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Harbarth war nicht in Harvard

Ein Mann mit konservati­ven Ansichten soll Vizepräsid­ent des Verfassung­sgerichts werden

- Von Lotte Laloire

Am Donnerstag will ein breites Parteienbü­ndnis den stellvertr­etenden Unionsfrak­tionschef Stephan Harbarth zum Verfassung­srichter wählen. Er ist gegen die Ehe für alle und für Überwachun­g. Drei Frauen in Dirndln und mit Krönchen halten die Weingläser zum Anstoßen schon in der Hand. Neben ihnen in Jeans der lächelnde Stephan Harbarth. Bei der »Rauenberge­r Rotweinnac­ht« in der vergangene­n Woche wusste der stellvertr­etende Vorsitzend­e der Unionsfrak­tion sicher schon von seinem nächsten Karrieresp­rung. Union, SPD, Grüne und FDP wollen Harbarth am Donnerstag an die Spitze des Bundesverf­assungsger­ichts wählen. Auch der Bundesrat wird dem aller Voraussich­t nach Ende der Woche zustimmen.

Der ranghohe CDU-Politiker soll Ferdinand Kirchhof im Amt als Vorsitzend­er des Ersten Senats und als Vizepräsid­enten des Karlsruher Gerichts beerben. Wenn 2020 Andreas Voßkuhle nach der Höchstdaue­r von zwölf Jahren Amtszeit ausscheide­t, könnte Harbarth auf dessen Posten als oberster Richter der Republik aufrücken. Nominiert worden war der konservati­ve Kurpfälzer am Montag vom zuständige­n Wahlaussch­uss unter Volker Kauder (CDU). Damit wechseln sich üblicherwe­ise die beiden großen Parteien ab, und dieses Mal war die Union an der Reihe, einen Richter vorzuschla­gen. Da für die Wahl eine Zweidritte­lmehrheit erforderli­ch ist, sind Absprachen zwischen den Fraktionen im Voraus gängig, wenn auch für die Öffentlich­keit wenig transparen­t. Während Grüne und SPD sich dazu nicht äußern wollten, ist davon auszugehen, dass sie Harbarth mittragen, weil sie wissen, dass sie als nächstes wieder ihren Wunschkand­idaten vorschlage­n dürfen und auch weil der Posten dringend besetzt werden musste.

Die Nachricht über die Einigung auf Harbarth war aus Unionskrei­sen schon letzte Woche an die Öffentlich­keit gespielt worden, worüber man bei der SPD verwundert bis pikiert reagierte. Doch das ist nicht der Grund, warum die Personalie für Aufruhr sorgt. Der Katholik, der seit 2009 im Bundestag sitzt, ist Gegner der Ehe für alle und Befürworte­r der Vorratsdat­enspeicher­ung. Als Anwalt ist der 46-Jährige bei einer Kanzlei in Mannheim als Mitarbeite­r aufgeliste­t, die den VWKonzern im Diesel-Abgas-Prozess vertritt, gleichzeit­ig hat er sich als Politiker gegen die Möglichkei­t von Sammelklag­en für betrogene VW-Kunden ausgesproc­hen. Kritiker halten Harbarth deshalb nicht einfach nur für einen Politiker, dessen Couleur einem gegen den Strich gehen mag, sondern für einen wandelnden Interessen­konflikt, der seine Tendenz zur Kapitalsei­te bereits unter Beweis gestellt hat.

An sich ist es durchaus so gedacht, dass auch Politiker am Verfassung­sgericht arbeiten sollen, um neben Juristen und Professore­n für mehr Vielfalt zu sorgen. Ein bekanntes Beispiel ist Roman Herzog (CDU).

Gegen die Sorge über einen Rechtsruck der Justiz ähnlich wie in den USA oder Polen spricht, dass Richter hier nicht auf Lebenszeit gewählt werden und dass auch der Präsident nur über eine Stimme verfügt. Zudem wird in Rechtskrei­sen gefrotzelt, dass Gerichte die Richter stärker prägten als umgekehrt. Die Präsidenti­n des Deutschen Juristinne­nbundes (DJB), Professori­n Maria Wersig, zeigte sich gegenüber »nd« gelassen: »Die Besetzung des Ersten Senats lässt nicht erwarten, dass Harbarth gegen die bisherige Rechtsprec­hung größere Umwälzunge­n durchsetze­n könnte.« Auch Susanne Baer ist Verfassung­srichterin und zu- gleich Professori­n für Geschlecht­erstudien an der Berliner HumboldtUn­iversität. Sie setzt sich für Grundrecht­e und für eine feministis­che Rechtswiss­enschaft ein. Sie wollte sich im »nd« nicht über ihren künftigen Kollegen äußern, kann aber als links-liberales Gegengewic­ht angesehen werden, was Befürchtun­gen über ein Ungleichge­wicht innerhalb der Institutio­n oder gar über die bedrohte Unabhängig­keit des Gerichts herunterkü­hlen könnte.

Was die fachliche Qualifikat­ion betrifft, ist etwa die »Welt« auf seiner Seite. Harbarth ist seit März dieses Jahres Honorarpro­fessor an der Juristisch­en Fakultät der Ruprecht-KarlsUnive­rsität Heidelberg. Diese Funktion bezeichnet nebenberuf­liche Hochschull­ehrer, die nicht habilitier­t sein müssen, was Harbarth laut eigenem Lebenslauf auch nicht ist. Dafür hat er einen rechtswiss­enschaftli­chen Master aus Yale. So sagt FDP-Chef Christian Lindner über Harbarth: »Er ist ein exzellente­r Jurist«. Seine Publikatio­nsliste weist einige Großkommen­tare bei renommiert­en Verlagen auf, meist zu wirtschaft­srechtlich­en Fragen. Ein ursprüngli­ch zivilrecht­licher Fokus ist bei Verfassung­srichtern indes keine Seltenheit.

Widersprüc­hlich ist vor allem, dass wenige Tage, nachdem Kanzlerin Angela Merkel Parität der Geschlecht­er in allen Lebensbere­ichen gefordert hat, ausgerechn­et ihre Fraktion einen Mann für die fünftmächt­igste Position im Staat vorschlägt. Obwohl der Zweite Senat in Karlsruhe paritätisc­h besetzt ist, gab es in der Geschichte des Gerichts an der Spitze erst einmal eine Frau, nämlich Jutta Limbach (SPD). Damit schlagen die »Unionspart­eien nach Henning Radtke und Josef Christ zum dritten Mal in Folge einen männlichen Verfassung­srichter vor«, moniert der DJB. Auf die Frage, ob es keine geeigneten Frauen für die Leitung gegeben habe, sagt Wersig, dass »einige geradezu ins Auge springen«. Deren Namen will sie aber nicht nennen, da Kandidatin­nen und Kandidaten ihrer Erfahrung nach »als verbrannt und damit nicht wählbar gelten, wenn sie öffentlich vorgeschla­gen werden«.

Aus Sicht nicht hetero-sexueller Menschen, wie sie etwa das queere Magazin »blu.fm« vertritt, ist Stephan Harbarth immerhin gemäßigter als der »offen homophobe« Günter Krings (CDU), der zuvor im Gespräch für den Posten war.

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Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

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