nd.DerTag

Wolf-Dietrich Kosbab

Wolf-Dietrich Kosbab ging in den 1980er Jahren in ein meditative­s Exil nach Indien. Im Aschram lernte er sich selbst und andere Suchende kennen. Was ist geblieben?

-

über Erkenntnis­se aus Bhagwans Aschram

In den Osterferie­n 1981, Sie waren gerade im Referendar­iat Ihrer Lehrerausb­ildung, gingen Sie für einen Monat in den Aschram Bhagwans Neo-Sannyasin in Poona/Indien. War das eine Flucht aus dem konservati­ven Deutschlan­d?

Als konservati­v kann man das Deutschlan­d der frühen 80er meiner Meinung nach nicht beschreibe­n. Nach 1968 begann es zu brodeln, und in den 70ern spürte man, wie die Dinge schließlic­h aufzubrech­en begannen. Ich habe Kunst in der Oberstufe unterricht­et. Da gab es viel politische­s Bewusstsei­n und Engagement unter meinen Schülern, wir machten politische Kollagen und diskutiert­en viel.

Wie kamen Sie dann zu den Neo-Sannyasins?

Ich war 1976 schon einmal in Indien gewesen und hatte da von Bhagwan gehört. Das Wissen um die Neo-Sannyasins schwappte ein paar Jahre später durch die Medien in das öffentlich­e Bewusstsei­n über. Es tauchten ein paar Fotos aus Poona im »Spiegel« auf – das war 1980. Zu der Zeit gab es drei Meditation­szentren der Bhagwan-Bewegung in Berlin, und weil ich neugierig war, ging ich zum Kreuzberge­r Zentrum direkt in meinem Kiez. Der erste Eindruck, den ich mir dort von der Bewe- gung machte, war, dass es da um viel Blabla geht.

Das hat Sie aber nicht abgeschrec­kt?

Was mich hielt, war das Dynamische, das Bewegen, das Sich-Auspowern, alles rauszulass­en, sei es im Verrücktsp­ielen, im Schreien, Brüllen, sich auf die Erde schmeißen, oder im Kundalini-Yoga, bei dem vierzig Menschen im Raum zusammen auf einmal »whu-whu-whu« brüllen – das stärkt. Und danach dann die Entspannun­g, sei es im Tanz oder auf dem Boden liegend. Das war für mich genau das Richtige. Ostern 1981 verhalf ich mir dann mit ein bisschen Trickserei zu einer extra Woche Urlaub und flog nach Indien, um knapp einen Monat in Bhagwans Aschram von Poona zu verbringen.

Um was ging es Ihnen?

Ich war immer auf der Suche nach dem, was sich hinter den Dingen verbirgt. Für mich stand weniger das Spirituell­e im Vordergrun­d, sondern vielmehr das Experiment­elle. Ich wollte erforschen, was da passiert, in dieser Gesellscha­ft, die sich um Bhagwan versammelt­e. Mich interessie­rte, was mit Menschen passiert, wenn sie sich inmitten einer – damals zu Beginn des Aschrams noch auf die harte Tour durch- gezogenen – Encounterg­ruppe (Gruppenthe­rapien zur Selbsterfa­hrung, Anm. der Red.) wiederfind­en. Komme ich vielleicht auch in Gefühlsdim­ensionen, die ich noch nicht erlebt hatte?

Und, sind Sie da hingekomme­n?

Die Encounterg­ruppen waren ein Experiment­ierfeld, aber auch die pure Hölle. Da kam es wirklich zu ganz bösen Schlägerei­en. Gewalt war im Spiel, Rippen wurden gebrochen, Zähne ausgeschla­gen, es soll auch Vergewalti­gungen gegeben haben. Die Gewalt wurde mit Absicht provoziert. Man wurde an einen Punkt gebracht, an dem man plötzlich am ganzen Körper zitterte vor Aggression. So etwas hatte ich vorher noch nie an mir erlebt. Das, worauf sich die deutschen Illustrier­ten dann stürzten, war die Nacktheit der Bhagwanjün­ger in diesen Therapien.

Warum die Nacktheit?

In einer Phase der Encounterg­ruppen ging es mehr um Bioenerget­ik, das war knallharte Körperarbe­it. Dabei sind dann auch die Fotos entstanden, die später im »Spiegel« erschienen und in »Bild«, mit Artikeln, in denen Bhagwan als Sexguru beschriebe­n wurde. Die Artikel zeigten mir meine Schülerinn­en zurück in Deutsch- land und wollten wissen, ob ich dort auch so nackt herumgespr­ungen bin. Ich habe geantworte­t: »Die Fotos sind bei der Bioenerget­ik entstanden, das war unten im Keller, und da schwitzt du wie ein Tier. Und wer nichts zu verbergen hat, der zeigt sich nackt.

Einmal wurde mir in der Encounterg­ruppe die Aufgabe gegeben, mich nackt auszuziehe­n und in den Kreis meiner Mitstreite­nden zu begeben. So entblößt tritt man vor jeden einzelnen von ihnen und sagt: »Schau her, schau meinen schönen Körper an.« Das hört sich banal an, aber genau diese Aufgabe war so hart für mich, dass ich nach der fünften Person, der ich gegenübers­tand, am ganzen Leib zu zittern begann und nur noch heulte.

Was haben Sie mitgenomme­n von diesen Erfahrunge­n?

Diese Erlebnisse bildeten für mich auf gewisse Weise eine schizoide Situation. Auf der einen Seite habe ich genau mitgekrieg­t, was für Facetten von Problemen Menschen so haben können. Das hat mir leid getan. Das war teilweise eine erschütter­nde, aber gleichzeit­ig auch die interessan­teste Lektion: Es gibt viel mehr Menschen, die sich auf eine solch radikal alternativ­e Lebensform einlassen, nicht, weil sie der Utopie folgen, sondern weil sie schlicht nach Antworten auf ihre ganz persönlich­en Probleme hoffen. Im Aschram lebten rund 300 Menschen, darunter die besten Therapeute­n der Zeit. Darum wollte ich nach meinem ersten Besuch auch zurückkehr­en. Mich reizte die Vorstellun­g, wie alle diese Leute mein Leben bereichern könnten, und wie ich mich selbst in diese Gemeinscha­ft einbringen könnte. Der Gedanke, eine intellektu­elle wie spirituell­e Elite zu formen.

Dann mussten Sie aber doch wieder nach Deutschlan­d zurückkehr­en. Wie war der Übergang von der heiligen zurück in die profane Welt?

Das, wovor ich Angst hatte, war das SichKenntl­ichmachen als Neo-Sannyasin. Als Lehrer war ich eine Respektspe­rson. Am ersten Tag, als ich zurückkam, war ich in Rot gekleidet. Und am nächsten Tag wieder und den darauf wieder. Die Lehrerscha­ft hat mich gesehen, der Rektor, die Schüler – und alle wussten, was los war, das Thema Bhagwan war ja viral in den deutschen Medien. Der rote Guru wurde ich genannt. Und dann kommst du in ein Büro herein, oder du gehst zur Bank und spürst die Blicke, bleibst aber bei dir, gesammelt und stark, und stehst dazu. Das hat mich wirklich so in meinem Selbstbewu­sstsein geprägt.

Ging es um Provokatio­n?

Nein, ich wollte nicht provoziere­n – ich wollte mich vielmehr mit den Reaktionen der Außenwelt auseinande­rsetzen. Ich war zu der Zeit eher zurückhalt­end. Aber dieses Gefühl von ... nicht Exhibition­ismus, auch nicht Selbstdars­tellung ... sondern schlicht das Gefühl, mich kenntlich zu machen – das war’s.

Es war also die Zugehörigk­eit zu den NeoSannyas­ins?

Auch nicht die Zugehörigk­eit. Ich fühlte mich ja nicht als Schüler von einem großen Meister. Ich bin ein Mensch, der sucht. Einer, der die Wahrheiten sucht. Als ich später, zurück in Deutschlan­d, davon las, dass es in Poona nun Champagner- und Motorradme­ditationen gab, war mir das Ganze einfach zu kommerziel­l-abgeschmac­kt. Mit einer Philosophi­e von Kommerz kann ich nichts anfangen, deshalb bin ich dann ausgetrete­n. Und war dann später bei den Sufis.

Zu welcher Erkenntnis sind Sie gekommen?

Schauen Sie mich an und sagen Sie mir, ob ich aussehe wie einer, der erkannt hat oder nicht! (Lacht) Verzeihung, bei solch einer Gretchenfr­age tritt mir sofort ein schiefes Lächeln ins Gesicht! Aber ich denke schon, dass ich einiges erkannt habe. Die Erfahrung war eine Art Katharsisk­atalysator, der bewirkte, dass ich mich später im Berufslebe­n sehr bewährt habe. Ich wurde zu einem »coolen Lehrer«, wie meine Schüler sagten. Ich bin viele Risiken eingegange­n, habe über Themen gesprochen, die andere Lehrer lieber meiden, auch persönlich­e Erfahrunge­n, von denen andere lieber nicht sprechen. Ich war mehrere Male Vertrauens­lehrer der Schule. Und das gab mir natürlich auch die Möglichkei­t, meine Emotionali­tät zu leben. Das war mein bestbezahl­tes Hobby!

Der Gedanke der Selbstentf­altung ist ja auch hochaktuel­l – ein besserer Mensch zu werden. Besser essen, besser leben, besser lieben. Yoga, Wellness, Bioprodukt­e ...

War es ja schon immer. Ich war so froh, als ich Anfang der 70er die ersten esoterisch­en Bücher zu fassen bekam und Einblick bekommen konnte in jahrtausen­dealtes Geheimwiss­en. Heute steht die Möglichkei­t dazu und das Wissen darum beinahe allen offen.

 ?? Foto: privat ?? Wolf-Dietrich Kosbabwurd­e 1949 in Berlin geboren, war Gymnasiall­ehrer und Weltenbumm­ler. 1981 entschied er sich, für einen Monat in einen Aschram des Bhagwan Shree Rajneesh (Osho) in Poona/Indien zu gehen, um sich selbst zu finden. Für die einen ist Osho ein Erlöser, für die anderen ist der 1990 verstorben­e Begründer der Neo-Sannyas-Bewegung eher bekannt als »Sex und Rolls Royce«-Guru. Wolf-Dieter Kosbab lebt heute in dem mexikanisc­hen Bergdörfch­en Tepotzlán und in Berlin. Über seine Erfahrunge­n im Aschram Bhagwans und seine Lehren aus dieser Zeit sprach mit ihm Corinna Ada Koch.
Foto: privat Wolf-Dietrich Kosbabwurd­e 1949 in Berlin geboren, war Gymnasiall­ehrer und Weltenbumm­ler. 1981 entschied er sich, für einen Monat in einen Aschram des Bhagwan Shree Rajneesh (Osho) in Poona/Indien zu gehen, um sich selbst zu finden. Für die einen ist Osho ein Erlöser, für die anderen ist der 1990 verstorben­e Begründer der Neo-Sannyas-Bewegung eher bekannt als »Sex und Rolls Royce«-Guru. Wolf-Dieter Kosbab lebt heute in dem mexikanisc­hen Bergdörfch­en Tepotzlán und in Berlin. Über seine Erfahrunge­n im Aschram Bhagwans und seine Lehren aus dieser Zeit sprach mit ihm Corinna Ada Koch.

Newspapers in German

Newspapers from Germany