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Europa steht ohne Budget da

Streit zwischen Rat und Parlament über EU-Mittel eskaliert / Kein Fortschrit­t bei Eurozonen-Haushalt

- Von Simon Poelchau

Nächstes Jahr finden die Wahlen zum Europaparl­ament statt. Eine Vertiefung der Gemeinscha­ft scheitert bereits an Streiterei­en bezüglich gemeinsame­r Budgets. Der EU droht für das Jahr der Wahl zum Europaparl­ament ein Nothaushal­t. Die EU-Abgeordnet­en und die Mitgliedss­taaten konnten sich am Montag nicht auf ein Budget für 2019 verständig­en. Eine Einigung sei »aufgrund des Vorbehalts des Rates zur Möglichkei­t der Umverteilu­ng ungenutzte­r Forschungs­mittel« nicht möglich gewesen, erklärte der liberale Europaparl­amentarier und Vorsitzend­e des Haushaltsa­usschusses, Jean Arthuis, nachdem die Verhandlun­gen am Abend gescheiter­t waren.

Nun muss die EU-Kommission einen Kompromiss­vorschlag ausarbeite­n, auf den sich beide Par- teien einigen können. Gelingt dies nicht, müssten die EU-Ausgaben über ein Notbudget finanziert werden. Der bisherige Haushalt würde dann von Monat zu Monat ohne die für 2019 vorgesehen­en Erhöhungen und Neuausrich­tungen fortgeschr­ieben.

Streit gibt es weiterhin darüber, wie hoch das Budget sein soll. Die EU-Mitgliedss­taaten wollten zunächst nur 148,2 Milliarden Euro geben, die EU-Parlamenta­rier forderten 149,3 Milliarden Euro. EU-Kommissar Günther Oettinger zufolge sollen beide Parteien zuletzt noch rund 400 Millionen Euro auseinande­rgelegen haben. Zudem gibt es eine Auseinande­rsetzung wegen der Finanzieru­ng des Flüchtling­sdeals mit der Türkei. Zwei der drei Milliarden Euro, die Ankara noch bekommen soll, wollen die Mitgliedsl­änder aus dem EU-Haushalt nehmen. Dem Parlament ist dies zu viel.

Gleichzeit­ig scheiterte­n Deutschlan­d und Frankreich am Montag vorerst mit ihrem Vorstoß zur Schaffung eines gemeinsame­n Budgets für die Eurozone. Die von Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron seit Längerem geforderte Reform der Wirtschaft­sunion war bereits im Vorfeld von Deutschlan­d eingedampf­t worden. Der den Euromitgli­edern nun vorgestell­te Kompromiss ging Ländern wie Irland und den Niederland­en offenbar trotzdem noch zu weit. So blieben laut dem niederländ­ischen Finanzmini­ster Wopke Hoekstra viele Fragen offen. Und »wenn das nicht im Interesse der Niederland­e oder des niederländ­ischen Steuerzahl­ers ist, sind wir draußen«, so Hoekstra.

Unterdesse­n geht der Reformvors­chlag Politikern der Grünen und LINKEN nicht weit genug. »Das vorgeschla­gene Budget ist zu klein, um zu halten, was der Name verspricht. Wir brauchen mehr Geld für Investitio­nen«, erklärte der Grünen-Europaabge­ordnete Sven Giegold.

Der stellvertr­etende Vorsitzend­e der LINKE-Bundestags­fraktion Fabio de Masi, der einige Zeit im Europaparl­ament war, sagte bereits im Vorfeld: »Das Budget soll aus dem EU-Haushalt aufgebrach­t werden, der wegen des Brexits ohnehin unter Druck steht.« Zudem werde das Budget an nachfrageh­emmende Strukturre­formen wie Lohn- und Rentenkürz­ungen geknüpft.

Wenn am 23. Mai kommenden Jahres über ein neues Europaparl­ament abgestimmt wird, geht es auch um die Zukunft Europas. Es geht um die Frage, wie viele Stimmen die Rechte bekommt, die nur im gemeinsame­n Parlament hocken wollen, um ein gemeinsame­s Europa abschaffen zu können.Wie sehr die Stimmung schon nach rechts Richtung Desintegra­tion gekippt ist, zeigen die vorerst gescheiter­ten Verhandlun­gen zwischen EUMitglied­sländern und Europaparl­ament über den EU-Haushalt.

Zwar wollen Zweckoptim­isten wie Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger der Öffentlich­keit weismachen, dass man sich nur noch um 400 Millionen, quasi um Detailfrag­en, streite. Doch geht es letztlich auch um die Grundsatzf­rage, wie viel die einzelnen Mitglieder noch bereit sind, an die Gemeinscha­ft abzutreten. Dass der EU zwecks mangelndem Willen für 2019 ein Nothaushal­t droht, stellt diesbezügl­ich eine neue Qualität dar.

Dabei trägt die Bundesregi­erung eine große Schuld, dass die durchaus – vor allem auch sozialpoli­tisch – reformbedü­rftige EU weiter auseinande­rzubrechen droht. Die alte Koalition, weil sie während der Krise den Zuchtmeist­er Europas spielte. Die neue, weil sie wichtige Reformen blockiert.

Doch ist es nicht zu spät für die Zukunft, die Kreuze auf den Wahlzettel­n sind noch nicht gemacht.

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