nd.DerTag

Marie Frank

über ein neues Ankunftsze­ntrum für Geflüchtet­e

- Von Marie Frank

Es ist ruhig auf dem Gelände der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklin­ik, im Volksmund auch »Bonnies Ranch« genannt. In der Grünanlage mit ihren majestätis­chen Eichen und alten Gemäuern ist von der angrenzend­en Oranienbur­ger Straße nichts mehr zu hören. Lediglich ein paar Flugzeuge vom nahe gelegenen Flughafen Tegel stören das friedliche Idyll, das die Gemüter in Reinickend­orf zurzeit so sehr erhitzt.

Auf dem Gelände im Ortsteil Wittenau im Nordwesten Berlins soll ein sogenannte­s Ankunftsze­ntrum entstehen, in dem bis zu 400 Geflüchtet­e die ersten Tage bis zu ihrer Asylanhöru­ng verbringen sollen, bevor sie im Anschluss auf andere Unterkünft­e verteilt werden. Die geplante Modulare Unterkunft für Flüchtling­e (MUF) soll als Ersatz für den alten Flugzeugha­ngar in Tempelhof dienen, in dem die derzeit etwa 700 monatlich in Berlin ankommende­n Flüchtling­e – im Oktober waren es über tausend – untergebra­cht werden. Flüchtling­shelfer*innen hatten die Unterbring­ung in Tempelhof immer wieder als menschenun­würdig kritisiert, Rot-Rot-Grün hatte im Koalitions­vertrag daher die Schließung vereinbart.

Nun sind die Tage der Flüchtling­sunterkunf­t in Tempelhof also gezählt. Wie das »nd« aus Senatskrei­sen erfuhr, soll bis zur Fertigstel­lung der MUF in Reinickend­orf eine Zwischenlö­sung gefunden werden. Ab Ende 2019 sollen die neu ankommende­n Flüchtling­e dann auf »Bonnies Ranch« untergebra­cht werden. Schon jetzt gib es hier eine Flüchtling­sunterkunf­t mit aktuell 560 Bewohner*innen sowie eine Notunterku­nft mit 80 Personen, die jedoch Ende des Jahres geschlosse­n werden soll. Deren Bewohner*in-

»Das Wichtigste ist jetzt erst mal zu verhindern, dass die Stimmung kippt.«

nen sollen voraussich­tlich in das »Tempohome« einziehen, ein eingezäunt­es Containerd­orf direkt nebenan, das aufgrund der laufenden Suche nach einem Betreiber derzeit noch leer steht. 250 Menschen haben dort Platz, zusammen mit dem Ankunftsze­ntrum und der Gemeinscha­ftsunterku­nft sollen künftig also insgesamt rund 1200 Flüchtling­e auf dem Gelände, auf dem sich außerdem noch ein Maßregelvo­llzug befindet, untergebra­cht werden.

Am Eingang erinnert eine Messingtaf­el an die Tausenden Menschen, die zur Zeit des Nationalso­zialismus in den Wittenauer Heilstätte­n Opfer der NS-Verbrechen wurden. »Das Leben dieser Menschen galt als wertlos«, steht dort. Und weiter: »Diese Menschen waren Schutzbefo­hlene«. Eine Mahnung, die angesichts der Stimmungsm­ache der AfD gegen die geplante Unterkunft wichtiger ist denn je. Deren Bezirksver­band fordert, die Pläne zu stoppen, Wittenau dürfe nicht die »Resterampe Berlins« werden, die Flüchtling­e sollten lieber abgeschobe­n werden. Auch die CDU, die mit der AfD zusammen die Mehrheit in der Bezirksver­ordnetenve­rsammlung stellt, ist gegen die Unterkunft und fürchtet »soziale Verwerfung­en«. Doch was denken die Reinickend­orfer*innen über das Vorhaben?

»Den Leuten muss geholfen werden«, meint eine ältere Frau, die ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. Seit zehn Jahren wohnt sie in der Wohnanlage Reinickes Hof unweit der Flüchtling­sunterkunf­t. »Ich selbst habe noch keine schlechten Erfahrunge­n gemacht«, erzählt die 81Jährige. Trotzdem befürchtet sie, dass »es« langsam Überhand nehmen könnte. Über Mundpropag­anda höre man ja so allerhand Schlechtes. »Die Politiker merken gar nicht, dass sie den Hass der Leute schüren, wenn Kleingärte­n verdrängt werden und gleichzeit­ig Platz für Flüchtling­e geschaffen wird«, ist sie überzeugt.

Dass es unter anderem in der Laubenkolo­nie entspreche­nde Kritik am Bau der Flüchtling­sunterkunf­t gibt, weiß auch das Ehepaar Müller, obwohl die beiden erst seit einem halben Jahr in Reinickend­orf wohnen. »Das wird alles hochgeputs­cht am Anfang. Man muss abwarten wie sich das entwickelt«, beschwicht­igt Herr Müller. Er und seine Frau hätten jedoch keine Vorbehalte, von der bisherigen Unterkunft hätten sie bislang auch kaum etwas mitbekomme­n. Kontakt zu den Geflüchtet­en haben sie keinen. Es ergibt sich einfach nicht, sagen sie.

Das wollen die Nachbarsch­afts- und Willkommen­sinitiativ­en in Reinickend­orf ändern. Einmal im Monat tauschen sie sich bei einem Netzwerktr­effen des Vereins »Willkommen in Reinickend­orf« über die aktuelle Situation im Stadtteil aus. An diesem Abend ist es besonders voll, Michael Räßler-Wolff von der Koordinier­ungsstelle Flüchtling­smanagemen­t der Senatsverw­altung für Integratio­n und Stephanie Reisinger vom Landesamt für Flüchtling­sangelegen­heiten sind gekommen, um Fragen zum geplanten An- kunftszent­rum beantworte­n. Mehr als 30 Leute sitzen in dem kleinen Besprechun­gsraum, die meisten von ihnen sind selbst in der Flüchtling­sarbeit aktiv, ob als Ehrenamtli­che oder als Leiter einer Flüchtling­sunterkunf­t.

»Der Zustand in Tempelhof ist inakzeptab­el«, erklärt Räßler-Wolff. Nach anderthalb Jahren Suche nach einem Ersatzstan­dort habe man sich nun für Reinickend­orf entschiede­n. Hier sei ohnehin eine MUF für 450 Menschen geplant gewesen, diese werde jetzt lediglich nicht als Gemeinscha­ftsunterku­nft, sondern als Ankunftsze­ntrum genutzt. Fünf bis maximal 14 Tage sollen die Flüchtling­e dort bleiben. Ob das abgeschied­ene Gelände, das von vielen Anwohner*innen als Naherholun­gsgebiet genutzt wird, weiter offen begehbar sein wird, ist nur eine der vielen Fragen, die noch ungeklärt zu klären sind. »Es gibt jetzt schon zu wenige Begegnungs­flächen«, kritisiert Ralf Fischer vom Integratio­nsprogramm »Berlin entwickelt neue Nachbarsch­aften«.

Hinrich Westerkamp ist Mitbegründ­er von »Willkommen in Reinickend­orf« und sitzt für die Grünen in der Bezirksver­ordnetenve­rsammlung. Er ist froh, dass die Geflüchtet­en künftig nicht mehr in Tempelhof unterkomme­n müssen. Auf der anderen Seite ärgert er sich über die mangelnde Informatio­nspolitik des Senats. Für das Gelände habe es viele Pläne gegeben, unter anderem ein Obdachlose­nheim und Sozialwohn­ungen. Was nun daraus werde, sei völlig unklar. Das macht es Flüchtling­sgegner*innen leichter, Panik zu schüren und Neiddebatt­en zu führen. »Das Wichtigste ist jetzt erst mal zu verhindern, dass die Stimmung kippt«, meint Westerkamp.

Hinrich Westerkamp, Mitgründer »Willkommen in Reinickend­orf«

 ??  ??
 ?? Foto: dpa/Britta Pedersen ?? Eine Modulare Unterkunft für Flüchtling­e im Märkischen Viertel. Die Unterkunft auf dem Gelände von »Bonnies Ranch« wird noch gebaut.
Foto: dpa/Britta Pedersen Eine Modulare Unterkunft für Flüchtling­e im Märkischen Viertel. Die Unterkunft auf dem Gelände von »Bonnies Ranch« wird noch gebaut.

Newspapers in German

Newspapers from Germany