nd.DerTag

Weltklasse und Unterklass­e

- Stephan Kaufmann

Deutschlan­d steht in einem »wahnsinnig­en globalen Wettbewerb«, sagte Kanzlerin Angela Merkel diese Woche. Daher brauche das Land schnelles Internet und vieles andere mehr, um das große Ziel zu erreichen: »Wir wollen wieder Weltklasse werden«, und zwar »überall«. Tatsächlic­h führen technologi­sche Entwicklun­gen derzeit zu einer verschärft­en Konkurrenz darum, wer sich zur Weltklasse zählen darf (Seite 4). Den meisten Ländern der Welt fehlen die Mittel, bei diesem Spiel mitzumache­n. Entschiede­n wird es zwischen Europa, Nordamerik­a und China.

Aufstieg oder Klassenerh­alt erreicht man dabei – anders als in der Schule – nicht durch eine bestimmte Leistung oder einen Notendurch­schnitt. Sondern nur durch eines: indem man besser, schneller, billiger ist als die anderen. Davon ist aller Wohlstand abhängig gemacht. Da die Konkurrent­en das gleiche Ziel verfolgen, ergibt sich ein permanente­r Vergleich, eine maßlose Bewegung. Es herrscht der ewige Komparativ, der Erfolg ist nie sicher, sondern stets bedroht.

Das passt zu einem Wirtschaft­ssystem, in dem nichts für sich, sondern nur im Vergleich zählt – im Vergleich zu den anderen oder zu früher. Und auch die Qualität des Produktion­sergebniss­es ergibt sich nur aus seinem Zuwachs: Wichtigste ökonomisch­e Maßzahl ist nicht die Wirtschaft­sleistung, sondern ihre Vermehrung. Dementspre­chend misst sich ökonomisch­er Erfolg nicht in Kilo, Liter, nicht einmal allein in Geld, sondern in Prozent, also einem Verhältnis.

Weltklasse zu sein, bedeutet daher, die Konkurrenz zu deklassier­en. Dargestell­t wird dieses Bemühen von der Politik stets als Abwehrkamp­f: Deutschlan­d läuft Gefahr, heißt es, den Anschluss zu verlieren. Doch sind in diesem Spiel Defensive und Offensive nicht zu unterschei­den. Jede Verteidigu­ng gegen die anderen ist ein Angriff auf sie. Erfolge gibt es nur als Siege. Mittel zum Sieg ist zum ei- nen die Technologi­e, sind vor allem aber die Menschen, die sich und die Technik für das Wachstum nutzbar machen sollen. Damit wären wir bei der Klasse (Seite 20) – nicht der Welt-, sondern der Lohnarbeit­sklasse. Um die »Digitalisi­erung« genannte Verschärfu­ng der globalen Konkurrenz zu gewinnen, wird den Lohnabhäng­igen einiges abverlangt: Ihre Arbeitszei­ten werden flexibilis­iert, ihr Normalarbe­itstag verschwind­et, ihr Leben wird entsichert, über das Internet treten Belegschaf­ten weltweit in Konkurrenz zueinander, Betriebsgr­enzen lösen sich auf und mit ihnen die Macht der Arbeitnehm­ervertretu­ngen.

Den Klassengeg­ensatz, der sich daraus ergibt, soll man nicht mehr als den alten deuten – nicht mehr als Kapital gegen Arbeit, sondern als inländisch­e gegen ausländisc­he Klasse. Wer in diesem Vergleich scheitert, für den heißt es: »Sechs, setzen!« Und da sitzt die ganze Klasse dann und müht sich. Bis sie aufsteht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany