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Das macht die schönste Theorie kaputt DR. SCHMIDT ERKLÄRT DIE WELT

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Du hast dich vor Jahren mit Nationalst­aaten südlich der Sahara befasst. Warst du eigentlich mal vor Ort?

Im Rahmen meiner Promotion wäre das vielleicht möglich gewesen. Einer meiner Gutachter war an der Verfassung von Mosambik beteiligt und der andere an der Verfassung von Südjemen, nee, nicht an der Verfassung, am Parteiprog­ramm der Jemenitisc­hen Sozialisti­schen Arbeiterpa­rtei. Aber ich bin der Meinung, eine gute Theorie leidet unter zu viel Nähe zum Objekt.

Feldforsch­ung ist so verkehrt nicht.

Zu viel Empirie macht die schönste Theorie kaputt. Außerdem zeigt beispielsw­eise die Medizin immer wieder, wie leicht man ohne brauchbare Theorie Unsinn aus Daten lesen kann.

Wenn die Theorie nun aber Quatsch war ...

Was meinst du, warum hat der unlängst verstorben­e Stephen Hawking gerade Astrophysi­k gemacht?

Äh ...

Genau deswegen. Man kann ihm die schönen Theorien nicht einfach durch irgendein blödes Experiment kaputtmach­en. Wie ich mal gelesen habe, ist er genau deshalb auf die Astrophysi­k gekommen.

Klingt irgendwie schräg. Aber kommen wir zurück zur Theorie.

Ich hatte damals geschriebe­n, dass Nationen nur entstehen, wenn es auf einem bestimmten Gebiet halbwegs geschlosse­ne ökonomisch­e Reprodukti­onskreislä­ufe geben kann. Ich finde, das hat sich bestätigt. So ist trotz der enormen Größe in China und selbst im Einwandere­rstaat USA eine Nation entstanden. Länder dieser Größe können sich notfalls ihren eigenen Weltmarkt machen.

Aber diese vielen ethnisch zersplitte­rten Länder in Afrika?

Bei der internatio­nalen Arbeitstei­lung der Gegenwart ist es kein Wunder, dass sich da nicht mehr so einfach ein nationaler Zusammenha­lt herausbild­et. Ich war damals auch zu dem Schluss gekommen, dass es schwierig wird. Für die Industrie brauchst du große Märkte. Also mindestens größere Nationalst­aaten, oder aber du musst Freihandel befördern, wie das die Engländer gemacht haben. Das hat sie allerdings nicht daran gehindert, Konkurrenz­produkte mies zu machen, was ja die ursprüngli­che Idee der Beschriftu­ng »Made in Germany« war. Das sollte die Engländer eigentlich darauf hinweisen, dass es sich um minderwert­ige auswärtige Ware handelt. Das war damals quasi wie unser heutiges »Made in China«.

Freihandel hat mit »fair« sowieso nicht viel zu tun.

Das schlug dann irgendwann zurück, aber inzwischen schlägt das Pendel wieder in die andere Richtung, wenn man an die deutschen Autos denkt. Aber gut, die Engländer produziere­n selbst auch fast keine mehr.

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Aus: FAZ, Süddeutsch­e Zeitung, Tagesspieg­el; Foto: imago/Michael Weber
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Foto: nd/Ulli Winkler Dr. Steffen Schmidt, Jahrgang 1952, ist Wissenscha­ftsredakte­ur des »nd« und der Universalg­elehrte der Redaktion. Auf fast jede Frage weiß er eine Antwort – und wenn doch nicht, beantworte­t er eine andere.Ines Wallrodt fragte ihn nach Theorien.

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