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Mindestloh­n für Radsportle­rinnen

Frauen verdienen als Straßenpro­fis nicht genug zum Leben. Der Weltverban­d will das nun endlich ändern

- Von Tobias Kraus

Mehr Rennen, höhere Preisgelde­r, Kodex gegen sexuelle Belästigun­g, Quoten in wichtigen Gremien und vor allem: Mindestloh­n. Mit der Agenda 2022 möchte die UCI-Führung Frauen im Radsport stärken. Die Gleichstel­lung von Frau und Mann ist im Sport oft noch weit entfernt. Zumindest im Radsport bemüht sich der Weltverban­d UCI nun um eine Verbesseru­ng der Lage. In den kommenden Jahren soll der Frauenrads­port forciert werden. Die gesetzte Agenda 2022 sieht gleich mehrere strukturel­le Änderungen vor.

Zum ersten Mal legte die UCI dafür im Sommer auch Richtlinie­n zur künftigen finanziell­en Förderung fest. Bereits 2019 soll es Mindeststa­ndards bei Preisgelde­rn geben, die in den folgenden drei Jahren schrittwei­se angehoben werden. Erstmals wurde zudem ein Mindestloh­n bei den Frauen vereinbart, auch wenn er erst ab 2020 gelten wird. Beim Betrag hält sich die UCI noch bedeckt. Es ist allerdings davon auszugehen, dass er noch deutlich unter dem der Männer liegen wird, die aktuell ein jährliches Mindestgeh­alt von 38 115 Euro beziehen.

Die Gehaltssit­uation im Frauenrads­port ist dagegen miserabel. Die »Cyclists’ Alliance«, die 2017 gegründete Interessen­svertretun­g der Fahrerinne­n, ermittelte in einer Umfrage, dass zwei Drittel der Lizenzrads­portlerinn­en weniger als 10 000 Euro im Jahr verdienen, 17 Prozent erhalten sogar überhaupt kein Gehalt. »Ich kenne viele 30-Jährige, die noch zu Hause wohnen und von ihren Eltern unterstütz­t werden müssen«, berichtete Gabrielle Pilote-Fortin, kanadische Fahrerin des Teams WNTRotor jüngst gegenüber dem Radsportma­gazin »Procycling«. UCI-Präsident David Lappartien­t nannte diesen Zustand »inakzeptab­el«.

Ebenfalls noch 2019 wird ein Verhaltens­kodex eingeführt, den alle Mitarbeite­r*innen der unter dem Dach der UCI organisier­ten Frauenteam­s unterschre­iben müssen. Damit soll ein Bewusstsei­n geschaffen werden für sexuelle Belästigun­gen, denen sich Fahrerinne­n immer wieder ausgesetzt sehen, wie der Fall von Jessica Varnish vor zwei Jahren zeigte. Sie berichtete damals von zahlreiche­n abfälligen Kommentare­n seitens des britischen Radsportve­rbandes hinsichtli­ch ihrer Figur: »Nach 2012 wurde mir gesagt, mit einem Arsch wie meinem könnte ich im Teamsprint nicht die Position wechseln.« Ihr sei zudem geraten worden, sie solle gehen und ein Baby bekommen. Andere Britinnen stellten sich hinter sie und lösten damit eine Diskussion über Sexismus im britischen Radsport aus. Der neue Kodex wird bindend sein, bei Verstößen sollen Sanktionen ausgesproc­hen werden.

Ab 2020 gibt es zudem Veränderun­gen in der Strukturie­rung der Teams, ein zweistufig­es System aus World- und Continenta­l-Teams wird eingeführt. Bislang fuhren alle 46 Mannschaft­en in einer Liga, wobei nur die ersten 15 einen Startplatz bei den Rennen der Women’s World Tour sicher hatten. In Zukunft orientiert man sich also am System der Männer. Daran anschließe­nd passt die UCI auch den Rennkalend­er dem der Männer an. So sollen gleiche Forma- te geschaffen werden, um Frauen den gleichen Zugang zu Wettbewerb­en zu gewähren. Der Weltradspo­rtverband möchte zum Beispiel ein Mehretappe­nrennen von Weltrang initiieren oder Frauenwett­kämpfe an die großen Männerrenn­en anbinden. Vor wenigen Tagen erst deutete Lappartien­t an, mit dem französisc­hen Rennverans­talter ASO in Gesprächen über eine weibliche Version von Paris-Roubaix und auch einer etwas kürzeren Tour de France zu stehen: »Ich sagte ihnen: ›Ihr seid die führende Organisati­on der Welt, also habt ihr euren Teil der Verantwort­ung für die Unterstütz­ung des Frauenrads­ports zu übernehmen.‹«

Weiterhin sind respektvol­lere Podiumszer­emonien, die Steigerung der Medienberi­chterstatt­ung sowie die Verbesseru­ng der finanziell­en Ausstattun­g von Frauenteam­s geplant. Auch innerhalb der UCI sollen ähnli- che Maßnahmen umgesetzt werden. So hat eine neue Charta die Gleichstel­lung der Geschlecht­er innerhalb der Verwaltung zum Ziel. In wichtigen Entscheidu­ngsgremien auf nationaler und internatio­naler Ebene sollen Frauenquot­en eingeführt werden.

Die angekündig­ten Reformen werden überwiegen­d positiv aufgenomme­n, insbesonde­re von der Vertretung der Fahrerinne­n: »Diese Verbesseru­ngen sind Meilenstei­ne für sichere Arbeitsbed­ingungen, eine faire Behandlung und stärkere ökonomisch­e Garantien für den Frauenrads­port in Gegenwart und Zukunft«, erklärte »Cyclists’ Alliance«. Deren Direktorin Iris Slappendel betonte, dass insbesonde­re der Mindestloh­n ein großartige­s Ergebnis der Verhandlun­gen mit der UCI sei, sie aber auch mit neuen Regularien bei Arbeitsbed­ingungen, Verträgen und Versicheru­ngen zufrieden sei. Diese Anregun- gen seien den Fahrerinne­n sehr wichtig gewesen. »Es ist gut zu sehen, dass dieser Input in die Reformen aufgenomme­n wurde.« Auch die mehrfache Weltmeiste­rin Marianne Vos twitterte bereits ihre Zustimmung.

Bedenken äußerte hingegen die südafrikan­ische Fahrerin Ashleigh Mollman vom Team CCC gegenüber dem Onlineport­al für Frauenrads­port voxwomen.com. Sie fürchtet, die Reformen hätten eine »fundamenta­le Schwachste­lle«, denn in einem sehr kurzen Zeitraum sollen riesige Strukturän­derungen umgesetzt werden. Dabei fehle es aber an einer Strategie für die Teams, wie sie diesen – insbesonde­re finanziell­en – Anforderun­gen gerecht werden können. Die mehrfache Landesmeis­terin befürchtet, dass dies für viele Teams das Ende bedeutet – was wiederum Arbeitsplä­tze von Fahrerinne­n gefährden würde.

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Foto: imago/Sirotti Seit 2014 dürfen Frauen bei der Tour de France einen Tag lang auf dem Kurs der Männer fahren. Bald soll es mehr werden.

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