nd.DerTag

Halbe Therapie

Uwe Kalbe über den Entwurf zu einem Einwanderu­ngsgesetz

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Deutschlan­d ist auch im Umgang mit Migration ein gespaltene­s Land. Das betrifft nicht nur die Haltung der Bevölkerun­g oder der Parteien, sondern auch die innere Staatslogi­k. Gefangen in einer nationalen Schizophre­nie, kämpfen die nackte Abwehr von Migranten und die von der Wirtschaft getriebene Einsicht in die eigenen Bedürfniss­e als Grundimpul­se um Vorherrsch­aft. Absehbar ist, dass die Migrations­befürwortu­ng letzten Endes siegt, weil die Interessen der Wirtschaft, die ohne Blutzufuhr der Migration nicht zu befriedige­n sind, stärker sein werden. Es handelt sich um die ganz normale Spaltung und Auslese, die zum Wesen dieser Gesellscha­ft gehört und ihr Funktionie­ren sichert. Den Preis zahlen in diesem wie in allen anderen Fällen die Chancenlos­en – Inländer und Ausländer gleicherma­ßen, die Bildungsfe­rnen etwa und die Flüchtling­e.

Spricht dies für oder gegen ein Einwanderu­ngsgesetz? Das Gesetz bringt Ordnung in das bestehende Paragrafen­wirrwarr, schafft weitere Erleichter­ungen für Zuwanderun­g – schon jetzt ist Deutschlan­d längst eines der zuwanderun­gsfreundli­chen Länder, was die Fachkräfte­zuwanderun­g betrifft – und es wird langfristi­g zur Toleranz gegenüber Migration beitragen. Ob gut oder schlecht, dies ist der Gang der Dinge. Spaltungen verringert das Gesetz nicht, es folgt vielmehr der Tendenz ihrer Globalisie­rung. Was daraus folgt, ist offen. Spaltung der Linken? Aufstand der Rechten? Liberalisi­erung? Was das Gesetz nicht ersetzt, ist der Kampf um die Rechte derer, die mit ihm nicht gemeint sind.

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