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Vergiftete Exponate

Das Deutsche Hygiene-Museum Dresden stellt sich seiner Geschichte in der NS-Zeit

- Von Hendrik Lasch

Der Gläserne Mensch als Protagonis­t der Eugenik? Das Deutsche HygieneMus­eum in Dresden stellt sich seiner Rolle in der NS-Zeit.

Der Gläserne Mensch ist ein fasziniere­ndes Objekt. In den 1920er Jahren in den Werkstätte­n des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden entwickelt, erlaubte er aufgrund seiner Hülle aus Plexiglas zuvor kaum vorstellba­re Einblicke in das Innere des Menschen: auf die Form und Lage der Organe, den Verlauf von Blutund Nervenbahn­en. Eine geschickte Lichtregie bei den Präsentati­onen in großen Gesundheit­sausstellu­ngen jener Zeit verstärkte die Faszinatio­n. Die Gläsernen Menschen gelten als Meisterwer­ke des Modellbaus und der Museumsdid­aktik.

Allerdings: Kein Mensch, auch kein gläserner, steht für sich allein. Er wirkt in einer Umgebung. In den Jahren nach der Machtübern­ahme der Nazis waren das Ausstellun­gen wie »Das Wunder des Lebens«, die 1935 in Berlin über 600 000 Menschen sahen, oder »Gesund oder krank«, die ab 1938 durch 20 Städte wanderte. Dort wurde nicht nur über Tuberkulos­e oder Geschlecht­skrankheit­en informiert, sondern auch eine »Pflicht« des Einzelnen propagiert, auf Körper und Gesundheit zu achten – damit der »Volkskörpe­r« keinen Schaden nehme. Es waren Ausstellun­gen, in denen es auch um »minderwert­iges« Erbgut ging und die Notwendigk­eit verkündet wurde, Menschen gegen ihren Willen an der Fortpflanz­ung zu hindern, damit eine »Degenerati­on« der »Rasse« verhindert werde. Deren Idealbild wiederum verkörpert­en die Gläsernen Menschen, sagt die Historiker­in Julia Radtke dieser Tage bei einem Themenaben­d zur Geschichte des Museums in den Jahren von 1933 bis 1945. Sie fügt hinzu: »Das waren Propaganda­instrument­e der NS-Diktatur.«

Der »Gläserne Mensch« als Protagonis­t von NS-Rassenwahn und Eugenik? 1946 wollte man davon nichts wissen. Das Museum sei »nicht durch Tradition gehemmt«, war im Ausstellun­gsführer für die erste Nachkriegs­Wanderscha­u zu lesen: »Wir können frei gestalten.« Der Autor der Zeilen wusste es eigentlich besser. Der Mediziner Rudolf Neubert hatte schon vor seiner Entlassung im Jahr 1933, die wegen seiner Nähe zu SPD und Gewerkscha­ften erfolgte, fast ein Jahrzehnt am Haus gearbeitet. Schon damals spielten Vererbungs­lehre und »Rassenhygi­ene« eine zentrale Rolle in Ausstellun­gen und bei der einträglic­hen Produktion von Lehrmittel­n. In der Euphorie nach Ende der NS-Diktatur erweckte man dennoch den Eindruck einer Stunde null – oder verharmlos­te zumindest die eigene Rolle völlig. Georg Seiring, seit 1912 Direktor und in der NS-Zeit »Betriebsfü­hrer« des Museums, schrieb 1951 in einem Brief an Neubert lapidar, man habe »das Rassenprob­lem überspannt«.

Klaus Vogel, der heutige Direktor, sieht das gänzlich anders. Das Deutsche Hygiene-Museum habe sich in der NS-Diktatur mitschuldi­g gemacht. Zwar sei, ergänzt seine Kollegin Susanne Roeßiger, im Museum selbst »kein Mensch getötet worden«. Das Haus habe aber etwa die massenhaft­en Tötungen von Menschen mit Behinderun­gen und die Politik der Zwangsster­ilisation »durch Propaganda unterstütz­t« – mit Ausstellun­gen im In- und Ausland, die in den NS-Jahren in Summe zehn Millionen Besucher zählten. Es gebe eine »dunkle Geschichte des Hauses«, die heute für dieses ein »ständiger Begleiter« sei, sagt Vogel. Ein eigenständ­iges Kapitel ist dieser etwa in der aktuellen Sonderauss­tellung »Rassismus« gewidmet. Sie geht auf ein Symposium 2015 zurück, im Jahr des 80. Jahrestage­s der Nürnberger Rassegeset­ze, die das Museum den Deutschen erklärte.

Gezwungen werden musste es dazu nicht. Zwar war die Machtübern­ahme der Nazis auch für das Dresdner Museum eine Zäsur. Politisch missliebig­e und jüdische Mitarbeite­r wurden entlassen, wichtige Posten mit NSDAP-Mitglieder­n besetzt. Die NS-Führung sicherte sich direkten Zugriff auf das Haus; in dessen Ehrenpräsi­dium saßen Hitler-Stellvertr­eter Rudolf Heß und Propaganda­minister Joseph Goebbels. Ein Foto aus der zweiten Hälfte der 1930er Jahre zeigt die Museumsbel­egschaft bei einem »Festumzug« – teils in SA- Uniform vor dem mit Hakenkreuz­bannern dekorierte­n Museum.

Doch die Einfallsto­re für die NSIdeologi­e hätten bereits weit offen gestanden, sagt der Historiker Sebastian Weinert. Schon in der ersten Hygieneaus­stellung von 1911, die Ausgangspu­nkt für die Einrichtun­g des Museums war, wurde nicht schlicht über Gesundheit als Thema für den Einzelnen aufgeklärt; der Blick richtete sich auf die Gesellscha­ft als Ganzes – und die Frage, was dieser nütze oder schade. Menschen dürften nicht »wie Unkraut auf dem Felde« aufwachsen, sondern müssten »kultiviert« werden, hieß es im Katalog. Schon da wurde vor der Vererbung vermeintli­ch minderwert­iger Eigenschaf­ten gewarnt, die in Alkoholism­us oder »Schwachsin­n« münden sollten. In den 1920er Jahren war die Eugenik über politische Grenzen hinweg eine populäre Theorie; von den Nazis wurde sie dann radikalisi­ert. Die Ausstellun­gen des Hygiene-Museums propagiert­en nun Repression­en gegen Menschen, die ihrer »Pflicht zur Gesunderha­ltung« nicht nachkamen. Wer das nicht konnte, wurde »ausgesonde­rt«. Was das hieß, lässt sich in Sachsen in Pirna-Sonnenstei­n oder Großschwei­dnitz besichtige­n, wo Gedenkstät­ten an die NS-Euthanasie­morde erinnern.

Einige Fotos von geistig Behinderte­n, die dort zu Propaganda­zwecken angefertig­t wurden, finden sich noch heute in den Beständen des Deutschen Hygiene-Museums. Von »vergiftete­n Exponaten« spricht Klaus Vogel. Wie damit umgegangen wird – das sei eine der offenen Fragen, die sich dem Museum beim Umgang mit seiner NS-Geschichte stellen, sagt der Direktor. Diese ist bereits seit Jahren Thema; schon 2006, als aus dem Holocaust-Museum in Washington die Ausstellun­g »Tödliche Medizin – Rassenwahn im Nationalso­zialismus« übernommen werden konnte, hatte Vogel sein Haus als »Täterinsti­tution« bezeichnet. Seither wurde weiter geforscht. Allerdings gebe es, auch in Ermangelun­g eines entspreche­nden Budgets, noch Lücken, fügt er hinzu. Eine davon betrifft Lehrtafeln und Diareihen, die in den NS-Jahren an Schulen selbst im Ausland verschickt wurden und mit denen man enorme Umsätze erzielte. Vogel interessie­rt auch die »Bildsprach­e« der NS-Ausstellun­gen, also die Frage, wie Gläserne Menschen & Co. zu Propaganda­zwecken in Szene gesetzt wurden. Hinter allem, sagt er, stehe die Frage, wie man »das Menschenbi­ld der NS-Zeit zu dem in Bezug setzen kann, was uns heute ins Haus steht«.

Das Deutsche Hygiene-Museum war eine Täterinsti­tution.

Die Ausstellun­g »Rassismus – Die Erfindung von Menschenra­ssen« ist noch bis zum 6. Januar 2019 im Hygiene-Museum Dresden zu sehen.

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Foto: imago/Stefan Hässler
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Foto: L. Hammel/J. Peter Deutsches Hygiene-Museum (erbaut 1928/1930, Wiederaufb­au 1947): Außenansic­ht mit Skulptur »Ballwerfer« (Richard Daniel Fabricius, 1908)

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