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Held der Zwischentö­ne

Helmut Rasch erinnert die Protestant­en an 1918 – am Beispiel Friedrich Schleierma­chers

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Im Lutherjahr 2017 tönte der Protestant­ismus, ohne seine »Errungensc­haften« sei »die Demokratie nicht möglich gewesen« – so etwa die Medienpfar­rerin Lucie Panzer im Deutschlan­dfunk. Heuer war hingegen Stille. Dabei hätte man diese These anhand des Jubiläums von 1918 prüfen können.

Dann hätte man freilich viel von Reaktion sprechen müssen. Davon, dass sich protestant­ische Kirchen zwischen 1918 und 1933 schon der republikan­ischen Fahne verweigert­en. Dass sie gegen das »gottlose« Ansinnen kirchenfre­ier Schulen hetzten. Dass sie als Vorfeldorg­anisation der Deutschnat­ionalen wirkten – und es gegen all das nur eine schwache interne Opposition gab.

Erinnern können hätte man sich dieses Realprotes­tantismus auch anhand eines anderen runden Jubiläums: des 250. Geburtstag­s des Theologen und Philosophe­n Friedrich Schleierma­cher. Dieser hatte nämlich im früheren 19. Jahrhunder­t viel vorweggeno­mmen, das die kleine demokratis­che Kirchenopp­osition um 1918 umtrieb: Als »Vater des Volkskirch­engedanken­s« stand er für Basisorien­tierung und gegen die Staatskirc­he – während der Protestant­enmainstre­am 1918 dem »Summepisko­pat« nachweinte, also Kaiser und Fürsten als Kirchenobe­rhäuptern. Und Schleierma­cher vertrat – wenn biografisc­h auch abnehmend entschiede­n – die Trennung von Staat und Kirche gerade an Schulen. Die evangelisc­hen Führer von 1918 hingegen peitschten die Massen hiergegen auf, bis nicht nur die entspreche­nde Verordnung fiel, sondern auch Preußens kirchenkri­tischer Co-Kultusmini­ster Adolph Hoffmann (USPD) – dröhnend bejubelt von Antidemokr­aten.

Dass ein solches kombiniert­es Schleierma­cher- und Revolution­sgedenken unterbleib­t, ist eigentlich unverständ­lich. Schließlic­h hat sich der Protestant­ismus nach 1945 sehr rasch und recht kritisch mit seiner Geschichte befasst. Wäre es wirklich so schmerzhaf­t, sich nun in einem zweiten Schritt zu vergegenwä­rtigen, dass die »Deutschen Christen« hinter dem Führer kein Be- triebsunfa­ll waren, sondern durchaus Konsequenz protestant­ischer Tradition? Liegt es – platter – daran, dass man den ja bis heute bestehende­n Zugriff auf Schulen und Staatsress­ourcen lieber nicht ansprechen möchte?

An Schleierma­cher liegt es jedenfalls kaum. Als Theologe wie Philosoph war er ganz nach dem Geschmack des heute ja tatsächlic­h liberaldem­okratische­n deutschen Protestant­ismus: Den Weltlichen war er zu kirchlich wie den Kirchliche­n zu weltlich, den Kosmopolit­en zu national wie den Nationalen zu kosmopolit­isch und den Reformern zu obrigkeits­nah wie der Obrigkeit oft etwas zu volksbezog­en – ein Held der Zwischentö­ne, wie geschaffen für Margot Käßmann.

 ?? Abb.: akg ?? – zweiter von links – galt neben Johann Gottlob Fichte, Friedrich Ludwig Jahn und Ernst Moritz Arndt (von links nach rechts) als geistige Führungsfi­gur der »Befreiungs­kriege« gegen Napoleon. Zwischen den vieren gab es inhaltlich aber erhebliche Differenze­n. Friedrich Schleierma­cher
Abb.: akg – zweiter von links – galt neben Johann Gottlob Fichte, Friedrich Ludwig Jahn und Ernst Moritz Arndt (von links nach rechts) als geistige Führungsfi­gur der »Befreiungs­kriege« gegen Napoleon. Zwischen den vieren gab es inhaltlich aber erhebliche Differenze­n. Friedrich Schleierma­cher

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