Sprache der Gewalt
Französische Mittelschicht lebt Protest gegen Macron auf der Straße aus
Berlin. Die seit Tagen anhaltenden Proteste der französischen »Gelben Westen« haben am Wochenende einen neuen Höhepunkt erreicht. Am Samstag kam es zu schweren Ausschreitungen in Paris, landesweit beteiligten sich nach offiziellen Angaben 106 000 Menschen an den Protesten. Pflastersteine flogen auf Polizisten, Barrikaden wurden errichtet, Geschäfte geplündert. Die Polizei reagierte mit Tränengas und Wasserwerfern.
In Paris bot anschließend die zuvor vorweihnachtliche Avenue des Champs-Élysées, wo allein 5000 Menschen protestierten, ein Bild der Verwüstung. Adressat der Wut ist Prä- sident Emmanuel Macron, der nicht zu wissen scheint, wie er mit dem unerwarteten Widerstand umgehen soll. »Schande über jene, die die Sicherheitskräfte angegriffen haben, Schande über jene, die anderen Staatsbürgern und Journalisten gegenüber gewalttätig geworden sind«, schrieb er auf Twitter.
Vor pauschaler Kritik scheint Macron gleichwohl zurückzuschrecken. Staatliche Behörden sprechen von gewaltbereiten Extremisten, die die Gelegenheit zur Randale nutzten. Bei den in gelbe Warnwesten gekleideten Demonstranten handelt es sich um Menschen, die gewöhnlich nicht als lautstarke Widersacher der Regierungspolitik in Erscheinung treten. Die Franzosen, die so rabiat gegen Macrons Reformpolitik vorgehen, gehören zur sonst eher lautlosen Mittelschicht, auf die sich die Politik nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich gern beruft, wenn sie ihre Reformvorhaben verkündet. Angesichts fehlender Organisiertheit und ebenso fehlender Programmatik könnte man folgern, dass der Protest explosiver Ausdruck einer sprachlosen Wut ist. Ausgelöst wird die Empörung von steigenden Spritpreisen und der Dieselkrise, deretwegen viele Fahrzeugbesitzer schwere finanzielle Belastungen befürchten müssen.
Der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis steht vor einer Rückkehr in die Politik. Der 57-jährige Wirtschaftswissenschaftler wurde am Sonntag in Berlin zum deutschen Spitzenkandidaten für die Europawahl im Mai auf der Liste »Demokratie in Europa« gewählt. Sie ist ein Zusammenschluss des »Wahlflügels« der von Varoufakis und Mitstreitern im Februar 2016 gegründeten DIEM25 und der deutschen Kleinpartei »Demokratie in Bewegung«. Zuletzt war es ruhig geworden um die gesamteuropäische Bewegung DIEM25, die mit dem Vorhaben angetreten war, die Europäische Union zu demokratisieren. Bis zum Jahr 2025 sollte eine verfassunggebende Versammlung aus der EU eine europäische Republik machen. In Deutschland hat DIEM25 rund 8200 Mitglieder.
Varoufakis habe die Wahl zum Spitzenkandidaten mit 46 zu acht Stimmen bei der Mitgliederversammlung gewonnen, teilte das Bündnis am Sonntag mit. Bei einer Pressekonferenz sagte der griechische Politiker, dass mit dem neuen Bündnis bei der Europa-
Varoufakis will, dass die EU viele Milliarden in erneuerbare Energien investiert.
wahl »die transnationale Politik« Realität werde. Denn auf der Liste kandidieren Menschen verschiedener Nationalitäten. Es ist rechtlich möglich, in einem anderen EULand anzutreten, wenn man dort einen Wohnsitz vorweisen kann.
Varoufakis übte Kritik an der Austeritätspolitik, welche aus seiner Sicht die Ursache für den Aufstieg rechter Kräfte in der Europäischen Union ist. Als Beispiel nannte der Grieche den Wahlsieg »rassistischer Populisten« in Italien. Dort regiert seit dem Sommer die rechtsradikale Lega zusammen mit der Fünf-Sterne-Bewegung.
Bereits in seiner Zeit als Finanzminister in Athen hatte sich Varoufakis im Jahr 2015 gegen die von der Bundesregierung aufgezwungene Kürzungspolitik gewehrt. Unter deutschen Linken genoss er deswegen in dieser Zeit eine gewisse Popularität. Auch das dürfte ein Grund dafür gewesen sein, warum er sich nun für einen Listenplatz in der Bundesrepublik entschieden hat.
Seine Bewegung hofft offenbar darauf, Menschen zu gewinnen, die ansonsten zur Linkspartei oder zu den Grünen tendieren. Varoufakis sprach sich für einen »New Deal« für die EU aus. Dabei geht es ihm auch um ein ökologischeres Wirtschaften. Somit solle der Klimawandel bekämpft werden, sagte er. Varoufakis setzt auf ein großes Investitionsprogramm. In jedem Jahr soll die EU rund 500 Milliarden Euro in erneuerbare Energien und Technologien investieren. Das Geld soll insbesondere von EU-Anleihen kommen, bekräftigte der Spitzenkandidat.
Varoufakis hat im Frühjahr durchaus Chancen auf einen Platz im Europäischen Parlament. Kürzlich war bekannt geworden, dass es bei der Europawahl erneut keine Sperrklausel geben wird. Eigentlich wollte die Große Koalition mit einer Änderung des Wahlrechts in Deutschland kurzfristig eine entsprechende Klausel einführen. Dafür wäre eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig gewesen. Union und SPD hätten die Zustimmung der Grünen benötigt, welche die Pläne aber nicht mittragen wollten. Bei der vergangenen Europawahl im Jahr 2014 reichte bereits ein Ergebnis von 0,6 Prozent für ein Mandat.