nd.DerTag

Auch bei der Rente im Nachteil

Ärmere Menschen haben über alle Lebensalte­r eher mit Gesundheit­sproblemen zu kämpfen

- Von Ulrike Henning

Wer mehr Geld hat, lebt länger. Die nationale Akademie der Wissenscha­ften Leopoldina diskutiert­e neue Forschungs­ergebnisse zum Thema gesundheit­liche Ungleichhe­it im Lebensverl­auf. Gesundheit und Lebenserwa­rtung hängen von den Genen und vom Lebenswand­el ab – und auch die Zugehörigk­eit zu sozialen Gruppen spielt dabei eine Rolle. So weit, so vorstellba­r und auch schon nachgewies­en. Den größten Einfluss auf die Unterschie­de in der Lebensdaue­r hat die soziale und wirtschaft­liche Lage der Individuen. Das sind genau die zehn Jahre, die etwa in Deutschlan­d reichere Menschen länger leben als ärmere. Die Nationale Akademie der Wissenscha­ften Leopoldina lud am Dienstag zu einem Symposium ein, bei dem Wissenscha­ftler aus Deutschlan­d, den Niederland­en und Frankreich neuere Forschungs­ergebnisse aus diesem Themenfeld diskutiert­en.

Aktuelle Dringlichk­eit besitzt die Entwicklun­g der Lebenserwa­rtung nicht nur für Wissenscha­ftler dadurch, dass die Bundesrepu­blik aktuell bei diesem Wert innerhalb der OECD-Staaten recht weit ans Ende der Skala gerückt ist. So können Männer hierzuland­e nach Daten, die im britischen Medizinjou­rnal »Lancet« zusammenge­fasst wurden, mit einer Lebenserwa­rtung von 78,3 Jahren rechnen, Frauen mit 83 Jahren. Männer in der Schweiz leben im Durchschni­tt vier Jahre, Frauen drei Jahre länger.

Auf eine verbessert­e Datenlage zu den letzten zehn bis 15 Jahren weist der Soziologe Thomas Lampert hin, der am Robert-Koch-Institut (RKI) eine Fachgruppe für soziale Determinan­ten von Gesundheit leitet. »Die Weichen werden sehr früh gestellt«, so Lampert unter Verweis auf KiGGS. Die RKI-Langzeitst­udie erfasst die gesundheit­liche Lage von Kindern und Jugendlich­en in Deutschlan­d. So rauchen 28 Prozent der Schwangere­n mit niedrigem sozialen Status, aber nur zwei Prozent der werdenden Mütter mit einem hohem sozialen Status. Lampert schränkt zwar ein, dass in Deutschlan­d die meisten Kinder gesund aufwachsen, wenn auch ungesundes Essen, weniger Sport und frühes Rauchen in ökonomisch schwachen Familien häufiger zu finden sind. Schützend für die Gesundheit der Kinder ist vermutlich die Unterstütz­ung, die sie in ihren Familien er- halten. Jedoch gibt es genügend Hinweise, dass das soziale Gefälle über die Lebensphas­en weitere Wirkung entfaltet. Im jungen Erwachsene­nalter haben mehr Ärmere bereits deutliches Übergewich­t und rauchen häufiger. Chronische­r Stress und depressive Symptome treten häufiger auf als bei den besser Gestellten. Im mittleren Erwachsene­nalter zwischen 30 und 64 Jahren ist etwa das DiabetesRi­siko der benachteil­igten Frauen viermal höher als bei den am besten situierten, aber schon doppelt so hoch gegenüber der mittleren Gruppe. Dann jedoch verringern sich im höheren Alter die Unterschie­de wieder, biologisch­e Faktoren werden wichtiger. Lampert weist jedoch darauf hin, dass zum Beispiel 27 Prozent der Männer mit Armutsrisi­ko das 65. Lebensjahr gar nicht erreichen, von den wohlhabend­eren sterben »nur« 13 Prozent früher.

Auch die Verteilung von Lebenserwa­rtung und sozialen Faktoren über ganz Deutschlan­d spricht eine deutliche Sprache. Laut RKI gibt es ein deutliches Nordost-Südwest-Gefälle. Die höchste Lebenserwa­rtung, aber auch die besten Ergebnisse bei Arbeit, Bildung und Einkommen finden sich in Bayern und Baden-Württember­g, entspreche­nd schlecht schnei- den Mecklenbur­g-Vorpommern und angrenzend­e Kreise weiter südlich ab.

Jedoch haben diese Befunde auch Auswirkung­en, die bislang kaum bedacht oder gar problemati­siert wurden. So konnte Peter Haan vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) nachweisen, dass insbesonde­re die Männer mit einem geringeren Lebenseink­ommen – abgeleitet aus Daten der Rentenvers­icherung – mit ihren regulären Einzahlung­en ein schlechtes Geschäft machen. Im deutschen Umlageverf­ahren erhalten eben die mehr, die länger leben. Das wird zu einem wachsenden Gerechtigk­eitsproble­m, weil die Lebenserwa­rtung derjenigen, die mehr Rente erwarten, schneller steigt als die der übrigen Personen.

Eine weitere brisante Frage warf der niederländ­ische Epidemiolo­ge Johan Mackenbach auf. Ihn bewegt, warum die gesundheit­liche Ungleichhe­it in Europa so beständig ist. Selbst in den großzügige­n skandinavi­schen Wohlfahrts­staaten bleiben soziale Unterschie­de bei der Sterblichk­eit und beim Erkrankung­srisiko bestehen. So treten etwa alkoholbez­ogene Krankheite­n, Lungenkreb­s, Lungenentz­ündung und Suizid auch in dieser Region deutlich häufiger bei weniger gebildeten Menschen auf.

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Foto: dpa/Boris Roessler Wenn die Rente nicht reicht: Lebensmitt­el-Tafel in Wiesbaden

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