Der erste große Sieg
Alexander Zverev gewinnt das Saisonfinale der besten Tennisprofis. Doch ein Manko bleibt noch
Mit seinem Triumph beim Saisonfinale ist Alexander Zverev endgültig aus dem Schatten von Tennislegende Boris Becker getreten. Von einer Wachablösung an der Weltspitze will er aber nichts wissen. Nach dem größten Coup seiner noch jungen Tenniskarriere verabschiedete sich Alexander Zverev erst einmal erschöpft in den Urlaub nach Dubai. Doch bevor er am Montagmorgen aus London abflog, richtete Deutschlands junger Tennisstar noch einmal den Blick in die Zukunft. »Das war die beste Saison meiner Karriere bislang, aber das wird sich nächstes Jahr hoffentlich wieder ändern«, sagte der 21 Jahre alte Hamburger in London.
Dort hatte er in dieser Woche erst den Schweizer Roger Federer im Halbfinale und dann im Endspiel den Weltranglistenersten Novak Djokovic aus Serbien bezwungen. Zverev trug sich damit als erster Deutscher seit 23 Jahren und erst dritter Deutscher überhaupt nach Boris Becker und Michael Stich in die Siegerliste des Saisonabschlusses der besten acht Spieler eines Jahres ein. Den überraschend klaren 6:4, 6:3-Erfolg im Finale gegen Djokovic würdigten Medien weltweit und Prominenz aus Politik und Sport mit Superlativen und poetischen Hymnen.
»Mit seinen Stelzenbeinen und seinen schnell zuckenden Muskeln sprang der 1,98 große Zverev wie ein gigantischer Watvogel an der Grundlinie entlang«, dichtete der britische »Telegraph« über den Hamburger. »Zverev schlug Djokovic mit seinen eigenen Waffen, indem er seinen Gegner mit der unnachgiebigen Beharrlichkeit seines Ballschlags zermürbte«, schrieb »The Independent«. Und natürlich durfte die Überschrift »Alexander der Große« nicht fehlen, wie sie die französische »L'Équipe« wählte.
Regierungssprecher Steffen Seibert, die deutsche Fußballnationalmannschaft, Wimbledonsiegerin Angelique Kerber und die deutsche Tennisverbandsspitze schickten Glückwünsche und Gratulationen. »Sascha ist durch diesen Triumph endgültig als Star angekommen. Er hat in einem Turnier erst Federer und da- nach Djokovic bezwungen und damit unter Beweis gestellt, dass er in der absoluten Weltspitze angelangt ist. Der Titel von London zeigt, dass er der Größte der neuen Generation ist«, sagte der DTB-Herrenchef Becker.
Der Größte der neuen Generation ist dieser 1,98 Meter lange Alexander Zverev ohne Zweifel. Seine Konkurrenten heißen längst nicht mehr Stefanos Tsitsipas, Denis Shapowalow oder Frances Tiafoe. Alles aufregende Nachwuchsspieler, die künftig die Szene aufmischen werden. Zverev tut dies bereits heute. Kein Profi hat 2018 auf der ATP-Tour mehr Matches gewonnen. Mit neun Titeln ist er schon jetzt der erfolgreichste deutsche Tennisspieler nach Becker, Stich und Tommy Haas – mit gerade einmal 21 Jahren. Die Zusammenarbeit mit dem früheren Weltklasseprofi Ivan Lendl hat sich bereits ausgezahlt. Der Titel von London wird wohl nicht der letzte dieses Duos gewesen sein.
»Wir wussten vorher, dass er Grand-Slam-Turniere gewinnen kann. Jetzt wird er bei jedem Grand Slam zu den Favoriten zählen«, sagte der faire Finalverlierer Djokovic über den neuen Weltranglistenvierten Zverev. Voller Respekt sprach der Serbe damit das letzte Manko seines deutschen Kontrahenten an. Das Abschneiden bei den vier wichtigsten Turnieren darf getrost durchwachsen genannt werden. Das Viertelfinale bei den French Open 2018 ist Zverevs bislang bestes Grand-Slam-Resultat. Das soll sich im neuen Jahr ändern.
Daher hat Zverev nach dem Urlaub in Dubai und den Malediven schon wieder den nächsten wichtigen Termin im Hinterkopf. Am 2. Dezember um 9 Uhr werde er wieder auf dem Platz stehen und trainieren, kündigte er schmunzelnd an. Seine gute Laune ließ er sich auch nicht von einer Frage verderben, die ihm nicht so gut gefiel.
Wie es denn so sei, die besten Spieler in der Geschichte dieses Sports wie Federer, Djokovic oder den verletzt fehlenden Rafael Nadal so langsam vom Thron zu stoßen, wollte ein Reporter wissen. »Moment mal. Die anderen sind immer noch die Nummern eins, zwei und drei und damit die besten Spieler der Welt« sagte Zverev ernst. Er fügte dann aber nach kurzer Pause hinzu, dass er das »natürlich« ändern wolle – womöglich schon im kommenden Jahr.