Europa steht ohne Budget da
Streit zwischen Rat und Parlament über EU-Mittel eskaliert / Kein Fortschritt bei Eurozonen-Haushalt
Nächstes Jahr finden die Wahlen zum Europaparlament statt. Eine Vertiefung der Gemeinschaft scheitert bereits an Streitereien bezüglich gemeinsamer Budgets. Der EU droht für das Jahr der Wahl zum Europaparlament ein Nothaushalt. Die EU-Abgeordneten und die Mitgliedsstaaten konnten sich am Montag nicht auf ein Budget für 2019 verständigen. Eine Einigung sei »aufgrund des Vorbehalts des Rates zur Möglichkeit der Umverteilung ungenutzter Forschungsmittel« nicht möglich gewesen, erklärte der liberale Europaparlamentarier und Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Jean Arthuis, nachdem die Verhandlungen am Abend gescheitert waren.
Nun muss die EU-Kommission einen Kompromissvorschlag ausarbeiten, auf den sich beide Par- teien einigen können. Gelingt dies nicht, müssten die EU-Ausgaben über ein Notbudget finanziert werden. Der bisherige Haushalt würde dann von Monat zu Monat ohne die für 2019 vorgesehenen Erhöhungen und Neuausrichtungen fortgeschrieben.
Streit gibt es weiterhin darüber, wie hoch das Budget sein soll. Die EU-Mitgliedsstaaten wollten zunächst nur 148,2 Milliarden Euro geben, die EU-Parlamentarier forderten 149,3 Milliarden Euro. EU-Kommissar Günther Oettinger zufolge sollen beide Parteien zuletzt noch rund 400 Millionen Euro auseinandergelegen haben. Zudem gibt es eine Auseinandersetzung wegen der Finanzierung des Flüchtlingsdeals mit der Türkei. Zwei der drei Milliarden Euro, die Ankara noch bekommen soll, wollen die Mitgliedsländer aus dem EU-Haushalt nehmen. Dem Parlament ist dies zu viel.
Gleichzeitig scheiterten Deutschland und Frankreich am Montag vorerst mit ihrem Vorstoß zur Schaffung eines gemeinsamen Budgets für die Eurozone. Die von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seit Längerem geforderte Reform der Wirtschaftsunion war bereits im Vorfeld von Deutschland eingedampft worden. Der den Euromitgliedern nun vorgestellte Kompromiss ging Ländern wie Irland und den Niederlanden offenbar trotzdem noch zu weit. So blieben laut dem niederländischen Finanzminister Wopke Hoekstra viele Fragen offen. Und »wenn das nicht im Interesse der Niederlande oder des niederländischen Steuerzahlers ist, sind wir draußen«, so Hoekstra.
Unterdessen geht der Reformvorschlag Politikern der Grünen und LINKEN nicht weit genug. »Das vorgeschlagene Budget ist zu klein, um zu halten, was der Name verspricht. Wir brauchen mehr Geld für Investitionen«, erklärte der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold.
Der stellvertretende Vorsitzende der LINKE-Bundestagsfraktion Fabio de Masi, der einige Zeit im Europaparlament war, sagte bereits im Vorfeld: »Das Budget soll aus dem EU-Haushalt aufgebracht werden, der wegen des Brexits ohnehin unter Druck steht.« Zudem werde das Budget an nachfragehemmende Strukturreformen wie Lohn- und Rentenkürzungen geknüpft.
Wenn am 23. Mai kommenden Jahres über ein neues Europaparlament abgestimmt wird, geht es auch um die Zukunft Europas. Es geht um die Frage, wie viele Stimmen die Rechte bekommt, die nur im gemeinsamen Parlament hocken wollen, um ein gemeinsames Europa abschaffen zu können.Wie sehr die Stimmung schon nach rechts Richtung Desintegration gekippt ist, zeigen die vorerst gescheiterten Verhandlungen zwischen EUMitgliedsländern und Europaparlament über den EU-Haushalt.
Zwar wollen Zweckoptimisten wie Haushaltskommissar Günther Oettinger der Öffentlichkeit weismachen, dass man sich nur noch um 400 Millionen, quasi um Detailfragen, streite. Doch geht es letztlich auch um die Grundsatzfrage, wie viel die einzelnen Mitglieder noch bereit sind, an die Gemeinschaft abzutreten. Dass der EU zwecks mangelndem Willen für 2019 ein Nothaushalt droht, stellt diesbezüglich eine neue Qualität dar.
Dabei trägt die Bundesregierung eine große Schuld, dass die durchaus – vor allem auch sozialpolitisch – reformbedürftige EU weiter auseinanderzubrechen droht. Die alte Koalition, weil sie während der Krise den Zuchtmeister Europas spielte. Die neue, weil sie wichtige Reformen blockiert.
Doch ist es nicht zu spät für die Zukunft, die Kreuze auf den Wahlzetteln sind noch nicht gemacht.