Auf Kosten der Mitbestimmung
EU-Kommission will Konzernen die grenzüberschreitende Verlagerung erleichtern
Die geplante Reform des Unternehmensrechtes in der EU stößt auf Kritik. Die Beschäftigtenrechte könnten nämlich wieder einmal auf der Strecke bleiben. Bislang haben nur wenige Fachleute in das Paket der EU-Kommission geschaut, das diese für ein neues Gesellschaftsrecht schnürt. Dabei handelt es sich beim »Company Law Package« um die »bedeutendste Initiative« im europäischen Unternehmensrecht seit 15 Jahren, wie es Aline Hoffmann vom Europäischen Gewerkschaftsinstitut (ETUI) in Brüssel ausdrückt. Ziel der Kommission ist es, grenzüberschreitende Verlagerungen von Unternehmen zu vereinfachen. Außerdem will EU-Justizkommissarin Věra Jourová mit einer zweiten Richtlinie die Online-Registrierung von Firmen vereinfachen. Das Paket soll noch vor der Europawahl Ende Mai verabschiedet werden.
Nützlich wäre dies für Konzerne, die via Verschmelzung, Umwandlung oder Spaltung ihren Rechtssitz in einen anderen EU-Mitgliedsstaat verlegen wollen. Dies wäre künftig auch dann möglich, wenn der wirtschaftliche Schwerpunkt, also Produktionsstätten, Büros und Dienstleistungseinheiten, weiterhin in einem anderen Land verbleiben. Prominentes Beispiel ist Fiat. Konzernchef Sergio Marchionne ließ im Jahr 2014 die Zentrale der italienischen Industrieikone in die Niederlande verlagern. Grund waren die dort erheblich niedrigeren Steuersätze. Solche Verlagerungen innerhalb des EU-Binnenmarktes will die Kommission nun deutlich erleichtern.
Durch die Initiative könnten Arbeitnehmerrechte »unter die Räder kommen«, befürchtet Sigurt Vitols vom Wissenschaftszentrum Berlin. Unternehmen könnten lästige Regeln zum Arbeitsschutz einfach umgehen. »Unbefriedigend« sei das Vorhaben der Kommission besonders, was die Informations- und Mitbestimmungsrechte angehe. So verpflichte der Entwurf das Management lediglich in einer vagen For- mulierung dazu, Arbeitnehmervertreter über seine Pläne zu unterrichten. Hier sollte lieber an bereits existierendes Recht angeknüpft werden, fordern Vitols und auch Ge- werkschaftsexpertin Aline Hoffmann. Sie schlagen präzise Festlegungen vor, wie alle Ebenen der Beschäftigtenvertretung informiert und angehört werden müssen.
Darüber hinaus droht der Einfluss der Beschäftigten auf die Geschäftspolitik geschwächt zu werden. Aus einer paritätischen Mitbestimmung könnte nach den Plänen von EUKommissarin Jourová schnell nur eine Drittelbeteiligung werden, warnt Vitols. Dies widerspreche der von der EU-Kommission selbst erklärten Absicht, einmal errungene soziale Rechte zu schützen. Bei der Mitbestimmung sollten in allen Fällen dieselben Regeln gelten – und wenigstens der Standard, der bei der Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft (SE) gilt. Weitere »Unklarheiten und Schlupflöcher« sollten vom Europaparlament geschlossen werden, schlagen die gewerkschaftsnahen Wissenschaftler vor.
Wenn es um Verbraucher und Steuerzahler geht, bleiben die Entwürfe der EU-Kommission ebenfalls vage bis konzernfreundlich. Dass jedoch Handlungsbedarf besteht, zeigt die Reisefreudigkeit der Konzerne: Im vergangenen Jahr gab es laut einer Übersicht der Universität Maastricht 432 grenzüberschreitende Fusionen in der EU – so viele wie noch nie. Im selben Jahr wechselten zudem 134 Konzerne ihre Staatsbürgerschaft durch grenzüberschreitende Verlagerung ihres Sitzes. In den letzten Jahren beteiligten sich vor allem deutsche, niederländische und österreichische Firmen an dem BäumchenWechsel-Dich-Spiel.
Auch der deutsche Bundesrat äußerte bereits Kritik am Kommissionsentwurf. In einer Stellungnahme forderte die Länderkammer im September unter anderem einen besseren Arbeitnehmerschutz. Für Norbert Kluge, Direktor des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung in Düsseldorf, ist die parteiübergreifend beschlossene Initiative ein wichtiger Schritt: »Es geht darum, den EU-Binnenmarkt für Unternehmen in Einklang zu bringen mit den sozialen Zielen der EU-Integration, wie sie in der Säule sozialer Rechte der EU festgehalten sind.«
Vor »Illusionen« warnt dagegen Martin Höpner, Politikwissenschaftler am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. »Ist das soziale Europa im Entstehen begriffen?«, fragt er und gibt gleich die Antwort: »Hierfür gibt es keine Anzeichen.«
Auch der deutsche Bundesrat äußerte bereits Kritik am Kommissionsentwurf. In einer Stellungnahme forderten die Länder im September unter anderem einen besseren Arbeitnehmerschutz.