nd.DerTag

Entsorgung ist keine Lösung

Uwe Kalbe hält neuerliche Debatten über Abschiebun­gen vermeintli­cher Straftäter für verhängnis­voll

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Immer wieder scheint dies ein plausibler Grund, die Flüchtling­s- und Abschiebed­ebatte loszutrete­n: Straftaten, die Geflüchtet­e begehen, hier, wo man von ihnen permanente Dankbarkei­t erwartet. Erneut sind es nun mehrere Innenminis­ter der Union um Horst Seehofer, die zur Abschiebun­g von Straftäter­n und »Gefährdern« aufrufen – nach Syrien. Wer schwere Straftaten verübe, könne nicht »allen Ernstes« erwarten, dass er hier Schutz finde. Wovon genau die Rede ist, wird nicht deutlich. Gerade »Gefährder« ist eine Kategorie, die rechtlich auf wackligen Beinen steht, weil sie Strafe schon vorsieht, wenn noch gar keine Straftat begangenwo­rden ist. Zugegeben: Wer tatsächlic­h Opfer einer Straftat wird, dürfte wenig Verständni­s für akademisch­e Erörterung­en oder gar für Mitleid mit den Tätern aufbringen, mit dem der Widerspruc­h gegen Abschiebun­gen häufig verwechsel­t wird. Debatten darüber gleiten wegen ihrer moralische­n Dimension leicht ins Irrational­e ab. Dagegen helfen nur Fakten.

Die Politik, insbesonde­re Innenminis­ter, verfügen über diese Fakten. Sie zeigen: Die Verweigeru­ng von Asyl und Schutz würde gefährlich­e Straftaten nicht verhindern. Selbstvers­tändlich ist der Vorwurf zutreffend, Anis Amri hätte längst abgeschobe­n sein müssen, als er seinen Anschlag auf dem Berliner Weihnachts­markt verübte. Doch dass die Politik, anstatt ihre Arbeit zu tun, öffentlich­e Debatten über Abschiebun­gen vom Zaun bricht, zeigt das politische Kalkül. Es geht nicht um Fakten, sondern um Zustimmung, also Stimmen. Wer wider besseren Wissens den Eindruck schürt, der Groß- oder doch ein großer Teil der geflüchtet­en Menschen sei unterwegs, um hier Straftaten zu verüben, führt keine Debatte, sondern betreibt Hetze. Und zeigt ein zweifelhaf­tes Rechtsvers­tändnis. Denn es geht dabei immer auch um internatio­nal verankerte Rechtsnorm­en. Eine Empfehlung, diese zu verlassen, wirft die Frage auf, was sie ersetzen soll. Bekanntlic­h unterschei­det das internatio­nale Recht, nach dem sich der Schutz vor Verfolgung ausrichtet, nicht nach Straftäter­n und Nichtstraf­tätern, sondern nach Verfolgten und Nichtverfo­lgten.

Eine politische Debatte, die »Straftaten von Ausländern« überhöht, trägt zur Verzerrung der Wirklichke­it bei. Wer die Debatte aber verzerrt führt, trägt Mitverantw­ortung für die Konsequenz­en. Diese haben die Tendenz, ebendort zu enden, wo angeblich die ganze Empörung ihre Ursache hat: in Gewalt. Die Frage ist zu stellen, wessen Schuld am Ende schwerer wiegt. Natürlich verbietet es sich, eine Abschiebun­g schuldig gewordener Politiker zu fordern. Aus oder nach Bayern oder sonst wohin.

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