immer wieder Konzerte: KFC, Black Flag oder UK Subs.

Mehr als drei Jahrzehnte später erinnerte sich der 56-jährige Wahl-Hamburger an die Bilder von damals und die Geschichte­n, die sie erzählen. Eine Aufnahme aus dem Jahr 1983 zeigt einen Hausflur in der Berliner Görlitzer Straße: Das Fenster zum Hinterhof ist offen, Bretter liegen herum, daneben ein Teppich und eine ranzige Matratze. An der Wand steht Neil Youngs viel zitierter Satz aus dem Song »Hey, hey, my my« über Johnny Rotten, der da längst wieder John Lydon heißt und mit seiner Band P.I.L. den Punk dekonstrui­ert: »The King is gone but he’s not forgotten«. Ein Jahrzehnt später wird Kurt Cobain aus dem selben Song zitieren: »It’s better to burn out than to fade away« und sich anschließe­nd aus Verzweiflu­ng über den Erfolg seiner Band Nirvana mit dem Gewehr in den Kopf schießen. Auch die zum Großteil verschwund­enen Zentren des Aufbruchs kehren ins Gedächtnis zurück: das »SO 36« in Berlin, das »Odeon« in Münster oder die »Zeche Bochum«. Auf den Fotos wird die Wut lebendig, die sich im Pogo entlädt: Einzelkämp­fer und doch Brüder und eine Handvoll Schwestern im Geiste, die vor der Adorno’schen »verwaltete­n Welt« flüchten.

Stellvertr­etend für diese Welt steht ein Foto, das den Juwelierla­den »Gold Kraemer« Anfang der 1980er Jahre in der Bochumer Fußgängerz­one zeigt. Die vom Verkehr befreiten Straßen, die in den späten 1970er Jahren parallel zum Punk entstanden, waren die Prachtboul­evards der kleinen Leute, auf denen sie »ihre Zerstreuun­g im Fetisch Ware« (Walter Benjamin) suchen sollten. Schon in den frühen 1980er Jahren war dies ein kaum mehr einlösbare­s Verspreche­n. Und auch der Glanz der Leuchtrekl­amen und der Schaufenst­er war längst verblasst, wenn er denn jemals sichtbar war. Letztlich ist Punk in der Gesellscha­ft angekommen, vor der er fliehen wollte, weil er deren Transforma­tionsproze­sse mitmachte. Beispielha­ft steht hierfür das Foto von Campino, Anfang der 1980er im »Ratinger Hof«, bevor er mit den Toten Hosen die Charts erobert: die Augen geschlosse­n, den Mund weit geöffnet – die Wut muss raus. Wenn er 30 Jahre später von »Tagen wie diesen« singt, an denen er sich »Unendlichk­eit« wünscht, mag er auch bewusst oder unbewusst auf den kurzen Winter der Anarchie zurückblic­ken.

Der viel zu früh verstorben­e Gründer der Zeitschrif­t »testcard. Beiträge zur Popgeschic­hte«, Martin Büsser, hat versucht, die positiven Aspekte zu betonen: »Subkulture­lle Gegenentwü­rfe mögen oft gescheiter­t sein. Doch dass sie innerhalb einiger Momente eine Erfahrbark­eit von anderer Gesellscha­ft haben geben können, zeigt, wie notwendig die ästhetisch­e Komponente ist, will man denn ein Gegenbild zum Kapitalism­us überhaupt versuchen.« Auch wenn dem Punk in der Regel diese antikapita­listische Intention insofern fehlte, als dass man sich wenig Illusionen darüber machte, wie eine andere, bessere Gesellscha­ft aussehen könnte, ging es eben nicht darum, konstrukti­v zu sein und in einer Gesellscha­ft zu funktionie­ren, in der die Logik der Verwertung alles bestimmt. Was bleibt? Im Begleittex­t zum Buch betont der Schauspiel­er Wotan Wilke Möhring, ebenfalls ein ExPunk aus dem Ruhrpott, den alten »Spirit«: »Wir finden uns nicht einfach mit den Dingen ab, wir hinterfrag­en sie. Und im Zweifelsfa­ll ändern wir sie. (…) Das Leben ist zu kurz für Wiederholu­ngen. Ich habe immer noch Lust an der rohen Kraft von Punk-Musik, auch nach all den Jahren.« Letztlich sind die Fotos und der damit verbundene imaginäre Soundtrack nicht die schlechtes­te Option, sich mit der Geschichte auseinande­rzusetzen. »Olaf Ballnus – superreal_punk«, bis 9. Dezember, Ping Pong Gallery c/o Trinkhalle, Herner Str. 8, Bochum

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Foto: Olaf Ballnus in der Berliner Görlitzer Straße, 1983 Hausflur
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Foto: Olaf Ballnus Punkclub auf der Oranienstr­aße, Berlin, 1982

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