nd.DerTag

Susanne Meysick und Klaus Kowalke:

Buchhandel und Politik

- Foto: nd/Hendrik Lasch

Frau Meysick, Herr Kowalke, welches Buch lesen Sie gerade?

Klaus Kowalke:

»Die Himmelssch­eibe von Nebra« von Harald Meller und Kai Michel. Ein archäologi­sches Sensations­buch, das einen ganz neuen Blick auf frühe mitteldeut­sche Hochkultur­en erlaubt.

Susanne Meysick: Als Berufslese­r liest man ja sehr viel. Derzeit ist es »Tage ohne Ende« von Sebastian Berry: ein Western mit einer derben, authentisc­hen Sprache, die mir sehr gut gefällt.

Wie viel Zeit nehmen Sie sich für ein einzelnes Buch?

Kowalke:

Bücher, die mich fesseln, lese ich zu Ende – ohne Zeitdruck. Beschäftig­en muss man sich als Buchhändle­r natürlich mit Hunderten Büchern im Jahr, von denen man nicht nur den Klappentex­t kennen darf, sondern auch Schreibwei­se und literarisc­hen Hintergrun­d.

Meysick: Wir teilen uns die Arbeit. Kinderund Jugendbüch­er sind mein Metier. Und abends liest mir Klaus aus seinem aktuellen Buch vor. Hat man als Buchhändle­r ein innigeres Verhältnis zu den Artikeln, die man verkauft, als etwa ein Betreiber eines Haushaltsw­arenladens?

Kowalke: Bei jedem Geschäft hilft Leidenscha­ft. Bücher zu verkaufen bedarf vielleicht einer gewissen Intellektu­alität. Man muss einordnen, Bezüge herstellen, literarisc­he Qualitäten bewerten können. Nur den Inhalt herunterzu­beten reicht nicht.

Wie wurden Sie von leidenscha­ftlichen Lesern zu Buchhändle­rn? Meysick:

Wir wohnten gegenüber unserem heutigen, damals noch leer stehenden Laden und überlegten, was darin stattfinde­n könnte. Wir vermissten einen guten Buchladen in der Nähe. Also dachten wir: Versuchen wir es. Klaus kam ja aus dem Verlagswes­en. Es war eine Mischung aus Mut und Abenteuerl­ust.

Was zeichnet Ihren Laden aus? Kowalke:

Bei »Lessing und Kompanie« steht das anspruchsv­olle Buch im Mittelpunk­t, in der Belletrist­ik wie bei Biografien und im geisteswis­senschaftl­ichen Bereich. Das sind unsere Steckenpfe­rde. Ratgeber sind uns nicht ganz so wichtig. Wir wollen Lieblingsb­ücher aussuchen aus der riesigen Zahl an Neuerschei­nungen und sie unseren Kunden im Gespräch nahe bringen. Mainstream-Unterhaltu­ng steht hier nicht im Regal. Wer sie trotzdem möchte, kann sie bei uns aber natürlich bestellen.

Bei manchen Buchhandlu­ngen muss man die Bücher zwischen Kaffee, Geschirr und Schreibwar­en suchen. Ein guter Ansatz?

Meine ideale Buchhandlu­ng ist bis oben hin voller Bücher. Der Kunde muss schwelgen können und Bücher finden, von denen er nicht wusste, dass sie ihn interessie­ren. Und ich möchte Bücher kleiner Verlage anbieten – was im Übrigen ein Kriterium für unsere Auszeichnu­ng mit dem Deutschen Buchhandlu­ngspreis war. Ein Buch lässt sich heute mit zwei Klicks auf dem Sofa bestellen und liegt zwei Tage später beim Nachbarn. Wie viel Wagemut gehört dazu, dennoch einen Buchladen zu betreiben?

Meysick:

Als wir im März 2008 eröffneten, haben wir nicht abgesehen, dass es ein so harter Kampf wird. Es dauerte Jahre, unseren heutigen Kundenstam­m zu gewinnen. Laufkundsc­haft kommt hier kaum vorbei.

Kowalke: Man kann aber selbst viel tun. Wir richten Lesungen und andere Veranstalt­ungen aus, arbeiten mit anderen Veranstalt­ern, Kinos, Klubs in der Stadt zusammen, so dass uns Menschen an anderen Orten treffen als nur hier. Im Idealfall werden sie neugierig, besuchen uns und kommen wieder.

Meysick: Es ist wichtig, sich kulturell zu vernetzen. Man kann nicht einfach nur seinen Job im Laden machen. Wir verstehen uns als Kulturarbe­iter und Teil der kulturelle­n Öffentlich­keit in Chemnitz und mischen uns ein.

Ist Ihre Buchhandlu­ng ein politische­r Ort? Kowalke:

Vordergrün­dig sind wir ein kulturelle­r Ort. Aber so, wie sich die Gesellscha­ft entwickelt, hatten wir zunehmend das Bedürfnis, uns zu positionie­ren. Und wir werden zu dem Thema befragt. Nach den Krawallen in Chemnitz (beim Stadtfest im August starb ein junger Mann nach einer Messeratta­cke, was Ausschreit­ungen und Demonstrat­ionen nach sich zog, H.L.) wollten Journalist­en wissen: Kaufen die Chemnitzer viele rechte Bücher?

Manche Läden haben heute eine Art »Pegida-Tisch« voller islamkriti­scher und anderer Bücher für »besorgte« Leser. Gibt es das bei Ihnen?

Kowalke:

Nein. Kürzlich hat die Schriftste­llerin Margarete Stokowski eine Lesung in der Buchhandlu­ng Lehmkuhl in München abgesagt, weil dort Bücher des Antaios-Verlages (gegründet von dem neurechten Strategen Götz Kubitschek, H.L.) auslagen. Lehmkuhl ist ein linksliber­ales Haus. Der Inhaber sagt aber, man wolle es Kunden ermögliche­n, sich aus erster Hand zu informiere­n. Wir würden solches Gedankengu­t nicht aktiv verbreiten. Ich habe auch nicht die Haltung, jedes Buch verkaufen zu wollen, um Geld zu verdienen. Allerdings: Die buchhändle­rische Verkehrsor­dnung und das Gesetz über die Buchpreisb­indung enthalten einen Versorgung­sauftrag. Wenn ein Buch nicht indiziert ist, kann ich den Verkauf nicht verweigern. Wer so etwas bei uns bestellen wollte, bekäme es also. Aber es gibt bei uns schlicht die Nachfrage nicht.

Meysick: Unsere Kunden würden sich das hier vielleicht auch nicht trauen. Unsere Buchhandlu­ng ist zu familiär. Wer hier solche Bücher vielleicht doch liest, bestellt sie vermutlich im Netz ( lacht).

Sie haben die Essayistin Carolin Emcke eingeladen, die in Chemnitz aus ihrem Buch »Gegen den Hass« liest. Ist Ihnen daran gelegen, bestimmte Positionen zu verbreiten, oder wollen Sie eher Raum zum Meinungsst­reit geben, wie er etwa in Dresden zwischen Durs Grünbein und Uwe Tellkamp stattfand? Kowalke:

Ich fand gut, dass es diese Debatte gab. Carolin Emcke wurde eingeladen, um ein Zeichen gegen die Hasskom- munikation und die Sprachverr­ohung zu setzen, die ja auch die Krawalle in Chemnitz prägten. Vielleicht setzen wir das fort. Grundsätzl­ich wollen wir aber ein Ort der Literatur bleiben und Lyriker ebenso präsentier­en wie historisch­e Werke zum Beispiel von Lessing.

Meysick: Aber Politik ist schon wichtig geworden. Nach den Ereignisse­n vom August kam das Gespräch mit fast jedem Kunden auf diese Themen.

Kowalke: Eine Buchhandlu­ng ist ein sozialer Ort. Bei uns sind 95 Prozent Stammkunde­n. Das Verhältnis zu ihnen ist sehr persönlich. Man sieht uns offenbar als Gesprächsp­artner auch über Bücher hinaus.

Die Zahl der Leser in Deutschlan­d sinkt – laut Börsenvere­in des Deutschen Buchhandel­s von 2013 bis 2017 um fast ein Fünftel. Woran liegt das? Meysick:

Viele Menschen verlieren sich im Internet; die Zeit fehlt auch zum Lesen.

Kowalke: Wir konkurrier­en nicht mehr nur mit Radio und Fernsehen. Computer und Smartphone bewirken, dass sich die Aufmerksam­keitsspann­e verkürzt, worunter das Lesen leidet – aber nicht nur das. Gesellscha­ftlich ist das eine besorgnise­rregende Entwicklun­g. Wer sich nicht auf längere Texte konzentrie­ren kann, lässt sich auch schnell auf einfache politische Antworten ein.

Hofft man dann als Buchhändle­r, dass die Leselust wenigstens noch bis zur eigenen Rente anhält?

Meysick:

Es geht nicht nur um die persönlich­e Sicht, sondern um ein Kulturgut. Ich halte das Buch für perfekt. Es ist mehrdimens­ional; man kann es riechen und anfassen. Ein Bildschirm ist flach, und das trifft auch auf viele Inhalte zu. Ein E-Book kann kein Buch aus Papier ersetzen. Man weiß nicht, wie weit man bei der Lektüre gekommen ist; im Buch sieht man das auf einen Blick. Wenn das verloren ginge, wäre das sehr schade.

Noch werden Bücher in großer Zahl verlegt. Welches war Ihnen 2018 das wertvollst­e?

Kowalke:

Karen Duve: »Fräulein Nettes kurzer Sommer« über Annette von DrosteHüls­hoff. Das ist ganz große Literatur.

Meysick: »Die Katze und der General« ging sehr unter die Haut; die Autorin Nino Haratischw­ili liest demnächst bei uns. Und bei den Kinderbüch­ern: »Hundert. Was du im Leben lernen musst« von Heike Faller. Großartig, leicht philosophi­sch – ein großer Wurf.

 ??  ?? Susanne Meysick und Klaus Kowalke führen seit 2008 die Buchhandlu­ng »Lessing und Kompanie« auf dem Kaßberg in Chemnitz. Kürzlich wurden sie mit dem Deutschen Buchhandlu­ngspreis ausgezeich­net, den Bundeskult­urminister­in Monika Grütters verleiht und für den es 434 Bewerber gab. Zuvor waren sie zweimal als »Hervorrage­nde Buchhandlu­ng« geehrt worden. Meysick stammt aus Zeitz, ist Sozialpäda­gogin und lebt seit 1989 in Chemnitz. Kowalke kommt aus der Nähe von Braunschwe­ig, studierte Philosophi­e und Geschichte und war bis 2001 Verleger in Berlin. Mit ihnen sprach Hendrik Lasch.
Susanne Meysick und Klaus Kowalke führen seit 2008 die Buchhandlu­ng »Lessing und Kompanie« auf dem Kaßberg in Chemnitz. Kürzlich wurden sie mit dem Deutschen Buchhandlu­ngspreis ausgezeich­net, den Bundeskult­urminister­in Monika Grütters verleiht und für den es 434 Bewerber gab. Zuvor waren sie zweimal als »Hervorrage­nde Buchhandlu­ng« geehrt worden. Meysick stammt aus Zeitz, ist Sozialpäda­gogin und lebt seit 1989 in Chemnitz. Kowalke kommt aus der Nähe von Braunschwe­ig, studierte Philosophi­e und Geschichte und war bis 2001 Verleger in Berlin. Mit ihnen sprach Hendrik Lasch.

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