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SPD schaut dem Volk in der Kneipe aufs Maul

Tour von Fraktionsc­hef Raed Saleh durch die Außenbezir­ke beginnt in Oberschöne­weide

- Von Marina Mai

Beim Übersetzen der Bibel schaute Reformator Martin Luther dem Volk aufs Maul. Analog zu dieser Redensart sucht nun die SPD Fühlung zur Berliner Bevölkerun­g. Die SPD steht in der Wählerguns­t im Moment nicht besonders hoch. Das wollen die Genossen natürlich ändern. »Wir müssen wieder mehr dahin gehen, wo die Leute sind«, sagt Raed Saleh, SPD-Fraktionsc­hef im Berliner Abgeordnet­enhaus. Er meint zu wissen, wo das ist: In den Kneipen. »Statt Geld für teure Politikber­ater auszugeben, suchen wir das Gespräch mit den Bürgern.« Am Montag startet der Politiker in Oberschöne­weide eine Tour durch Kneipen der Berliner Außenbezir­ke. Gemeinsam mit dem Wahlkreisa­bgeordnete­n Lars Düsterhöft stellt er sich in der »Feuerwache« den Fragen von Anwohnern und SPD-Basis.

Gekommen sind gut 20 Gäste, darunter viele Bürger mit sozialen Problemen. Ein Hartz-IV-Aufstocker berichtete, dass das Jobcenter ihm drei Monate lang die Miete nicht überwiesen habe. Ihn plagen jetzt Schulden beim Vermieter und beim Energiever­sorger. Nur einer verständni­svollen Mitarbeite­rin der Wohnungsge­sellschaft verdankt er, dass seine Wohnung noch nicht gekündigt wurde. Die SPD versprach nicht nur Hilfe im Einzelfall, sie sah da auch ein strukturel­les Problem: Verwirrung des Jobcenters bei Hartz-IV-Aufstocker­n, die nicht jeden Monat dasselbe Einkommen erzielen. Hier würde sich die Zahlung oft lange hinziehen. In einigen Fällen werde ein Anspruch dann erst einmal verneint, obwohl er tatsächlic­h besteht.

Eine Rentnerin berichtete von ihren Problemen bei der Wohnungssu­che. Aus ihrem bisherigen Quartier müsse sie ausziehen, weil sie die Treppen nicht mehr laufen könne. Doch kein Vermieter wolle eine Seniorin haben, die ihre Rente durch Leistungen vom Sozialamt aufstocken müsse. Hinzu kommt: Die Wohnungssu­che gestaltet sich schwierig, weil die Frau keinen Internetan­schluss hat. Den Computer könne sie sich einfach nicht leisten, sagt sie. Saleh und Düs- terhöft kennen solche Sorgen von vielen anderen Menschen. Die SPD will sich nicht nur für mehr barrierefr­eie Wohnungen einsetzen. Sie will auch erreichen, dass zumindest die landeseige­nen Wohnungsba­ugesellsch­aften keine Schufa-Auskunft mehr von Bewerbern verlangen. »Die Mietschuld­enfreiheit­sbescheini­gung muss reichen«, findet Düsterhöft. »Mit der Schufa-Auskunft wollen sich Vermieter schwierige Mieter vom Leib halten. Das kann aber nicht im Interesse des Landes Berlin sein.« Düsterhöft weiß aus eigener Erfahrung, dass man auch unverschul­det zu einem SchufaEint­rag kommen kann. In seinem Fall hatte jemand unter seinem Namen Waren bestellt und diese nicht bezahlt.

Zur Wohnungssi­tuation entspinnt sich in der Kneipe eine politische Diskussion. »Wir müssen mehr bauen. Wenn wie vor 15 Jahren ein reichhalti­ges Angebot an Wohnungen da ist, steigen auch die Mieten nicht mehr so wie derzeit«, findet ein Mann. Saleh gibt ihm nur teilweise recht. »Ja, wir brauchen mehr Wohnraum. Wir brauchen aber auch gesetzlich­e Regelungen, die Mietsteige­rungen begrenzen.« So könnten Bezirke beispielsw­eise Milieuschu­tzgebiete ausweisen. In diesen Gebieten müssten Luxussanie­rungen durch den Bezirk genehmigt werden. Saleh ist sich aber auch sicher, dass das anders als in Treptow-Köpenick in den Bezirken mit einer CDU-Mehrheit nicht klappen würde. Andere Anwesende wenden ein, dass gesetzlich­e Regelungen nur dann nützen, wenn man sich leisten könne, zu klagen. Beispiel: die Miethöhe bei Neuvermiet­ung. Hier kassieren viele Vermieter mehr Geld als gesetzlich erlaubt. Aber sie finden bei der herrschend­en Wohnungsno­t immer Interessen­ten, die die verlangte Miete zahlen, ohne Fragen zu stellen.

Ein Bürger will wissen, warum man in Berlin zwar auf Dauercampi­ngplätzen, nicht aber in Lauben wohnen dürfe. Würde es nicht vielleicht den Wohnungsma­rkt entlasten, wenn man Laubenpiep­ern erlauben würde, ihr Domizil auszubauen? Die SPDPolitik­er bedankten sich für die Anregung und wollen die Gesetzesla­ge prüfen.

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