»Olympiasieg – das war’s?«
Kugelstoßerin Astrid Kumbernuss begeistert beim nd-Leserreisentreffen mit Offenheit und Witz
Einer der Magneten unter den Gesprächsrunden im Saal des Parkhotels war der Sport-Talk mit Olympiasiegerin Astrid Kumbernuss am Dienstagnachmittag. Die Goldmedaillengewinnerin im Kugelstoßen (Atlanta 1996) war aus Neubrandenburg angereist, wo sie in der Sport Direkt GmbH als Geschäftsführerin die Geschicke der Leistungssportabteilung des SC Neubrandenburg lenkt. Gut gelaunt begab sich die 48-Jährige, die auch als Wurftrainerin arbeitet, ins Gespräch mit nd-Sportchef Jirka Grahl und erzählte von ihrer 20-jährigen Karriere.
Dabei überraschte die einstige Ausnahmeathletin ihre Zuhörerinnen und Zuhörer mit der Aussage, der Olympiasieg 1996 in den USA sei mitnichten der schönste Moment ihrer Karriere gewesen. »Eigentlich müsste man das annehmen, nicht wahr? Aber für mich war mein dritter Weltmeistertitel 1999 viel, viel bedeutsamer, jedenfalls emotional«, sagte die dreimalige Weltmeisterin, die einst so schlank und rank in den Ring trat, dass sie als »Ästhetin des Kugelstoßens« gerühmt wurde. »1998 war mein Sohn Philip zur Welt gekommen, und nur zehn Monate später schaffte ich es bei der Weltmeisterschaft schon wieder aufs höchste Treppchen! Das hat in mir große Emotionen ausgelöst, viel mehr als der Olympiasieg.« Denn ihr Gold bei den Spielen 1996 war wegen ihrer Dominanz an der Weltspitze eh von allen Seiten als sicher eingeplant: Trainer, Medien, Freunde, alle sagten, der Olympiasieg stehe ja wohl fest. »Als es geschafft war, konnte ich mich dann gar nicht so recht freuen. Damals saß ich abends mit dem Trainer beim Sekt und dachte: Wie, das war’s nun? Das soll das Allergrößte sein?«
Als die Leserinnen und Leser in Bergen ans Mikrofon durften, galt die erste Frage dem Thema Doping in der DDR. Astrid Kumbernuss sagte, sie sei froh, dass sie erst 1970 geboren und damit nie vor die Wahl gestellt worden sei, unlautere Mittel einzusetzen. »Wer weiß schon sicher, wie es gekommen wäre?«, sinnierte sie. Die ganze Ära sei schließlich von Doping geprägt gewesen. In der DDR sei reichlich gedopt worden, im Westen ebenso, das wisse sie von vielen. Heutzutage müsse jeder mit sich selbst ausmachen, welche Schuld er auf sich geladen habe.
Und ja, es habe auch MinderjährigenDoping gegeben: »Doping an Kindern ist zu verurteilen und weiter zu verfolgen.« Andererseits sei nicht hinzunehmen, dass alle über einen Kamm geschert würden: »Wie heute mit manchen Leuten umgegangen wird, geht gar nicht«, sagt sie in Bezug auf ihren früheren Trainer Dieter Kollark, mit dem sie den gemeinsamen Sohn Philip hat und mit dem sie noch heute gut zusammenarbeitet, auch wenn sie mittlerweile mit ihrem Mann Henry und der gemeinsamen siebenjährigen Tochter Hannah in Neustrelitz lebt. »Es ist auch richtig, wenn sich die Einzelnen gegen Unterstellungen wehren.«
Was sie denn aus ihrer Zeit in der Kinder- und Jugendsportschule (KJS) in Neubrandenburg heute noch als Trainerin anwenden könne, will eine Zuhörerin wissen. »Eine ganze Menge«, sagt Astrid Kumbernuss. »Vor allem, was den methodischen Aufbau anbetrifft, wende ich vieles von damals immer noch an. Wie bereite ich die Sportler auf einen Höhepunkt vor und wie plane ich das über zwei, drei, vier Jahre – das mache ich mit meinen Athletinnen und Athleten noch so, wie ich es an der KJS gelernt habe.«
Die aussichtsreichste Deutsche, die Astrid Kumbernuss betreut, ist Diskuswerferin Claudine Vita vom SC Neubrandenburg. Die 22-Jährige wurde Vierte bei den Leichtathletik-Europameisterschaften in Berlin. »Eigentlich hätte sie eine Medaille geholt«, glaubt Trainerin Kumbernuss, »aber es ist für eine junge Sportlerin nicht so einfach in einem so großen Stadion. Wenn da 65 000 Leute lärmen, kann es schon mal passieren, dass die Beine nicht das machen, was sie sollen.«
Die Zuhörer schmunzeln, wie so oft bei dieser Gesprächsrunde, nach deren Ende die einstige Weltklasseathletin auch noch Autogramme verteilt und ihr Olympiagold herzeigt. »Wirklich eine Powerfrau«, schwärmt einer der Besucher, nachdem er sich ein Autogramm geholt und ein Selfie mit Olympiagold aufgenommen hat. »Und dabei so viel Charme!« nd