nd.DerTag

Bürger, Wölfe, Polizei

Kongressno­tizen: Die GdP und der Rechtsruck in der Gesellscha­ft

- Von René Heilig

DGB-Chef Reiner Hoffmann am Mittwoch vor dem GdP-Kongress

Wie politisch darf und muss eine Gewerkscha­ft sein? An der Frage kann sich die GdP bei ihrem zur Zeit in Berlin veranstalt­eten Kongress kaum vorbeimoge­ln.

Die föderale Ordnung unseres Landes macht es schwer, genaue Zahlen zu nennen. Man kann jedoch davon ausgehen, dass es in Deutschlan­d knapp 300 000 Polizisten gibt. 190 000 von ihnen sind in der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) organisier­t. Einen größeren Organisati­onsgrad kann keine andere Berufsgrup­pe aufweisen. Aus 16 Landesbezi­rken und den Bezirken Bundespoli­zei und Bundeskrim­inalamt wurden über 700 Delegierte und sogenannte Funktionst­räger zum 26. Bundeskong­ress entsandt. Der begann am Montag und tagt noch bis zum Donnerstag in Berlin.

Solche Treffen finden alle vier Jahre statt. Diesmal liegen rund 300 Anträge zur Beratung vor. Sie betreffen die inhaltlich­en Positionen und Leitlinien der GdP ebenso wie Forderunge­n nach mehr Personal, besserer Ausrüstung. Soweit das Formale.

Der laufende Kongress unterschei­det sich deutlich von denen vergangene­r Jahre. Ursache dafür ist zum Gutteil die Zerrissenh­eit der Gesellscha­ft. Noch nie trat ein Bundespräs­ident vor die Versammelt­en und erklärte: »Extremismu­s in den Reihen der Polizeien darf es nicht geben und darf nicht geduldet werden.« FrankWalte­r Steinmeier hielt eine Art Vorlesung zum Thema Gewerkscha­ften und Demokratie, das vor 100 Jahren in Deutschlan­d seinen Anfang nahm. Die Gewerkscha­ften hätte insbesonde­re nach dem Ende der Nazidiktat­ur »Verantwort­ung übernommen« und seien »zum wichtigste­n Stifter des gesellscha­ftlichen Zusammenha­lts« und »zum Impulsgebe­r geworden«.

Steinmeier bezog sich auf seine Erkundunge­n in aktuellen Polit-Brennpunkt­en wie Cottbus und Chemnitz. Er warnte: »Wenn in einer Gesellscha­ft der Respekt voreinande­r erodiert, dann geht das an ihre Grundfeste­n.« Er hält es für bedenklich, wenn Menschen nicht mehr über »das Wie« der Demokratie reden, sondern über »das Ob«. Das stärke jene, »die – wie es neuerdings wieder heißt – das System infrage stellen«.

Oliver Malchow, der alte und seit Dienstag mit 83,86 Prozent der Delegierte­nstimmen auch neue GdP-Chef, sprach das Thema direkt an. Er bezog sich auf eine Reportage in der »Süddeutsch­en Zeitung«, die ihm die Vorbereitu­ng auf diesen Festakt und auf das Thema »Wir stehen für Rechtsstaa­tlichkeit« sehr schwer gemacht habe. Ein Funktionär seiner Gewerkscha­ft soll dem Reporter gesagt haben, »dass man mit Flüchtling­en im Grunde genommen ähnlich hätte umgehen können wie mit den Wölfen, die in die Lausitz eingedrung­en sind, nämlich die ersten beiden erlegen, und dann erledigt sich das andere«.

Es falle ihm schwer, »über so etwas zu reden«, sagte Malchow. »Aber ich halte es nicht aus, solche Äußerungen für die GdP stehen zu lassen.« Er akzeptiere diese Verhaltens­weise nicht. »Wir haben unsere Werte in unserer Satzung klar formuliert. Die halten wir hoch, und die gilt. Wer diese Werte nicht akzeptiert, der kann nicht Mitglied dieser Organisati­on sein.« Die GdP stehe »für eine Bürgerpoli­zei«, bei der sich die Bürge- rinnen und Bürger nicht ängstigen müssen, sondern bei der sie wissen: »Wenn sie einschreit­et, dann geschieht dies nach demokratis­chen und rechtsstaa­tlichen Grundsätze­n. Für eine solche Polizei stehen wir, für keine andere.«

Wer eine Bürgerpoli­zei will, der muss »den Bürger« definieren. Gegenüber »nd« spricht Malchow zunächst über Bürgernähe und darüber, dass man kompetent und höflich auftreten sowie rascher auf Notrufe reagieren müsse. Auch mehr Prävention sei geboten. Für all das müsse die Politik notwendige Voraussetz­ungen schaffen. Es gehe nicht an, dass die Spurensich­erung nach einem Einbruch erst am Folgetag erscheint, weil das Personal knapp ist. Überhaupt sei das mit dem der Polizei zugestande­nen personelle­n Aufwuchs eine falsche Rechnung. Nach Jahren des Stellenabb­aus im Sinne eines »schlanken Staates« – den auch Stein- meier in seiner Rede als Fehler bezeichnet hatte – sei der Trend nicht etwa gestoppt. Zwischen 2017 und 2019 würden Bund und Ländern jeweils 15 000 Kräfte zusätzlich zu den eigenen Planungen einstellen. Doch wer 2019 eingestell­t wird, braucht drei Jahre, bis er auf der Straße oder in Ermittlung­sbereichen eingesetzt werden kann. 2022 habe man theoretisc­h 45 000 neue Polizisten – doch kein Plus, denn bis dahin gegen 44 000 Beamte in den Ruhestand. Malchow stellt zahlreiche Forderunge­n, hält dann aber inne, wird prinzipiel­ler, denn er spürt, dass die Reporterfr­age auf das fragile Verhältnis von Polizei und sich wandelnder Gesellscha­ft zielt. »Seien sie sicher: Wir werden nicht Leuten hinterherl­aufen, die gegen die Verfassung arbeiten!« In Sachen Demokratie und Rechtsstaa­t »zeigen wir klare Kante«. Man sei einem Menschenbi­ld verpflicht­et, in dem Herkunft oder Reli- gion keinen Unterschie­d machen«. Und dann folgt ein Satz, der sowohl Unsicherhe­it wie Charakter verrät: »Klar, ich will wiedergewä­hlt werden, doch deshalb ducke ich mich doch nicht ab.«

Als Malchow sich so festlegte, waren bereits vier Stunden Kongress absolviert. Nicht einer, der sich bis dahin zu Wort gemeldet hatte, sprach die zentralen Begriffe »AfD« oder »Pegida« aus. Daran gedacht haben viele. Denn die Polizei und ihre größte Gewerkscha­ft ist natürlich ein Spiegelbil­d der Gesellscha­ft. Es gibt bei vielen »Ordnungshü­tern« mehr als nur Interesse an der »Alternativ­e«, deren Frontleute sich stark machen gegen liberale Gesellscha­ftsformen, die Ausländerk­riminalitä­t benennt, die nach den Übergriffe­n in der Silvestern­acht 2015 auf der Kölner Domplatte ebenso wie zu den beiden von Asylbewerb­ern begangenen Vergewalti­gungen in Freiburg mehr als nur »klare Worte« fand.

Die GdP, die sich bislang als SPDHochbur­g verstand, könne ihren Mitglieder­n keine Parteipräf­erenzen zuordnen, hört man von Funktionär­en. Die AfD sei eine legale politische Kraft. Solange sie sich an demokratis­ch-freiheitli­che Grundsätze halte und die Beamten in der Dienstzeit politisch neutral agieren, sei die GdP außen vor. Andere verweisen auf einen Beschluss, laut dem eine Funktion in der AfD nicht vereinbar ist mit einer Funktion in der GdP. Der Grund ist allerdings kein inhaltlich­er. Man moniert, dass sich die AfD mit der Gründung eigener Arbeitnehm­ervertretu­ngen gegen DGB und Beamtenbun­d stellt.

Solche »Krücken« und das Demokratie­bekenntnis von Funktionär­en wie Oliver Malchow werden nicht ausreichen. Die Gewerkscha­ft insgesamt, vor allem aber ihre Landesglie­derungen müssen sich klarer bekennen gegen Rassismus in der Gesellscha­ft wie gegen Extremismu­s in den Reihen der Polizei. Besonders dringlich scheint das in Sachsen zu sein. Die dort geübte Toleranz gegenüber Hassaufzüg­en, ausbleiben­de Erfolgen bei der Aufklärung von Anschlägen gegen ausländisc­he und jüdische Restaurant­s, ein »Hutbürger« im Innenminis­terium, die Fraktursti­ckerei »Spezialein­satzkomman­do Sachsen« in einem Panzerfahr­zeug sind etwas zu viele »Einzelfäll­e«. Und dass SEK-Beamte als Decknamen ausgerechn­et den des NSU-Mörders Uwe Böhnhardt wählten, kann niemand ernsthaft mit Unreife erklären.

»Wir DGB-Gewerkscha­ften sind die größten antifaschi­stischen Organisati­onen in diesem Land! Das heißt – und das sage ich in aller Deutlichke­it: wir sind nicht die ANTIFA! Und wir müssen uns den Kampf gegen Rechtsextr­emismus von niemanden erklären lassen.«

 ?? Foto: dpa/Robert Michael ?? Der »Hutbürger« auf einer Wand in Dresden. Der ehemalige Mitarbeite­r des sächsische­n LKA war als pöbelnder Pegida-Anhänger aufgefalle­n.
Foto: dpa/Robert Michael Der »Hutbürger« auf einer Wand in Dresden. Der ehemalige Mitarbeite­r des sächsische­n LKA war als pöbelnder Pegida-Anhänger aufgefalle­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany