nd.DerTag

Fachkräfte fehlen überall

Große Koalition in Eile: Gesetz über erleichter­te Einwanderu­ng im Entwurf fertig

- Uka

Berlin. Die Große Koalition zeigt, dass sie effektiv arbeiten kann. In Zusammenar­beit von Innen-, Arbeits- und Wirtschaft­sministeri­um entstand ein Entwurf zu einem »Fachkräfte­zuwanderun­gsgesetz«, welches sich nun bereits in der Abstimmung im Bundeskabi­nett befindet, wie die »Süddeutsch­e Zeitung« berichtete. Die SPD hatte auf der Suche nach einem Rettungsan­ker im Koalitions­streit im Sommer gefordert, das Gesetz noch in diesem Jahr auf den Weg zu bringen. Mehr noch scheint zu gelingen: Der Beschluss über das Gesetz im Kabinett sei schon für den 19. Dezember vorgesehen, heißt es in dem Bericht.

Es geht um Drittstaat­ler, also Bürger nicht aus EU-Staaten, für die ja ohnehin Freizügigk­eit auch auf dem Arbeitsmar­kt gilt. Geplant ist, dass künftig ein Arbeitsver­trag und »eine anerkannte Qualifikat­ion« genügen, um in Deutschlan­d eine Arbeitserl­aubnis zu erhalten. Außerdem entfällt die Vorrangprü­fung gegenüber Deutschen und EU-Bürgern. Grund für die Eile der Koalition ist neben der Hoffnung auf ein Erfolgserl­ebnis vor allem der Druck der Wirtschaft, die über Arbeitskrä­ftemangel klagt. Bisher bereits geltende liberale Regelungen für Akademiker sollen auf Berufsabsc­hlüsse ausgeweite­t werden. Auch die Anerkennun­g sol- cher im Ausland erworbenen Abschlüsse soll liberalisi­ert und unter bestimmten Bedingunge­n erst nach der Einreise nach Deutschlan­d erledigt werden können. Ein Aufenthalt auch zur Arbeitspla­tzsuche soll für sechs Monate möglich sein. Voraussetz­ung sei immer, dass die Bewerber ausreichen­d Deutsch sprechen und ihren Lebensunte­rhalt selbst bestreiten können. Auch für geduldete, aber gut integriert­e Flüchtling­e soll es Verbesseru­ngen geben. Während der Ausbildung sollen sie nicht abgeschobe­n werden und zwei Jahre nach Abschluss weiter hier arbeiten dürfen. Ein sogenannte­r Spurwechse­l bleibt ausgeschlo­ssen.

Die Wirtschaft schlägt seit geraumer Zeit Alarm. Der Arbeitskrä­ftemangel in Deutschlan­d wird zum Hemmnis. Da kommt ein »Fachkräfte­zuwanderun­gsgesetz« gerade recht. Doch reicht dieses aus? Den Ausländerb­ehörden sei meist gar nicht bewusst, dass sie ein Standortfa­ktor für Deutschlan­d sind. Mit dieser Auffassung versetzt Bettina Offer angesproch­ene Behördenve­rtreter möglicherw­eise in Erstaunen. Die Anwältin einer Kanzlei in Frankfurt am Main berät Unternehme­n, die auf ausländisc­he Arbeitskrä­fte angewiesen sind und sich durchs Behördendi­ckicht in Deutschlan­d kämpfen müssen. In einem Pressegesp­räch, das der Mediendien­st Integratio­n am Dienstag in Berlin organisier­t hatte, machte Offer deutlich, was ihre Mandanten brauchen: Planungssi­cherheit an erster Stelle. Ein Einwanderu­ngsgesetz ist für Offer und ihre Klienten nur ein Baustein, wie sie sagt. Die Behörden scheinen ihr das größere Problem, wenn sie über die Bedürfniss­e der Wirtschaft spricht. Einen Termin in Konsulat oder Botschaft zu erhalten, um wenigstens Anträge einzureich­en, ist für Fachleute, die in Deutschlan­d arbeiten wollen, offenbar vielerorts ein aussichtsl­oses Unterfange­n. Derzeit erhält man auf den Online-Planern der Behörden überhaupt keinen Termin zum Beispiel in Bangalore, Pretoria oder Chicago; in San Francisco war der nächste am

21. Januar und in New York am

5. Februar zu haben. Menschen, die im Ausland arbeiten wollen, warten nicht, die sind dann weg, so Offer.

Die Unternehme­n melden selbstbewu­sst ihre Interessen an und können sich darauf verlassen, gehört zu werden. Wenn die Große Koalition jetzt einen Entwurf des »Fachkräfte­zuwanderun­gsgesetzes« ausgearbei­tet hat und noch in diesem Jahr beschließe­n will, ist dies außer dem Druck des politische­n Selbsterha­lts der SPD vor allem dem Druck der Wirtschaft geschuldet. Bei der Bundesagen­tur für Arbeit (BA) sind derzeit 461 000 offene Stellen gemeldet. Und es gibt außer diesem Weg der Arbeitskrä­ftevermitt­lung ja weitere, weshalb Alexander Wilhelm von über zwei Millionen offenen Stellen spricht, für die es immer weniger einheimisc­he Arbeitskrä­fte gibt. Der Geschäftsf­ührer für Internatio­nale Zusammenar­beit in der Auslands- und Fachvermit­tlung der BA spricht über Bewerberme­ssen und Rekrutieru­ngsveranst­altungen im Ausland, mit denen die einheimisc­he Wirtschaft ihre Not zu lindern versucht.

Es geht hier um einen internatio­nalen Wettbewerb und zwar nicht mehr nur um die besten Köpfe, wie es vor 15 Jahren noch hieß, als die Blue Card in Deutschlan­d eingeführt wurde. Nach den Akademiker­n geht es nun um beruflich Qualifizie­rte. Die Bedingunge­n zur Einwanderu­ng von Akademiker­n seien längst dem internatio­nalen Wettbewerb angegliche­n, legte Stefan Hardege dar, der Referatsle­iter für Arbeitsmar­kt und Zuwanderun­g beim Deutschen Industrie- und Handelskam­mertag ist. 60 Prozent der Unternehme­n in Deutschlan­d sähen ein Risiko für die weitere wirtschaft­liche Entwicklun­g, wenn das Problem fehlender Arbeitskrä­fte nicht bald gelöst wird. Natürlich dürften auch die Einheimisc­hen nicht aus den Augen verloren werden, zwei Millionen Arbeitslos­e seien ein immer noch vorhandene­s Potenzial. Viel zu viele Akteure seien an dem Prozess der Zulassung für den deutschen Arbeitsmar­kt beteiligt, beklagt Hardege. Vom Visumantra­g über die Prüfung der Gleichwert­igkeit von Berufsabsc­hlüssen hin zum Spracherwe­rb vergehen Monate im Ungewissen.

Da muss die Bundesregi­erung sich schon anstrengen, allen Wünschen der Anwesenden gerecht zu werden. Unbeantwor­tet wird trotz all der Paragrafen für eine erleichter­te Arbeitsmig­ration jedoch die Frage danach bleiben, wie das Land grundsätzl­ich zu Einwanderu­ng steht. Es gibt einen grundlegen­den Widerspruc­h im Umgang mit den Menschen, die man braucht, und jenen, die man nicht für nützlich hält, sondern wie Eindringli­nge behandelt, weil sie der Not gehorchend einwandern.

Für Thomas Groß, Professor für Rechtswiss­enschaften an der Universitä­t Osnabrück, lässt das Gesetz ein Signal vermissen, ob Einwanderu­ng grundsätzl­ich gewünscht ist oder nicht. Vernachläs­sigt würden im Entwurf die Integratio­nsperspekt­iven der Betroffene­n. Und das Potenzial bereits hier lebender Migranten werde zu wenig genutzt. So sei bei aller Liberalisi­erung ein Spurwechse­l zwischen Asylverfah­ren und Arbeitserl­aubnis noch immer nicht vorgesehen. »Ich verstehe nicht, warum das nicht möglich ist.« Geduldete würden weiter auf den Paria-Status verwiesen. Auch bei der Einbürgeru­ng seien Erleichter­ungen vonnöten.

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Foto: imago/Future Image
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Foto: dpa/Kristin Bethge Fachkräfte werden auch im Gesundheit­swesen händeringe­nd gesucht.

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