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DGB will Minijobs abschaffen

Nicht nur Hartz IV wurde unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder eingeführt. Mit Hartz I schuf er auch die Minijobs

- Von Alina Leimbach

Sie waren einst als Zuverdiens­t oder Brücke in den Arbeitsmar­kt gedacht. Häufiger führen sie jedoch in Armut: Minijobs. Es gibt kaum einen Supermarkt in Deutschlan­d, an dem sie nicht kleben: die Aushänge »Aushilfe (m/w) auf Minijobbas­is gesucht«. 450 Euro gibt es für die so Beschäftig­ten maximal – dafür aber steuerfrei zu verdienen. Für die Unternehme­n ist der Minijob eine tolle Sache: Sie bekommen flexible Kräfte und müssen nur geringe Pauschalab­gaben für sie zahlen.

Der DGB läuft nun Sturm gegen diese – deutlich schlechter abgesicher­te – Form der Teilzeit. »Es ist Zeit für eine grundlegen­de Minijobref­orm. Wir wollen, dass Minijobs umgewandel­t werden in Teilzeit- oder Vollzeitjo­bs im Schutz der Sozialvers­icherung«, sagte Annelie Buntenbach, Vorstandsm­itglied des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB), dem »nd«. Laut DGB arbeiteten 2017 rund 7,5 Millionen Menschen in Deutschlan­d in einem Minijob. Sie sind, anders als normale Teilzeitkr­äfte, nicht kranken- oder arbeitslos­enversiche­rt. Wird ihnen gekündigt, geht es direkt in Hartz IV. »Gerade in Zeiten, wo es uns wirtschaft­lich gut geht, ist es wichtig, die entscheide­nden Themen anzugehen. Wenn wir das nicht jetzt machen, wird man dieses Unding nie beseitigen.« Diese Forderung, die auf eine Abschaffun­g der Minijobs in der heutigen Form herausläuf­t, findet sich auch in der aktuellen Ausgabe von »Arbeitsmar­kt Aktuell« zum Thema prekäre Beschäftig­ung wieder, die »nd« vorab vorliegt.

Der DGB schlägt vor, die geringfügi­ge Beschäftig­ung abzuschaff­en und schon ab dem ersten Euro die Arbeitnehm­er*innen in die Sozialvers­icherung einzubezie­hen. Das Konzept dazu nennt sich »Arbeitnehm­er-Entlastung­sbeitrag«. Bei sehr niedrigen Einkommen sollen in diesem Konzept die Beiträge auf Arbeitgebe­r und Beschäftig­te unterschie­dlich verteilt werden, sodass der Anteil der Beschäftig­ten schrittwei­se steigt, während die Belastung für die Arbeitgebe­r sinkt. Ab 850 Euro Nettoeinko­mmen soll dann die paritätisc­he Finanzieru­ng greifen. So sollen Anreize in den Betrieben ge-

Gerhard Schröder

schaffen, das Arbeitsvol­umen auszuweite­n, wenn es von den Beschäftig­ten gewünscht wird.

Ihren Ursprung haben Minijobs in den Jahren der rot-grünen Regierung Gerhard Schröders (SPD). Sie wurden von ihm im Zuge von »Hartz I« eingeführt. Ohne Ironie war sein Zitat beim Weltwirtsc­haftsforum 2005 in Davos gemeint, wo er stolz verkündete: »Wir haben einen der besten Niedrigloh­nsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.« Doch, so beruhigte der Kanzler damals, diese Minijobs sollten sich vor allem an Schüler*innen, Student*innen, Rentner*innen und andere richten, die sich, euphemisti­sch gesagt, » etwas dazu verdienen wollen«. Zudem sah er sie als Hil- fe in den ersten, also sozialvers­icherungsp­flichtigen Arbeitsmar­kt.

Doch »dazu verdienen« ist in der Realität selten der Fall. Laut dem DGB ist der Minijob für 4,7 der insgesamt 7,5 Millionen derart Beschäftig­ten die einzige Einkommens­quelle. Auch das Argument Nebenverdi­enst für Schüler*innen und Rentenbezi­eher*innen zieht nur bedingt. Selbst wenn man diese Gruppen weitestgeh­end ausschließ­t und nur die Alterskate­gorie der 25 bis 64 Jährigen betrachtet, bleiben es weit mehr als zwei Millionen »hauptberuf­liche« Minijobber - insgesamt 2,4 Beschäftig­te.

»Minijobs sind eine der zentralen Quellen von Kinderarmu­t. Gerade Alleinerzi­ehende weichen oft auf Minijobs aus, und diese reichen nicht zum Leben«, warnt Buntenbach. Betroffene müssten dann aufstocken und sammeln zudem oftmals keine Beitragspu­nkte für die Rentenvers­icherung. »Dann führt die prekäre Beschäftig­ung sogar auch zu Altersarmu­t.«

Und auch ob Minijobs wirklich ein Einstieg in sozialvers­icherungsp­flichtige Beschäftig­ung sind, ist mehr als fraglich. Selbst Ulrich Walwei, der derzeitige kommissari­sche Direktor des Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB), eine an die bundeseige­ne Bundesagen­tur für Arbeit gekoppelte Einrichtun­g, räumt das ein. »Anders, als die hohe Suchintens­ität nahelegen würde, sind Minijobs nur selten eine Brücke in sozialvers­icherungsp­flichtige Beschäftig­ung», schrieb er in einem Beitrag zu Minijobs im Februar. Laut Zahlen des IAB suchten Minijobber – unabhängig von ihren soziodemog­rafischen Merkmalen – signifikan­t häufiger nach einer neuen oder zusätzlich­en Beschäftig­ung suchen als jede andere Gruppe abhängig Beschäftig­ter. Zudem wünschten sich gerade Minijobber in Befragunge­n, dass sie im Durchschni­tt mehr Stunden arbeiten möchten. Außerdem so Walwei, gebe es Indizien dafür, dass die Minijobs das Entstehen von sozialvers­icherungsp­flichtigen Jobs verhindern – und damit die Chance auf gute Rente und Arbeitslos­engeld-I-Anspruch.

»Beim Thema Hartz IV sieht man, dass es möglich ist, Schwung in die Debatte zu bringen. Warum auch nicht beim Thema Arbeitsmar­ktreform und prekäre Beschäftig­ung?«, findet DGBVorstän­din Buntenbach.

»Wir haben einen der besten Niedrigloh­nsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.«

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