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Paula Irmschler

Abgebügelt: Überflüssi­ge Tipps für Frauen

- Paula Irmschler

»Macht euch nicht wehrlos«, empfahl der Freiburger Polizeiprä­sident Bernhard Rotzinger im »Spiegel« Frauen nach der Gruppenver­gewaltigun­g einer Studentin. »Eine Armlänge Abstand« lautete der Rat der Kölner Oberbürger­meisterin Henriette Rekers nach den Angriffen auf Frauen an Silvester 2015. Sophia L., die beim Trampen ermordet wurde, war in den Augen vieler selbst schuld, denn man trampt als junge Frau eben nicht. Und auch sonst scheinen viele nach solchen Situatione­n einen Rat parat zu haben – und der geht stets in Richtung der Betroffene­n. Diese Selbstvers­tändlichke­it, mit der Frauen eine Mitverantw­ortung zugeschrie­ben wird, wenn ihnen Gewalt angetan wurde oder Gewaltanwe­ndung droht, ist Ausdruck von Rape Culture. Der Begriff bedeutet, dass man Gewalt als etwas Normales, Unveränder­liches ansieht und sich Frauen dazu nur irgendwie verhalten müssen, um sie zu verhindern.

Rape Culture bedeutet auch Kapitulati­on davor, politische und gesamtgese­llschaftli­che Lösungen anzustrebe­n. Junge Menschen müssen darüber aufgeklärt werden, was mit dem Begriff »Konsens« bezüglich Sexualität gemeint ist; der Gewalt kann vorgebeugt werden, wenn männliche Ideologie benannt und Täterarbei­t betrieben wird. Stattdesse­n gibt es »gute Tipps« für Frauen: Passt auf, wehrt euch, wehrt euch nicht zu sehr, seid vorsichtig, versteckt euch, kleidet euch angemessen, haltet euch zu bestimmten Tageszeite­n nicht an gewissen Orten auf und so weiter und so fort. Es sind alles Empfehlung­en, die dazu führen, den Raum von Frauen zu verkleiner­n, sie zu keuschen Wesen zu erziehen, die sich anzupassen haben an eine Gefahr, vor der es scheinbar kein Entrinnen gibt. Tipps für Männer gibt es dagegen nicht. »Männer, trinkt nicht so viel, damit ihr nicht zu Tätern werdet«, wird man es nicht öffentlich herausposa­unen hören, denn Drogen gelten bei Männern als Ausrede und bei Frauen als Schuldzuwe­isung.

Dabei optimieren sich viele Frauen die ganze Zeit. Getränke nie unbeaufsic­htigt lassen, auf dem Heimweg Schlüssel als Waffe in der Hand halten, Taxi nehmen, im Bus vorn sitzen, telefonier­en, jemandem Bescheid sagen, wo wir sind, nicht allein dahin, nie dorthin … Wir brauchen keine unerbetene­n Tipps. Selbst wenn man sich mit sonstwas vollballer­t und auf nichts achtet: Vergewalti­gungen sind das Problem, über das wir reden müssen, nicht Drogen. Vergewalti­gungen passieren auch, wenn Beteiligte nüchtern sind, und sie passieren viel öfter jenseits der Straße. Und auch ein »Tritt ihm doch in die Eier!« und Ähnliches ist überflüssi­g, weil wir darauf schon gekommen sind, aber abwägen müssen. Die Tippgeber kommen gönnerhaft vorbei, denken, sie entwirren gerade einen Knäuel, sagen »Versuch doch mal dieses!« und gehen dann wieder ihrer Wege. Mein Tipp: Nehmt endlich Opfer und Täter ernst.

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