Zu wenig bewegt
Der Grünen-Politiker Gerhard Schick über seinen Entschluss, sein Bundestagsmandat aufzugeben
Der Grüne Gerhard Schick über seinen Abschied vom Bundestag.
Sind Sie eigentlich als linker Grüner froh, dass die Jamaika-Koalition mit Union und FDP nach der letzten Bundestagswahl nicht geklappt hat? Ich war immer skeptisch, ob daraus etwas wird. Deswegen hat es mich nicht überrascht, dass Christian Lindner irgendwann die Gespräche abgebrochen hat. Gerade bei der Migrations- und Flüchtlingspolitik hätte es uns Grüne zerrissen, wenn die CSU mit uns so ein Theater aufgeführt hätte, wie sie es jetzt mit der SPD gemacht hat. Aber zur Geschichte gehört auch, dass man in der Regierung mehr gestalten kann als aus der Opposition heraus.
Nicht nur mit der CSU hätte es Reibungspunkte gegeben, sondern auch mit der FDP. Sie hätten dann als Finanzpolitiker etwa mit Wolfgang Kubicki zusammenarbeiten müssen, der als Anwalt Hanno Berger vertritt, eine zentrale Gestalt im Cum-Ex-Skandal.
Das stimmt. Auch im Finanzbereich hätten wir an manchen Stellen übel schlucken müssen.
Eine Zusammenarbeit mit Friedrich Merz als möglichem neuen CDUChef bleibt Ihnen auch erspart.
Ich will nicht spekulieren, wer den CDU-Vorsitz erringt. Das schauen wir mal.
Trotzdem geben Sie zum Jahreswechsel Ihr Bundestagsmandat ab. Ich bin ein begeisterter Parlamentarier. Ich konnte, glaube ich, zeigen, dass man als Bundesabgeordneter auch in der Opposition etwas reißen und Erfolge haben kann. Aber mir ist es wichtig, jetzt mit unserer Initiative »Finanzwende« ein wirkliches Gegengewicht zur Finanzlobby zu schaffen.
Geht nicht beides – sich in einer Nichtregierungsorganisation (NGO) zu engagieren und gleichzeitig Bundestagsabgeordneter zu sein? Schließlich üben viele Abgeordnete Nebentätigkeiten aus. Nein. Gleichzeitig Teil einer Fraktion zu sein und eine überparteiliche Nichtregierungsorganisation zu leiten, schließt sich für mich aus. Deswegen musste ich mich für eine Sache entscheiden. Aber kann man als Bundestagsabgeordneter nicht mehr bewirken als in einer NGO?
Diese Aufgabe ist wichtiger als ein Bundestagsmandat. Eine NGO wie Finanzwende, die auf Finanzmarktthemen spezialisiert ist, gab es in Deutschland so noch nicht. Insofern schließen wir eine große Lücke in der Gesellschaft. Wir können zusammen mit vielen Bürgerinnen und Bürgern mehr erreichen, als ich es als einzelner Bundestagsabgeordneter kann. Es geht nämlich nicht nur um ein, zwei Reförmchen, sondern um eine grundlegende Veränderung der Finanzmärkte. An vielen Stellen ist dieser Sektor außer Kontrolle. Das sehen wir an den vielen Kriminalfällen in diesem Bereich.
Sie haben bereits 2016 zusammen mit Sven Giegold und Udo Philipp ein Buch veröffentlicht, das »Finanzwende« heißt. Darin haben Sie etwa gefordert, dass Banken mindestens zehn Prozent wirkliches Eigenkapital vorhalten sollten. Wie lange gärte in Ihnen schon die Idee, eine solche NGO zu gründen?
Es gibt die Idee in der Tat schon länger, weil ich gemerkt habe, dass es in dem Bereich einfach an zivilgesellschaftlicher Kraft fehlt. Ich habe immer unsere Umweltpolitiker beneidet, die etwa mit »Ende Gelände« oder traditionellen Organisationen wie Greenpeace, dem BUND, der Deutschen Umwelthilfe und dem NABU eine lebendige Zivilgesellschaft hinter sich haben.
Spielte auch Ihre Arbeit im Cum-ExUntersuchungsausschuss bei der Gründung von »Finanzwende« eine Rolle?
Der Skandal war ein ganz entscheidender Auslöser. Es war schockierend zu sehen, dass diese Gesellschaft sich offenbar kaum dafür interessiert, dass sie von Finanzprofis ausgeplündert wird. Eigentlich hätte über den Untersuchungsausschuss regelmäßig berichtet werden müssen. Aber es war sehr mühsam, das Thema überhaupt auf die Tagesordnung zu setzen. Da wurde mir klar, dass ich als Einzelner im Bundestag nicht genug bewegen kann und es eine zivilgesellschaftliche Antwort der Bürgerinnen und Bürger braucht. Zum zehnten Jahrestag der LehmanPleite war es nun möglich, diese Antwort auf den Weg zu bringen.
Damals wurde viel versprochen … Während der Finanzkrise gab es viele, die meinten, dass die Finanzmärkte wieder in den Dienst der Gesellschaft gehörten, zu große Banken verkleinert werden sollten und man zum Beispiel den Hochfrequenzhandel stoppen oder eine Finanztransaktionssteuer einführen sollte, damit der Finanzsektor für die Kosten der Krise aufkäme. Wirklich etwas geändert hat sich trotzdem nicht.
Woran liegt das?
Immer wenn über Regulierungen entschieden werden sollte, hat die Finanzlobby massiv Gegenarbeit geleistet. Beispiel Hochfrequenzhandel: Niemand außer den Händlern profitiert davon, wenn in Sekundenbruchteilen Milliarden von Algorithmen hin und her geschoben werden. Der Hochfrequenzhandel erfüllt keinen realwirtschaftlichen Sinn, sondern schadet langfristigen Investitionen. Wirklich beseitigt wurde er in Deutschland nicht. Und als es um das Eigenkapital der Banken ging, hat die Bundesregierung aufgrund der schwachen Eigenkapitalausstattung der Deutschen Bank gegen eine Schuldenbremse für Banken interveniert.
Mittlerweile liegt die Finanzkrise lange zurück.
Da würde ich widersprechen. Viele Menschen erleben derzeit noch die Auswirkungen der bestehenden Finanzkrise. Nehmen Sie zum Beispiel die Menschen, deren Pensionskasse die Auszahlungen reduziert. Gleiches gilt für die Menschen, die derzeit keine bezahlbare Wohnung finden, weil immer mehr mit Immobilien spekuliert wird. Viele Menschen erleben gerade, dass sich die Finanzkrise über die Niedrigzinsphase in ihr Portemonnaie frisst.
Für Sie sind Finanzfragen also auch soziale Fragen?
Unbedingt! Das ist einer der Gründe, warum ich mich mit den Finanzmärkten beschäftige. Die Umverteilung von unten nach oben, die derzeit dort stattfindet, ist eklatant. Es ist eines der wichtigsten Dinge, die verändert werden müssen. Nehmen wir zum Beispiel die Lebensversicherungen: Die haben ein Problem mit den niedrigen Zinsen. Vorstände haben in der Vergangenheit Versprechen gemacht, die sie nun nicht mehr einhalten können. Das kann man nicht rückgängig machen, aber man kann versuchen, die Lasten fair zu verteilen. Stattdessen wird bei den Versicherten gekürzt, während weiter Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet werden.
Es gibt Wissenschaftler, die die Polarisierung der Gesellschaft nach der Finanzkrise als einen Grund für den Aufstieg der AfD ansehen. Teilen Sie diese Meinung?
Die AfD ist nicht während der Flüchtlings-, sondern während der Eurokrise gegründet worden. Das ist meines Erachtens kein Zufall. Auch wurde Victor Orbán direkt nach Ausbruch der Finanzkrise gewählt, als in Ungarn plötzlich viele Menschen überschuldet waren, weil sie ihre Häuser mit Krediten in Fremdwährungen finanziert hatten und die heimische Währung massiv an Wert verlor. Auch gibt es Untersuchungen, denen zufolge es nach Finanzkrisen häufig zu einem Rechtsruck in der Gesellschaft kommt.
Woran liegt das?
Ich glaube, die Zusammenhänge sind nicht einfach erklärbar. Aber es ist evident, dass angesichts komplexer Probleme in unserer Gesellschaft die einfache Erklärung, die Flüchtlinge seien das Problem, gut verfängt. Das nutzen diejenigen, die schon immer fremdenfeindlich waren. Ähnlich wie im Mittelalter, als die Menschen krank wurden und man dann sagte, dass jemand die Brunnen vergiftet habe. Weil Finanzkrisen systemisch sind, bleibt für die meisten unklar, was da genau passiert und wer schuld ist. Statt über die tatsächlichen Ursachen zu sprechen, wird dann nach Sündenböcken gesucht.
Ist die Finanzkrise tatsächlich so schwer zu verstehen?
Nein. Aber Finanzthemen umgibt eine gewisse Aura, dass darüber nur Ex- perten sprechen dürfen. In den Expertendebatten jedoch gewinnen immer die vielen Spezialisten der Branche gegen die wenigen unabhängigen Fachleute. Die Bürgerinteressen geraten unter die Räder. Deswegen wollen wir mit »Finanzwende« nicht nur ein Thinktank mit klugen Ideen sein, sondern auch möglichst viele Bürgerinnen und Bürger in die Diskussion einbeziehen. Der Begriff »Bürgerbewegung« ist bei uns wirklich Programm.
Eine Bewegung möchte auch Sahra Wagenknechts Initiative »Aufstehen« sein. Genauso wie sie haben auch Sie einige Prominente wie Norbert Blüm und Peter Bofinger als Gründungsmitglieder um sich geschart. Doch haben Sie Ihre Gründung nicht so laut initiiert. Verstehen Sie »Finanzwende« als eine leise, grüne Antwort auf »Aufstehen«? Weder leise noch grün. Der entscheidende Unterschied zu »Aufstehen« ist, dass wir mit den Finanzmärkten einen klaren thematischen Fokus haben. Auch geht es bei uns nicht um eine machtpolitische Perspektive oder parteipolitische Überlegungen. Ich bin zwar weiterhin Mitglied bei den Grünen, aber wir sind kein grünes oder linkes, sondern ein zivilgesellschaftliches Projekt, das der Finanzlobby etwas entgegensetzen wird.
Hört sich etwas nach einer Lobbyorganisation für den sprichwörtlichen »kleinen Mann« an.
Der Bürgergesellschaft, nicht nur des kleinen Mannes! Es geht auch um den Unternehmer, der sich fragt, warum er trotz 30 Prozent Eigenkapital keinen Kredit von einer Bank bekommt, die selber nur drei Prozent Eigenkapital hat. Es geht auch um Anwälte, die sich fragen, warum das Fehlverhalten der Banken keine juristischen Konsequenzen hat. Oder um die Finanzbeamten, die frustriert sind, weil der Staat lange nichts gegen die CumEx-Betrügereien getan hat. Unsere Stärke als Bürgerbewegung liegt darin, dass es quer durch unsere Gesellschaft viele Menschen gibt, die sagen: So kann es mit den Finanzmärkten nicht weitergehen. Wenn die alle mitmachen, werden wir sehr stark.
»Weil Finanzkrisen systemisch sind, bleibt für die meisten unklar, was da genau passiert und wer schuld ist. Statt über die tatsächlichen Ursachen zu sprechen, wird dann leicht nach Sündenböcken gesucht.«