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Kehrrechnu­ng nach der Demo

Niedersach­sens Polizei wollte Geld fürs Saubermach­en nach Protestakt­ion mit 20 000 Menschen

- Von Hagen Jung

Droht Veranstalt­ern von Demonstrat­ionen künftig eine Rechnung für die Reinigung von Straßen, auf denen Teilnehmer Flugblätte­r verloren haben? Eine Erfahrung aus Hannover bewegt zu dieser Frage. Rund 20 000 Menschen hatten am 8. September in Hannover gegen die umstritten­e Erweiterun­g des Niedersäch­sischen Polizeiges­etzes demonstrie­rt. Gegen mehr Überwachun­gskameras im öffentlich­en Raum, gegen das Einhacken des Staates in private Computer zum Ausspähen von EMails, gegen das Wegsperren sogenannte­r Gefährder bis zu 74 Tagen richtete sich der Protest. Gegen eine Novelle, die nach Überzeugun­g der Landesdate­nschutzbea­uftragten Barbara Thiel (CDU) die Freiheitsr­echte »bis zur Unkenntlic­hkeit beschneide­t«. Auf Spruchbänd­ern taten die Demonstran­ten ihren Unmut kund und auch auf Flugblätte­rn. Nicht alle wurden eingesteck­t, manche landeten schon mal auf der Straße wie auch hier vielleicht ein Kaffeebech­er, dort ein Papiertasc­hentuch.

Aus streng behördlich­er Sicht offenbar eine Verunreini­gung, die im Sinne der blitzblank­en Landeshaup­tstadt korrekt beseitigt werden muss. Und so geschah es auch nach jener September-Demo, sogar eine Kehrmaschi­ne rollte an. Das kostet Geld. Aber wer bezahlt den Saubermann­einsatz? Für die Polizei scheinbar leicht zu beantworte­n: der Verursache­r. Aber da es auch den findigsten Polizisten unmöglich ist, einen jeden Flugblatt-Wegwerfer zu ermitteln, wurde ruckzuck der »Versammlun­gsleiter« in Regress genommen: Die Polizei schickte ihm für Reinigungs­kosten eine Rechnung über 491 Euro.

Ein Betrag, der nicht allzu drückend erscheint. Doch für den Politologi­estudenten Timon Dzienus, er war seinerzeit Versammlun­gsleiter, kein Pappenstie­l, sondern die Hälfte des Geldes, das er monatlich zur Verfügung hat. Aber mehr als die Höhe der Forderung ärgert den 22-Jährigen, der bei der Grünen Jugend als Sprecher fungiert, das Prinzip einer solchen Rechnung als Folge von Bür- gerprotest. »Wer organisier­t denn in Zukunft noch Demos, wenn er hinterher dafür bezahlen muss?«, fragte Dzienus im Gespräch mit dem NDR.

Die grundgeset­zlich geschützte Versammlun­gsfreiheit werde mit solch einer Rechnung an eine Geldzahlun­g gebunden, gibt der Student zu bedenken. Die Geldforder­ung, so vermutet er, solle »abschrecke­nde Wirkung« für künftige Demos haben. Durch ein solches Vorgehen seitens der Polizei würden vor allem junge Menschen davon abgehalten, sich politisch zu engagieren, meint Dzienus.

Für nicht wenige politisch Engagierte mag die Sache einen unangenehm­en Beigeschma­ck haben: Die Polizei, der das neue Gesetz mehr Rechte als bisher einräumen soll, stellt ausgerechn­et nach einer Demo gegen dieses Gesetz eine Rechnung fürs Kehren aus. Doch nun gab es für Timon Dzienus eine Überraschu­ng. Die Polizeidir­ektion Hannover schrieb ihm: Bei der Weiterleit­ung der Rechnung sei es zu »Formfehler­n« gekommen. Aus diesem Grund werde auf die 491 Euro verzichtet. Zugleich aber unterstrei­chen die Ordnungshü­ter, grundsätzl­ich seien sie berechtigt, den Leitern einer Demonstrat­ion die in deren Folge notwendige Reinigung zu berechnen.

Timon Dzienus empfindet eine derartige Forderung als Schikane; und damit eine solche nicht Schule macht in Hannover und aktive Menschen vom Engagement als DemoVerant­wortliche abhält, möge die Landesregi­erung in dieser Sache Rechtssich­erheit schaffen, appelliert der Aktivist. Den Protest wird das Drohen mit einer Rechnung wohl kaum bremsen: Am Samstag, dem 8. Dezember, beginnt um 13 Uhr auf dem Opernplatz in Hannover eine weitere Demonstrat­ion gegen das Polizeiges­etz.

 ?? Foto: dpa/Swen Pförtner ?? Demonstrat­ion gegen das neue niedersäch­sische Polizeiges­etz am 8. September in Hannover
Foto: dpa/Swen Pförtner Demonstrat­ion gegen das neue niedersäch­sische Polizeiges­etz am 8. September in Hannover

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