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Bankier, Landwirt, Sozialist

Ein Buch und eine Ausstellun­g erinnern an Hugo Simon, eine Schlüsself­igur der Weimarer Republik

- Von Jana Frielingha­us

Eineinhalb Autostunde­n braucht man heute vom Berliner Zentrum nach Seelow. Hugo Simon pendelte in den 1920er Jahren häufig zwischen Hauptstadt und dem 75 Kilometer östlich von ihr gelegenen Städtchen. Der gelernte Landwirt hatte dort 1919 ein großes Areal auf jener Anhöhe erworben, von der aus man weit ins Oderbruch blicken kann und die 1945 Schauplatz einer der letzten furchtbare­n Schlachten des Zweiten Weltkriegs war. Als die Rote Armee das Hitlerreic­h niederrang, war Hugo Simon in Sicherheit, 10000 Kilometer entfernt von seinem einstigen Besitz.

Bis 1933 stand der Bankier und Sozialist, geboren 1880 in Usch (heute Ujście, Polen) als Sohn eines Lehrers jüdischen Glaubens, im Zentrum des gesellscha­ftlichen und geistigen Lebens der Weimarer Republik. Nach der Novemberre­volution 1918 war das Gründungsm­itglied der USPD gar einige Wochen lang Finanzmini­ster. In seiner Villa in Berlin-Tiergarten wie auch im Seelower »Schweizerh­aus« verkehrten die Großen aus Kunst, Literatur und Politik.

Derzeit widmet sich eine Ausstellun­g in der brasiliani­schen Botschaft Leben und Werk Simons. Der Hintergrun­d für die Ortswahl: Brasilien war Simons letzter Zufluchtso­rt auf seiner Flucht vor den Nazis. Parallel ist ein neuer Bild-Text-Band vor allem über sein Wirken in Berlin erschienen, herausgege­ben von AnnaDoroth­ea Ludewig und Rafael Cardoso. Letzterer ist ein Urenkel des Bankiers. Der 1964 in Brasilien geborene Kunsthisto­riker erforscht die Geschichte seiner Familie seit 1987. Damals musste er die Wohnung der Urgroßelte­rn in São Paulo auflösen – und stieß auf eine Kommode voller Fotos und Dokumente, darunter auch das Manuskript einer autobiogra­fischen Schrift Hugo Simons. Bis zu seinem 16. Lebensjahr habe er nichts von seinen deutschen und jüdischen Wurzeln gewusst, schreibt Cardoso im Vorwort zu seinem bereits 2016 erschienen­en Roman über die mehrfache Flucht seiner Vorfahren.

Hugo Simon wusste nach der Machtübert­ragung an Hitler und die NSDAP, dass er wegen seiner jüdischen Herkunft und seiner politische­n Aktivitäte­n als Sozialist und Pazifist zu den ersten gehören würde, die um ihr Leben fürchten müssten – und er emigrierte bereits im März 1933 nach Frankreich. Damals konnte er noch größere Teile seines Vermögens, darunter insbesonde­re zahlreiche Werke zeitgenöss­ischer Künstler, retten und seinen Lebensunte­rhalt als Finanzmakl­er in Paris verdienen. Durch seine zweite Flucht, zunächst nach Südfrankre­ich und von dort über Spanien nach Brasilien, verlor er die meisten seiner Besitztüme­r.

Auch in Frankreich engagierte sich Simon kulturpoli­tisch. Und er unterstütz­te die Komitees für Flüchtling­shilfe. Im Sommer 1940 musste die Familie selbst erneut fliehen, mit falschen Namen. In Brasilien sollte Simon bis zu seinem Tode vergeblich um die Rückgewinn­ung seiner wahren Identität kämpfen. Er scheiterte trotz zahlreiche­r Beglaubigu­ngsschreib­en. In der Ausstellun­g sind zwei davon zu sehen – eines von Thomas Mann und eines von Albert Ein- stein, beide begleitet von herzlichen persönlich­en Briefen. Simon starb 1950 in São Paulo – als ein »Jude ohne Gottesdien­st, ein Bankier ohne Geld, ein Sammler ohne seine Kunstwerke, ein Bauer ohne Land«, wie Cardoso schreibt.

Dass man sich seiner in Deutschlan­d wieder erinnert, ist einerseits der Arbeit seines Urenkels und anderer Exilforsch­er zu verdanken. Nicht hoch genug zu schätzen sind aber auch die mehr als ein Jahrzehnt währenden Bemühungen der im Seelower »Heimatvere­in Schweizerh­aus« Aktiven, den »Simon'schen Anlagen« wieder Leben einzuhauch­en. In unzähligen Arbeitsein­sätzen haben Bewohner der kleinen Stadt Terrassen, Gewächshäu­ser und zahlreiche weitere zugewachse­ne Gebäude des nach den Vorstellun­gen des Bankiers geschaffen­en Musterguts freigelegt und entrümpelt. 2010 erwarb die Stadt Seelow das Gelände von den Erben und übertrug es dem Verein zur Nutzung. Das Herzstück, das Schweizerh­aus, ist inzwischen saniert. Der Verein hat für das Vorhaben EU-Beihilfen eingeworbe­n und die Hermann-Reemtsma-Stiftung für die Kofinanzie­rung gewonnen.

Simon starb 1950 in São Paulo – als ein »Jude ohne Gottesdien­st, ein Bankier ohne Geld, ein Sammler ohne seine Kunstwerke, ein Bauer ohne Land«, wie Cardoso schreibt.

Rafael Cardoso, Anna-Dorothea Ludewig (Hg.): Hugo Simon in Berlin. Handlungso­rte und Denkräume, Hentrich & Hentrich Verlag, 120 Seiten, Hardcover, 67 Abb., 24,99 Euro Ausstellun­g »Hugo Simon: Vom roten Bankier zum grünen Exilanten«, bis 15. Dezember, Brasiliani­sche Botschaft, Wallstraße 57, Berlin

 ?? Foto: Familienar­chiv, Hugo Simon ?? Max Liebermann, Albert Einstein, Aristide Maillol und Renée Sintenis 1930 bei Simon in Berlin. Der Gastgeber blieb gern im Hintergrun­d.
Foto: Familienar­chiv, Hugo Simon Max Liebermann, Albert Einstein, Aristide Maillol und Renée Sintenis 1930 bei Simon in Berlin. Der Gastgeber blieb gern im Hintergrun­d.

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