Heidi Diehl
»Das Schokoladenmädchen« und ein Festival in Dresden
Es hätte fürchterlich schief laufen können, doch Francesco Graf Algarotti konnte nicht anders, nachdem er einmal dieses Gemälde erblickt hatte. Es gefiel ihm auf Anhieb so sehr, dass er es dem Künstler Jean-Etienne Liotard 1745 noch an der Staffelei abkaufte – im Auftrag des sächsischen Kurfürsten und polnischen Königs August III. »Dieses vorzügliche Werk lässt mich glauben, dass Seine Majestät es dem schönsten Pastellkabinett der Welt für würdig erachten möge«, sagte Algarotti dem Maler.
120 Golddukaten verlangte Liotard für das Bild – ein Vermögen für die damalige Zeit. Was würde wohl sein Dienstherr sagen, wenn er das Bild sieht, fragte sich Algarotti. Denn anders als die vielen Pastelle, die der kunstliebende Monarch bislang in seinem Dresdner Pastellkabinett gesammelt hatte, zeigte Liotards Bild keine Dame von hohem Stand, sondern ein einfaches Dienstmädchen: Mit weißer Schürze und rosa Seidenhaube serviert es auf einem Tablett heiße Schokolade.
Kurfürst August war sofort begeistert, als er das Bild sah, und gab dem »Stubenmädchen« einen Ehrenplatz in seiner Sammlung. 15 Jahre später dann bekam das Bild auch den Namen, unter dem es zu einem der bekanntesten Pastelle überhaupt geworden ist: »Schokoladenmädchen«.
Umzug in den Semperbau
Viele Legenden ranken sich um die Schöne, doch das Geheimnis, wer da auf dem Bild zu sehen ist, nahm der Künstler mit ins Grab. Alljährlich ziehen Zigtausende Menschen aus aller Welt an ihr vorbei – an ihrem Stammplatz in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden. Nun ist sie für ein paar Monate umgezogen in den Semperbau am Zwinger, wo ihr und dem Mann, der sie schuf, noch bis zum 6. Januar eine Sonderausstellung gewidmet ist.
Möglicherweise war August III. auch deshalb so von dem »Schokoladenmädchen« begeistert, weil Schokolade im 18. Jahrhundert an den europäischen Höfen als neues Luxusgetränk äußerst beliebt war, insbesondere auch am sächsischen Hof. Es ist überliefert, dass Graf Heinrich von Brühl über ein eigenes geheimes Schokoladengewölbe in seinem Dresdner Palais verfügte. Als er 1763 starb, fand man dort 545 Stangen und 7032 Tafeln – insgesamt neun Zentner der exotischen Köstlichkeit, die damals noch ausschließlich als Trinkschokolade zubereitet wurde.
Erste Schokoladenfabrik
1823 gründeten Gottfried Jordan und August Timaeus in Dresden die erste deutsche Schokoladenfabrik, viele weitere folgten in den nächsten Jahren. Dresden galt schon bald als die deutsche Schokoladenhauptstadt. Nahezu 7000 Menschen waren hier zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Scho- koladenindustrie tätig – ein Fünftel der Beschäftigten im gesamten Land. 28 Fabriken in Dresden verarbeiteten damals rund 550 Tonnen Kakao im Jahr, deutschlandweit waren es 1700 Tonnen.
Dresdens süßer Ruf wurde insbesondere auch durch eine Erfindung geprägt, die die Schokoladenindustrie nachhaltig verändert hatte: Hier erfanden Jordan & Timaeus 1839 die Milchschokolade und gleichzeitig die Tafelschokolade zum Essen. Stolz veröffentlichten sie am 22. Mai im »Dresdner Anzeiger« folgende Annonce: »Chocolade mit Eselsmilch präparirt, ohne Gewürz, sowohl zum Kochen ... als auch zum Rohessen in 24 Täfelchen ...«
Noch bis zum Ende der DDR galt Dresden als Schokoladenhochburg – hier war in den
Ein Fest der Schokolade
1930er Jahren der gefüllte Weihnachtskalender erfunden worden. Vor 1989 wurden in der Bezirkshauptstadt Maschinen für Herstellung und Verpackung von Schokolade produziert und in alle Welt exportiert. Mit dem Fall der Mauer verschwand der Ruhm. Damit will sich der 2017 gegründete »Schokolade und Kunst e.V« rund um Eventmanager Ronny Kürschner nicht abfinden. Mit dem 1. »Choco Classico« rund um die Ausstellung zum Schokoladenmädchen wollen die Schokofans vom Verein an die alten Traditionen anknüpfen. Am vergangenen Wochenende nun präsentierten sich im Zwinger 15 Schokoladenmanufakturbetriebe – aus Dresden und Sachsen, aber auch aus anderen Bundesländern.
Die Besucher konnten an Vorführungen zur Pralinenherstellung teilnehmen, Vorträge rund um das Thema Schokolade hören, die erste ostdeutsche Schokoladensommeliere Sara Gierig-Thomas aus Neustadt in Sachsen lud zu Schokoladenmalerei ein, und Schokoladenkünstler Gerhard Petzl aus der Schweiz zeigte einen komplett aus Schokolade gedeckten Tisch, den er in drei Wochen komplett aus Schokolade gefertigt hatte. Im Hallorenmuseum in Halle/Saale hat Petzl sogar ein ganzes Zimmer nur mit Schokolade eingerichtet.
Auch die Dresdner Schokoladentafel-Erfinder Jordan & Timaeus waren beim 1. »Choco Classico« dabei, und das, obwohl die berühmte Fabrik 1931 eigentlich geschlossen wurde – dank zweier junger Frauen aus Lüneburg. Die beiden waren auf ein Buch gestoßen, in dem der Enkel des letzten Inhabers das Leben seines Großvaters und damit auch die letzten Jahre der Fabrik schreibt. Jacobs ist Historiker. Die Lüneburgerinnen Janina Käsche und Christina Englert bekamen das Buch nur zufällig in die Hand, waren aber so fasziniert, dass sie sich mit Hans Jacobs in Verbindung setzten und schließlich unter dem Namen der ersten deutschen Schokoladenfabrik eine eigene Manufaktur gründeten. Unter ihren Produkten ist auch eine Eselsmilchschokolade nach dem Originalrezept. Derzeit arbeiten sie sich durch ein gerade erst im Nachlass von Jordan & Timaeus entdecktes Rezeptbuch. Schon bald sollen einige Rezepturen daraus eine Renaissance erleben. Inzwischen wollen die beiden jungen Frauen von Lüneburg nach Dresden umziehen, um am historischen Standort das Erbe von Gottfried Jordan und August Timaeus zu pflegen.
Noch steht nicht fest, ob es auch 2019 in Dresden ein Schokoladenfestival geben wird. Sicher aber ist, dass Liotards »Schokoladenmädchen« weiter massenhaft Besucher anlocken wird. Ab 7. Januar serviert es seine Schokolade dann wieder am gewohnten Platz in der Gemäldegalerie Alte Meister. Diese Recherche wurde unterstützt von der Tourismus Marketing Gesellschaft Sachsen.