Leviathan im östlichen Mittelmeer
Erdgasfelder wecken das Interesse zahlreicher Staaten und sorgen für Konflikte sowie überraschende Bündnisse
Die Entdeckung großer Erdgasvorkommen vor den Küsten des östlichen Mittelmeeres könnte die Region tiefgreifend verändern. Die Wohlstandsträume bergen auch Konfliktpotenzial. Eine wahre Energiebonanza hat Israel erfasst. Dort wurde die OffshoreEpoche um die Jahrtausendwende mit den Entdeckungen der Gasfelder Noa und Mari-B eingeleitet. Es folgte Tamar – hier wurde 2013 mit der Förderung begonnen, die zurzeit fast zwei Drittel des israelischen Energiebedarfs deckt. Das 2010 entdeckte Erdgasfeld Leviathan ist auf israelischer Seite das bisher größte. Der US-Ölkonzern Noble Energy will 2019 die Förderung vor Ort aufnehmen. In Israel hofft man, dass die Erschließung von Leviathan das Land zum Nettogasexporteur machen und eine Trumpfkarte in der regionalen Diplomatie werden könnte.
Ägypten hatte zunächst am meisten von den Erdgasfunden im östlichen Mittelmeer profitiert. Die Auswirkungen des Arabischen Frühlings, das enorme Wachstum des Inlandsverbrauchs und die unerwartet frühzeitige Erschöpfung einiger Felder zwangen das Land jedoch, den Export einzustellen. Es wurde erneut zum Importeur. Anfang des Jahres unterzeichneten die Ägypter ein Abkommen mit Israel über Gaslieferungen via Pipeline. Der Deal wird als bahnbrechend bewertet, da er nicht zuletzt eine wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen ehemaligen Feinden besiegelt. Die Entdeckung von zwei riesigen Erdgasfeldern könnte Ägypten nun wieder nach vorn katapultieren. Kürzlich wurde medienwirksam die vorerst letzte Flüssiggaslieferung aus dem Ausland entgegengenommen.
Das bereits um die Jahrestausendwende entdeckte Gaza-Marine-Erdgasfeld, rund 35 Kilometer vor der Küste von Gaza gelegen, ist vergleichsweise klein. Doch es wurde zum Dauerstreitthema zwischen der dortigen Hamas-Regierung und der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah sowie den Israelis und an der Ausbeutung interessierten Energieunternehmen – hier wird immer noch nicht gefördert.
Weltbank-Ökonomen schätzen, dass Steuern auf Einnahmen aus dem Gasverkauf in den angesetzten 25 Förderjahren 2,7 Milliarden US-Dollar in die Kassen der Autonomiebehörde spülen könnten. Das Gas wird für den Betrieb des Kraftwerks in Gaza benötigt, aber auch im Westjordanland, wo in Dschenin ein Kraftwerk entsteht und ein weiteres in Hebron geplant ist. Ob die Förderung aber in absehbarer Zeit beginnen kann, bleibt fraglich. Denn in israelischen Sicherheitskreisen hält sich nach wie vor die Auffassung, dass die Voraussetzung dafür nur die Entmachtung der Hamas im Gazastreifen sein kann.
Vor der südlibanesischen Küste gibt es unterdessen Streit zwischen Israel und Libanon wegen weiterer vermuteter Gasvorkommen, auf die beide Anspruch anmelden. Beide Länder befinden sich seit der letzten größeren israelischen Invasion im Jahr 2006 formell immer noch im Krieg. Und Libanon will die Erkundung nun vorantreiben. Ein zunehmend gefährlicherer Konfliktherd schwelt zudem vor der Küste Zyperns, wo zwei große Erdgasfelder gefunden wurden: Aphrodite und Calypso. Die Türkei, die nur die nordzyprische Regierung anerkennt und keine diplomatischen Beziehungen zur international anerkannten Regierung im griechischen Teil der Insel unterhält, behauptet, dass ein Teil des Offshore-Gebiets ihrer Gerichtsbarkeit untersteht. Darum verhinderten türkische Kriegsschiffe im Februar 2018 Erkundungsbohrungen des italienischen Mineralölkonzerns Eni. Die EU hatte umgehend ihre Solidarität mit ihrem Mitglied Zypern bekundet. Nun kündigte der US-Konzern Ex- xonMobil an, ungeachtet der Querelen bis Ende des Jahres mit Bohrungen vor Zypern zu beginnen. Die Türkei hat wiederholt davor gewarnt.
Derweil haben Ägypten und Zypern ihre Zusammenarbeit intensiviert – mit Unterstützung Griechenlands. Athen verspricht sich davon wirtschaftliche Vorteile und will seine Rolle als Gegenpol zur Türkei in der Region ausbauen. Währenddessen schaukeln sich die Spannungen zwischen den Staaten hoch. Erst im Oktober 2018 hatte die türkische Marine ein griechisches Kriegsschiff abgedrängt, das einem türkischen Erkundungsschiff zu nahe gekommen war. Und auch Griechenland nimmt einen neuen Anlauf zu Erkundungen in den eigenen Territorialgewässern.
Die Staatschefs Israels, Zyperns und Griechenlands hatten sich im Mai 2018 in Nikosia getroffen, um das Projekt einer Pipeline zu besprechen, die von ihren drei Ländern unter Umgehung der Türkei an das EU-Netz angeschlossen werden könnte. East Med wäre dann die längste Unterwasser-Gastrasse der Welt. Die lange Zeit der frostigen Beziehungen Israels zu Griechenland und Zypern haben sich in den vergangenen Jahren merklich verbessert. Das schlägt sich auch in einer Vertiefung der militärischen Zusammenarbeit dieser drei Länder nieder.
Die wiederholten Äußerungen Erdogans, nicht zusehen zu wollen, wie die Türkei bei der Erschließung der Reichtümer des östlichen Mittelmeers außen vor bleibt, haben bereits eine weitere Macht auf den Plan gerufen: die USA. Washington verbat sich erst im Oktober 2018 jegliche Einmischung Ankaras in die zyprischen Anstrengungen zur Erschließung der Gasfelder vor der Küste der Insel. Vor wenigen Tagen vereinbarten die USA und Zypern, ihre Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen zu verstärken. Gleichzeitig fahren die Vereinigten Staaten ihr militärisches Engagement in der Region mit neuen Militärstützpunkten in Griechenland und Israel hoch.
Davon zeigt sich Ankara bisher unbeeindruckt. Erst kürzlich wurde bekannt, dass das türkische Bohrschiff FATIH Erkundungen vor Antalya aufgenommen hat. Zyperns Reaktion kam prompt: Man könne sich eine Zusammenarbeit mit den Türken bei der Ausbeutung von Öl und Gas aus dem Boden des Mittelmeers vorstellen – nach einer Wiedervereinigung des Inselstaats, gegen die sich Ankara bisher sträubt.
Die USA betonen unterdessen immer wieder, Europa solle unabhängiger von russischem Gas werden. Sie promoten damit neben der Lieferung von eigenem Flüssiggas auch den Aufbau einer Versorgung Europas aus dem östlichen Mittelmeer.
Allerdings gibt es Zweifel daran, dass die vor Ort förderbaren Gasmengen tatsächlich so gewaltig sind, dass ein Export in großem Stil realistisch und lohnenswert wäre. 2012 hatten israelische Wissenschaftler angesichts des erwarteten Binnenverbrauchs eine Prognose veröffentlicht, laut der die eigenen Offshore-Reserven, selbst wenn kein Gas exportiert würde, bis zum Jahr 2055 vollständig erschöpft sind. Kritiker im Land meinen, mit den Exportplänen sollten wohl vor allem die Privatinteressen wohlhabender US-amerikanischer und anderer nicht-israelischer Investoren bedient werden.