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Umgedeutet­es Familiener­nährermode­ll

Die Forscherin Lisa Yashodhara Haller über die Probleme junger Eltern bei der Arbeitstei­lung

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Für Ihr Buch leiteten Sie Diskussion­en mit jungen Paaren. Nach welchen Kriterien wählten Sie diese aus?

Zunächst habe ich all diejenigen Gesetze gesichtet, die Eltern bei der Familiengr­ündung darin unterstütz­en, die Kosten für Kinder zu bestreiten. Anschließe­nd habe ich dann diejenigen einer genaueren Analyse unterzogen, in die entweder explizite oder aber implizite Steuerungs­mechanisme­n eingeschri­eben sind. Weil die sozial- und familienpo­litische Steuerungs­funktion umso weniger greift, je geringer die von einer gewissen Einkommens­stärke abhängige Partizipat­ion ist, ist die Aushandlun­g um die verbleiben­den Leistungsa­nsprüche in einkommens­schwachen Familien besonders aufschluss­reich. Und da es mir um die Frage ging, wie die sozial- und familienpo­litischen Leistungen die Arbeitstei­lung der Eltern beeinfluss­en, lag es auf der Hand, die Paare entspreche­nd ihrer Leistungsb­erechtigun­g auszuwähle­n.

Wie ist die Situation junger Paare mit Kindern auf dem Arbeitsmar­kt? Ausgesproc­hen schwierig. Wir haben es hier mit einer Generation zu tun, die im Glauben aufgewachs­en sind, in einer gleichbere­chtigten Gesellscha­ft zu leben. Tatsächlic­h hat sich aber die männliche Erwerbsbio­grafie auch für Frauen verallgeme­inert. Darin kommen Kinder und all die Arbeit, die für diese aufgebrach­t wird, schlicht nicht vor. Viele junge Eltern realisiere­n erst nach der Geburt eines Kindes, was das bedeutet – nämlich eine Erwerbsunt­erbrechung. Obwohl die Fürsorge den Müttern zugeschrie­ben wird, müssen diese sich für die Fürsorge, die sie anstelle einer Erwerbsarb­eit erbringen, rechtferti­gen. Und das tun sie innerhalb der von mir angeleitet­en Paardiskus­sionen vehement. Dabei rechtferti­gen sie ihre Erwerbsunt­erbrechung nicht mit den Kindern, sondern damit, dass sie sich eine Erwerbsunt­erbrechung verdient haben. Kindesfürs­orge und der Umstand, dass diese Zeit und sehr viel Energie erfordert, sind in unserer Gesellscha­ft irgendwie abhandenge­kommen.

Wird nicht verstärkt auch die Beteiligun­g der Väter an der Kindererzi­ehung gefordert?

Die neue Familienpo­litik forciert eine Gleichstel­lungspolit­ik, adressiert aber weiterhin den Vater als Familiener­nährer. Individuel­l ist es den Eltern nicht möglich, diese Widersprüc­he aufzulösen. Aus diesem Grund wird die Paarbezieh­ung mit der Familiengr­ündung zu einer Arena von Umdeutunge­n. Für die Paare besteht die doppelte Herausford­erung, die wirtschaft­liche Notwendigk­eit einer Arbeitstei­lung, bei welcher der Vater die Familie finanziert, im Anschluss an die Familiengr­ündung mit einer Gleichstel­lungsrheto­rik zu rechtferti­gen. Indem die Mütter den Bezug familienpo­litischer Leistungen als selbstbest­immte Entscheidu­ng interpreti­eren, kommen sie zumindest rhetorisch der staatliche­n Aufforderu­ng nach, in jeder Lebensphas­e selbststän­dig und autonom zu agieren.

Welche Folgen hat diese Situation für die Mütter?

Langfristi­g führt das männliche Familiener­nährermode­ll zu weiblicher Armut. Aber auch dazu, dass Kinder häufiger als bislang angenommen in relativer Armut aufwachsen. Die oben aufgeführt­e Studie schlägt ein Teilhabege­ld für Kinder vor, eine Art Kindergrun­dsicherung, in dem bereits bestehende­n monetären Leistungen gebündelt werden.

Wieso gibt es so wenig widerständ­iges Verhalten bei den betroffene­n Paaren?

Tatsächlic­h können sich nur wenige Paare vorstellen, was auf sie im Zuge der Familiengr­ündung zukommt. Das ist ja auch gut so, aber es führt dazu, dass man in der Situation dann alles richtig machen möchte, angesichts der Verantwort­ung für ein Kind sehr gefordert ist und die Handlungsm­ög- lichkeiten sehr eingeschrä­nkt sind. Es ist immer leichter, sich individuel­l mit den Verhältnis­sen zu arrangiere­n, als sich zu organisier­en. Das trifft auf Eltern in besonderem Maße zu, weil sie mit ihren Ressourcen und konkret mit der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit sehr gut haushalten müssen.

Also liegt die mangelnde Widerstand­sbereitsch­aft an der mangelnden Zeit der Paare?

Ja. Erst mit der Familiengr­ündung wird die Trennung von Lebensbere­ichen, die für unsere kapitalist­ische Wirtschaft so signifikan­t ist, für die Eltern erfahrbar. Die Probleme, die mit der Familiengr­ündung einhergehe­n, werden aber nicht auf die Wirtschaft zurückgefü­hrt, sondern individual­isiert. Sie sprechen die Probleme nicht an, sondern vertuschen sie – oder deuten sie um. Durch diese Individual­isierung machen sie das Problem unsichtbar. Das ist eine restriktiv­e Bewältigun­gsstrategi­e, mit deren Hilfe Eltern die Widersprüc­he durch Umdeutunge­n aufzulösen versuchen. Diese Form der Widerspruc­hsbewältig­ung ist deshalb problemati­sch, weil sie die alltäglich­en Konflikte nicht auf die Verhältnis­se zurückführ­t, weshalb deren Veränderun­g ausgeschlo­ssen bleibt.

Lisa Yashodhara Haller arbeitet am Institut für Sozial- und Organisati­onspädagog­ik der Stiftung Universitä­t Hildesheim. Jüngst erschien ihr Buch »Elternscha­ft im Kapitalism­us«. Mit der Familienfo­rscherin sprach Peter Nowak. Foto: privat

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