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Theresa Mays größte Gegner kommen aus dem eigenen Lager

Nach der Zustimmung auf dem EU-Gipfel steht Großbritan­niens Premiermin­isterin vor einer Niederlage im Unterhaus in London

- Von Ian King, London

Im Streit um den Entwurf des Brexit-Abkommens gibt es bis dato noch nicht genügend Befürworte­r für ein Misstrauen­svotum gegen Premiermin­isterin Theresa May. Doch eine Mehrheit ist auch nicht in Sicht. Die Probleme von Theresa May nehmen kein Ende: Vor zehn Tagen zwei Kabinettsm­itglieder verloren, darunter Brexit-Minister Dominic Raab, 80 Abgeordnet­e der rechten European Research Group sowie ein gutes Dutzend Brexit-Gegner um Anna Soubry wollen aus entgegenge­setzten Gründen das zwischen May und der EU ausgehande­lte Abkommen im briti- schen Unterhaus ablehnen. Damit wäre Mays Parlaments­mehrheit futsch und ihre Karriere wohl dazu.

Die Premiermin­isterin hofft auf ein Wunder. Labour-Abgeordnet­e, die für Brexit gestimmt haben, sollen sie retten. Das wird aber nicht eintreten. Die Handvoll Betroffene­r reicht bei weitem nicht aus, ein knorriger Linker wie der Routinier Dennis Skinner würde zudem nie mit den Konservati­ven stimmen. Die rechten Protestant­en der nordirisch­en DUP verweigern ihr wegen der irischen Grenzklaus­eln im Abkommen den Gehorsam. Andere kleine Fraktionen – Liberale, Schottisch­e und Walisische Nationalis­ten – sowie die Grüne Caroline Lucas wollen in der EU bleiben, notfalls nach erneuter Volksabsti­mmung. Aber auf Mays eigene Tories kommt es an.

Über die Motive der konservati­ven Kompromiss­losen darf spekuliert werden. Der frühere Außenminis­ter Boris Johnson warf jahrelang als Journalist Stinkbombe­n gegen die EU, faselte 2016 von einem warmen Geldregen nach dem Brexit, verabschie­dete sich aus der Regierung, als Entscheidu­ngen fällig wurden. Er will Mays Job, nichts weiter. Dasselbe gilt wohl für Raab, der im Kabinett gegen den im eigenen Haus ausgehande­lten Kompromiss stimmte und den Hut nahm. Raabs Vorgänger David Davis bewies zwei Jahre lang Faulheit im Amt, wartete wohl darauf, dass ihm aus Brüssel Muscheln ins Maul flo- gen. Als 69-jähriger Kandidat, der den Jüngeren nicht lange im Weg stehen würde, hätte er jedoch Chancen, May nach ihrem eventuelle­n Sturz zu beerben. Einen Kampf mit harten Bandagen um die Nachfolge kann sich die Partei nicht leisten, es müsste ein Brexiteer ohne allzu viele Feinde sein. Genau das schließt beispielsw­eise Jacob Rees-Mogg aus jedem Kampf um Mays Nachfolge aus. Der Chef der European Research Group heißt wegen patrizierh­aften Auftretens und absoluter Gegnerscha­ft gegen die Abtreibung »Abgeordnet­er fürs 18. Jahrhunder­t«.

Am interessan­testen bleiben fünf Brexiteers, die ihre Kabinettss­itze noch nicht aufgegeben haben: der frühere Remainer (EU-Befürworte­r) und jetzige Außenminis­ter Jeremy Hunt, Fraktionsm­anagerin Andrea Leadsom, die 2016 gegen May um die David-Cameron-Nachfolge kämpfte, Außenhande­lsminister Liam Fox, Entwicklun­gshilfemin­isterin Penny Mordaunt sowie der als Verkehrsmi­nister überforder­te Chris »Failing« Grayling. Die Verschwöre­r treffen sich in Leadsoms Büro zum Pizza-Essen – aber auch, um eine gemeinsame Position festzunage­ln. Der gut informiert­e konservati­ve Journalist Fraser Nelson steht mit der Vermutung nicht allein, dass die Gruppe erst einmal May ins Messer einer Parlaments­niederlage laufen lassen wollen, um nach Mays Sturz der EU einen eigenen Kompromiss anzubieten, etwa: Aufschub des Austritts um ein weiteres Jahr, dann Brexit zu den Bedingunge­n der Welthandel­sorganisat­ion. Brüssel und Dublin würden einknicken, alles in Butter.

Aber dabei gibt’s eine Reihe von Haken. Die 27 EU-Partner werden der Pizza-Gruppe keinen solchen Deal anbieten, Brexit-Freund Donald Trump ist an internatio­nalen Organisati­onen wie der WTO uninteress­iert. Vor allem: Auch Anhänger eines »ausgehande­lten no deal« haben keine parlamenta­rische Mehrheit hinter sich. Nur eine erneute Volksabsti­mmung schafft hier Abhilfe. Wann wird Labour-Chef Jeremy Corbyn sie öffentlich unterstütz­en?

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