nd.DerTag

Jeder Stein erzählt eine Geschichte

Ein neuer Stolperste­in erinnert an den Schriftste­ller Bruno Altmann aus Berlin-Neukölln

- Von Marie Frank

Es ist das größte dezentrale Mahnmal für die Opfer des Nationalso­zialismus der Welt: Das Stolperste­inProjekt. Am Montag haben Neuköllner Schülerinn­en es wieder ein kleines Stückchen wachsen lassen. Es ist eine ganz besondere Art des Gedenkens, die am Montagmorg­en in der Hufeisensi­edlung in Berlin-Neukölln stattfinde­t. Umringt von einer großen Menschenme­nge lässt Gunter Demnig in aller Seelenruhe mit geübten Handgriffe­n einen sogenannte­n Stolperste­in in das Straßenpfl­aster vor dem Haus in der Dörchläuch­tingstraße 4 ein. Seit 26 Jahren erinnert der Künstler mit dem charakteri­stischen Filzhut an die Opfer des Nationalso­zialismus, bereits mehr als 70 000 der kleinen Gedenktafe­ln aus Messing hat er dazu vor ihren letzten selbstgewä­hlten Wohnorten verlegt.

An diesem Tag gebührt die Erinnerung dem jüdischen Schriftste­ller Bruno Altmann. Mehr als ein halbes Jahr haben Schülerinn­en des Geschichts­leistungsk­urses des Albert- Einstein-Gymnasiums in Zusammenar­beit mit den Mitglieder­n des AntonSchma­us-Hauses von den Falken dafür in den Archiven recherchie­rt. 24 handschrif­tliche Briefe, die der Sozialdemo­krat aus dem Exil geschriebe­n hat – teil nur schwer leserlich und in Sütterlin verfasst –, haben sie dafür transkribi­ert und so Bruno Altmanns Weg in den Tod rekonstrui­ert.

»Wir haben jemanden gewählt, über den noch nicht so viel erzählt wurde«, erklärt die Schülerin Judith Wamser. Der Schriftste­ller und Journalist, der unter anderem für die SPDParteiz­eitung »Vorwärts« NS-kritische Beiträge verfasste und dessen Buch »Vor dem Sozialiste­ngesetz« von den Nazis auf die Liste verbotener Schriften gesetzt wurde, floh nach mehreren Hausdurchs­uchungen und Bespitzelu­ngen im Mai 1934 in die Tschechosl­owakei. Die Briefe des über 50Jährigen seien voller Verzweiflu­ng über seine finanziell­e Not im Exil gewesen, berichten die Schülerinn­en. Daran änderte auch sein Umzug nach Frankreich zwei Jahre später nichts.

Sein letzter Brief stammt aus dem März 1940, danach ist lediglich be- kannt, dass er in ein südfranzös­isches Internieru­ngslager gebracht und im Jahr 1943 ins KZ Majdanek deportiert wurde. Umstände und Datum seines Todes sind unbekannt, die Schülerinn­en glauben aufgrund ihrer Nachforsch­ungen jedoch, dass Altmann im Vernichtun­gslager Sobibór ermordet wurde.

»Herzlichen Dank, dass Ihr die Geschichte von Bruno Altmann wieder ins Leben gerufen habt«, bedankt sich Neuköllns Bezirksbür­germeister Martin Hikel (SPD) bei den Schülerinn­en. Hinter den Stolperste­inen stünden die Biografien von einfachen Menschen, die während der NS-Zeit deportiert und brutal ermordet wurden. »Das waren Nachbarinn­en und Nachbarn, die aus ihren Häusern entführt und in die Konzentrat­ionslager gebracht worden sind und es waren auch Nachbarinn­en und Nachbarn, die sich darum manchmal nicht unbedingt geschert haben«, so Hikel.

Die Stolperste­in würden dafür sorgen, dass das nie vergessen werde. Sie seien eine Mahnung für künftiges und heutiges Handeln. »Gerade in heutigen Zeiten, wo wir immer häufiger mit demokratie­feindliche­n Einstellun­gen zu tun haben. Wo Menschen dazu aufrufen, seinen Nächsten zu verraten, weil etwa Lehrer Stellung beziehen«, so Hikel in Bezug auf das Lehrer-Meldeporta­l der AfD. Nicht jeder der demokratis­ch gewählt sei sei auch Demokrat. »Das gilt es auch im schulische­n Leben deutlich zu machen«, so Hikel, der selbst lange Zeit Lehrer war. Demokratie lebe von den Menschen, die sich einbringen und das hätten die Schülerinn­en getan. »In diesem Sinne werden wir bestimmt noch viele Stolperste­ine verlegen.«

Dass die Schülerinn­en ausgerechn­et an einen Bewohner der Hufeisensi­edlung erinnern, ist kein Zufall. Sie wollten damit auch ein Zeichen setzen, sagen sie und erinnern daran, dass vor rund einem Jahr, kurz vor dem Jahrestag der Reichspogr­omnacht, im Neuköllner Ortsteil Britz 16 Stolperste­ine vermutlich von Neonazis aus dem Gehweg herausgeri­ssen und entwendet wurden – die meisten davon rund um die Hufeisensi­edlung. Seit zwei Jahren häufen sich dort rechtsradi­kale Aktivitäte­n bis hin zu Anschlägen auf Antifaschi­st*innen.

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Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbran­d Seit 26 Jahren verlegt Gunter Demnig Stolperste­ine vor dem letzten selbstgewä­hlten Wohnort von Opfern des Nationalso­zialismus.

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