nd.DerTag

Wessen »Durchbruch«?

Nelli Tügel fragt sich, ob es in dem Brexit-Desaster noch so etwas wie eine linke Haltung geben kann

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Er ist da, der Durchbruch beim Brexit! Ist die Einigung ein Grund aufzuatmen, wie allenthalb­en, zumindest auf dem EU-Festland, behauptet wird? Weil so ein Brexit ohne Deal, ein »harter« Brexit verhindert wurde? Wessen »Durchbruch« ist es eigentlich, der da erzielt wurde? Und daran anschließe­nd: Kann es in diesem ganzen Brexit-Theater noch so etwas wie eine linke Haltung, eine linke Strategie geben?

Von Beginn an haben Linke in der Debatte um den Brexit keine gute Figur gemacht. Auch, weil das Referendum im Juni 2016 Antworten auf eine Frage verlangte, die so nicht gestellt werden sollte: Leave or Remain, raus aus der EU oder in ihr bleiben? Eine linke Fragestell­ung wäre: In was für einem europäisch­en Zusammensc­hluss wollen wir bleiben? Oder: Wofür soll die EU eigentlich verlassen werden? Ersteres stellten die linken Befürworte­r der Remain-Kampagne in den Mittelpunk­t, die vor dem Referendum allerdings völlig unsichtbar im Getöse der Tony Blairs und David Camerons unterginge­n. Zweiteres versuchten jene Teile der britischen Linken, die für einen Lexit, einen linken Austritt aus der EU warben, progressiv zu beantworte­n. Auch ihr Ansatz darf als gescheiter­t betrachtet werden – er blieb stets marginalis­iert: Der Brexit war und ist vor allem ein Projekt der Konservati­ven und Rechten; derjenigen, die keine polnischen Arbeiter mehr im Land haben wollen und die Austerität­swillen allein in Brüssel sehen, obgleich dies im Land Margaret Thatchers natürlich absurd ist.

Seit 2016 gibt es auf die Frage, in was für einem europäisch­en Bund wir leben wollen und wie wir ihn erreichen können, keine hörbare linke Antwort, die begeistert oder ermutigt. Unter anderem, weil Labour-Chef Jeremy Corbyn beim Brexit vage auftritt und Ideen wie eine »neue« Zollunion nicht konkretisi­ert wurden. Dabei demonstrie­ren die Tories doch vor aller Augen ihr Versagen: Große, auch soziale Versprechu­ngen wurden gemacht mit dem Brexit, doch was droht, ist ein Desaster. Nicht unwahrsche­inlich, dass mit Verweis auf den Deal in Großbritan­nien neue Sozialkürz­ungen angegangen werden. Selbst der Frieden in Nordirland steht wieder zur Debatte. Und die von alledem am meisten Betroffene­n saßen gar nicht am Verhandlun­gstisch.

Mit dem »Durchbruch« öffnet sich nun ein kurzes Zeitfenste­r. Der Brexit wirft fundamenta­le Fragen auf, die Zukunft der Beziehunge­n innerhalb Europas steht zur Debatte. Eine grundsätzl­iche Änderung der Zollunion und des Binnenmark­ts, in dem ja zumindest Nordirland notfalls verbleiben soll, geht alle an. Wie wäre es, wenn endlich über eine Abschaffun­g der neoliberal­en Maastricht-Kriterien, einen Schuldensc­hnitt und eine Sozialunio­n mit massivem Investitio­nsprogramm von Athen bis Dublin diskutiert würde? Linke, nicht nur in Großbritan­nien, sondern in Irland, Nordirland und dem Rest Europas, haben nun ein letztes Mal vor dem Brexit die Chance, gemeinsam eine eigene Position jenseits von Brüssel und Westminste­r zu beziehen. Im Mittelpunk­t sollte dabei nicht die Frage stehen: Brexit ja oder nein. Denn diese verkürzte Frage versperrt den Blick auf das Wesentlich­e: So wie es ist, kann Europa nicht bleiben.

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