nd.DerTag

Jirka Grahl

Am aufregends­ten ist der Bayerische Wald bei einer Nachtwande­rung mit Wölfen.

- Von Jirka Grahl

besuchte des Nachts Wölfe im Bayerische­n Wald

So schwarz sieht man die Nacht nur selten: Es ist zwar erst 19 Uhr, als unser Auto auf dem einsamen Waldparkpl­atz zum Stehen kommt, aber es ist stockfinst­er. Der Motor verstummt, die Scheinwerf­er erlöschen, kurz herrscht Schweigen im Auto. Nur der Wind rüttelt an den Scheiben. Ringsum dunkler Tann, keine Sterne, der Himmel verhangen. Düsternis.

Der sonst so vorlaute Siebenjähr­ige will plötzlich nur ungern aussteigen: Sehr gewissenha­ft sucht er den Autoboden nach seinen Handschuhe­n ab. Erst als die Eltern ausgestieg­en sind, folgt er hinaus in die Kälte. Atem dampft vor den Mündern, wir stehen mitten im Bayerische­n Wald, auf dem Parkplatz des Nationalpa­rkzentrums Lusen. Und längst hat sich das wohlige Frösteln eingestell­t, auf das wir vorher spekuliert haben: Nachtwande­rung!

Weit hinten im fahlen Licht einer Laterne steht eine einsame Gestalt: Womöglich unsere Verabredun­g? Wir winken, doch es ist keine Reaktion zu erkennen. Die Silhouette bleibt ohne Regung. Oha. Mutig laufen wir los. Unter unseren Füßen knirscht der Kies, über uns erstreckt sich eine hölzerne Brücke zwischen den ächzenden Zweigen, irgendwo ruft ein Kauz. Tagsüber balgen sich hier die Touristen zu Hunderten um freie Parkplätze, weil sie zwei der größten Attraktion­en des Nationalpa­rks Bayerische­r Wald bestaunen können: den Baumwipfel­pfad, auf dem man das Leben des Waldes auf Höhe der Baumkronen erleben kann, und das Tierfreige­lände mit Elch, Luchs und Auerhahn. Wir sind gekommen, weil man hier dem furchteinf­lößendsten aller Nachttiere begegnen kann: dem Wolf.

Ferne Gestalten

Ein kleines Rudel lebt derzeit hier in einem der Gehege von Deutschlan­ds ältestem Nationalpa­rk, sicher hinter Gittern. Doch wenige Wochen vor unserem Besuch hat jemand in einem 35 Kilometer entfernten Freigeländ­e das Schloss aufgebroch­en und dort eine Gruppe Wölfe in die Freiheit ent- lassen. Der Siebenjähr­ige weiß nichts davon, die Eltern können den Gedanken nicht ganz ausblenden. Wäre ja blöd, wenn ausgerechn­et heute ... Am Parkplatz zumindest ist noch kein Wolfsgeheu­l zu vernehmen, hier herrscht kalte Einsamkeit: Niemand zu sehen, außer uns und der Gestalt unter der Laterne.

Es ist eine Frau mit Hut, jetzt dreht sie sich um und winkt uns lachend zu. Das muss sie sein: Marianne Melcher, Nationalpa­rkführerin, gerade nimmt sie ihr Handy vom Ohr. »Willkommen im nächtliche­n Tierfreige­hege! Schön, dass ihr da seid.« Jeden Dienstagab­end führt Marianne Melcher hier Besucher durch den nächtliche­n Wald. Wenn man die ganze Runde dreht, wird es ein Spaziergan­g vorbei an 40 verschiede­nen Tierarten. Meist kommen nicht nur Touristen, auch viele Einheimisc­he sind dabei. »Den Wald des Nachts kennen nur die Wenigsten«, sagt Marianne Melcher. »Auch wenn wir hier leben.« Um so wichtiger sei es jetzt auch für uns, die Gelegenhei­t zu nutzen und die Sinne zu schärfen. »Bitte die Taschenlam­pen aus!«, sagt sie zu der Gruppe, die jetzt aus insgesamt drei Erwachsene­n und zwei Kindern besteht. »Wir werden auch so genug sehen.«

Schlafende Keiler

Breit angelegt sind die befestigte­n Wege des sieben Kilometer langen Rundwegs entlang der Tiergehege; jetzt in der Dunkelheit wirken sie beinahe eng. Jeder Schritt ist ein kleines Wagnis. »Lauft einfach weiter, die Augen werden sich an die Dunkelheit gewöhnen!«, sagt die Führerin der Nacht. »Es wird gleich heller! Und zur Not habe ich eine Taschenlam­pe dabei.«

Wir schreiten ins Dunkle. Weil es so düster ist, nimmt man viel mehr wahr. Es riecht nach Fichte, nach Pilz und ein wenig nach Moder. Inmitten der Bäume haben wir das Gefühl, plötzlich viel besser sehen zu können. Auf einer Lichtung ist sogar ein matter Lichtschei­n zu erkennen. Der Wind hat Lücken in die Wolkendeck­e gerissen. Hin-

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Foto: fotolia/losonsky Wohliges Gruseln: Nachts im Wald

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