nd.DerTag

Helmut Rasch und Heinrich Fink

Zum 250. Geburtstag des preußische­n Theologen Friedrich Schleierma­cher.

- Von Heinrich Fink

Zum 250. Geburtstag Friedrich Schleierma­chers

Karl Barth hat die Wende vom 18. zum 19. Jahrhunder­t einmal »das klassische Jahrhunder­t des Staatskirc­hentums« genannt: »Gemeinde und Kirchenmän­ner, Theologen und Juristen, Orthodoxe, Pietisten und Aufklärer scheinen einig in der Überzeugun­g, dass alles in dieser Hinsicht so sein müsse, wie es ist.« Friedrich Schleierma­cher hingegen, beeindruck­t von den Ideen der Französisc­hen Revolution, war einer der wenigen Theologen jenes Jahrhunder­ts, die sich für Veränderun­g und Erneuerung der Universitä­t, der Kirche und auch der Gesellscha­ft im ganzen einsetzten.

In seiner ersten großen Arbeit »Über die Religion«, die er 1799 anonym veröffentl­ichte, übt Schleierma­cher scharfe Kritik am vorherrsch­enden Staatskirc­hentum. Während die offizielle kirchliche Meinung unbeirrt die Kirche für notwendig an die Monarchie gebunden hält, entwirft er angesichts der in Frankreich vollzogene­n Trennung von Kirche und Staat seine Theorie des »Kirchenreg­imentes«: Er ist der Auffassung, dass eine Kirche, die sich im Prozess der geschichtl­ichen Entwicklun­g und Veränderun­g bewähren will, nicht an veraltete Herrschaft­sformen binden darf. Er will damit die Kirche zugleich wieder zu ihrer »Eigentlich­keit« verhelfen.

Für Schleierma­cher ist Tradition nicht heilig. Er ist überzeugt davon, dass die gegenwärti­ge Kirchenord­nung untragbar und dem apostolisc­hen Verständni­s von Kirche nicht angemessen ist. Voraussetz­ung einer Genesung des kirchliche­n Lebens sei daher der Verzicht auf ihre gesellscha­ftliche Machtposit­ion. Er fordert auch eine Neuordnung des Religionsu­nterrichts. Die Unterweisu­ng in christlich­er Lehre solle nicht an Schulen stattfinde­n, sondern in den Gemeinden. So will Schleicher­macher ein Reformator der Reformiert­en werden.

Seit der Französisc­hen Revolution hat sich tatsächlic­h die äußere und innere Situation der Kirche grundlegen­d gewandelt. Ihre Machtstell­ung ist nicht mehr unangefoch­ten. Immer lautstärke­r wird auch das Verlangen nach Freiheit und Unabhängig­keit in Staatsverw­altung, Universitä­tsleben, Literatur, Journalist­ik und in den politische­n Parteien. Innerhalb der evangelisc­hen Kirche reagiert man auf den Rationalis­mus, entsinnt sich mit Pathos der frommen Sitten der Väter, preist den »schlichten« Glauben. Hier greift Schleierma­cher mit seinen »Reden« ein, um die Kirche auf die Gegenwart und Zukunft auszuricht­en: In seiner Analyse der unhaltbare­n Zustände der Kirche identifizi­ert er sich sogar weithin mit der antikirchl­ichen Stimmung der Zeit.

Die einzige Rettung sei, »den ganzen Begriff der Kirche (…) vom Mittelpunk­t der Sache aus aufs Neue zu erschaffen«. Und an anderer Stelle heißt es in seinen »Reden«: »Wenn es euch auf dem Gebiet der Theologie ›bunt genug durcheinan­dergeht‹, (...) es ist doch alles nur freies Zusammenwi­rken zur fortgehend­en Berichtigu­ng christlich­er Ein- sicht (...). Und alle Besten auch von den entgegenge­setzten Parteien wollen die durch unsere Reformatio­n proklamier­te Freiheit festhalten; alle wollen doch mit Wissen und Wollen in den alten Zustand der Knechtscha­ft in toten Werken und Buchstaben nicht zurückkehr­en.« Daher sei Streit, seien Differenze­n »nichts weniger als Auflösung«, sondern im Gegenteil »die wenige Gärung, aus der erst die rechte Veredelung hervorgehe­n wird«.

Nach Schleierma­chers »Reden« vollzieht sich die religiöse Frömmigkei­t in kleinen Gemeinden, die auf organisato­rische Verbindlic­hkeit völlig verzichten. Fast anarchisti­sch. Kein Wunder, dass dieses Kirchenver­ständnis vor allem Hegel missfällt. Er behauptet, dies führe zu einer Zersplitte­rung der »kirchliche­n Totalität«, so »dass auf diese Weise Gemeindche­n und Besonderhe­iten ins Unendliche sich geltend machen und vervielfäl­tigen, nach Zufälligke­it auseinande­r schwimmen und zusammen sich suchen und alle Augenblick­e wie die Figuren eines dem Spiel der Winde preisgegeb­enen Sandmeeres die Gruppierun­gen sich ändern (...)«

Doch Schleierma­cher hat für den Bereich der Kirche nicht minder bedeutsame Reformen konzipiert, wie es Freiherr vom Stein für Staat und Gesellscha­ft tun wird. Von diesem herangezog­en, arbeitet der Theologe bereits 1808 einen »Vorschlag zu einer neuen Verfassung der protestant­ischen Kirche im preußische­n Staate« aus, der radikal mit der Auffassung von der Kirche als einer Staatsan- stalt bricht. Innere Kirchenang­elegenheit­en sollten in eigenständ­iger Verantwort­ung der Kirche geregelt werden – es geht um Eigenständ­igkeit als Voraussetz­ung einer Trennung von Kirche und Staat.

Wie ernst es Schleierma­cher damit ist, zeigt sich alsbald im sogenannte­n Agendenstr­eit der preußische­n Landeskirc­he. Der König wollte als Herr auch über die Staatskirc­he eine neue Ordnung der Zeremonien, eine »Agende« für Reformiert­e und Lutheraner von oben durchsetze­n. Daraus entspinnt sich um 1820 ein Konflikt, der ein Jahrzehnt währt und in dem Schleierma­cher als mittlerwei­le führender Kopf der Berliner Theologen den heftigsten Widerspruc­h äußert. In einer 1824 – wiederum anonym – erschienen­en Schrift »Über das liturgisch­e Recht evangelisc­her Landesfürs­ten« macht er dem Monarchen das Recht streitig, aus seiner Machtvollk­ommenheit heraus gottesdien­stliche Ordnungen zu diktieren und postuliert, dass »eine Ausübung dieses Rechtes« nur dann begründbar sei, wenn sie eine »deutlich ausgesproc­hene oder wenigstens bestimmt vorhandene Forderung der Gemeinden für sich hat«.

Mit seinem Protest gegen die Entmündigu­ng der Gemeinden und einer Vereinheit­lichung von oben stößt er jedoch auf taube Ohren. Dennoch kapitulier­t er nicht, sondern kontert: »Dafür ist das Zeitalter noch nicht reif, sagen sie immer. Soll es deswegen unterbleib­en? Was noch nicht sein kann, muss wenigstens im Werden bleiben.«

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