Fast alle gegen Iván Duque
In Kolumbien bekommt der neue Präsident Gegenwind aus vielen Teilen der Gesellschaft
Für diesen Mittwoch sind in ganz Kolumbien Großdemonstrationen geplant, die sich gegen den neuen rechten Präsidenten Iván Duque richten. An den Universitäten wird schon seit Wochen gestreikt. »So hatte ich mir mein Auslandssemester nicht vorgestellt«, sagt Leonie Männich und klingt dabei alles andere als enttäuscht. Die Studentin aus Bonn ist an der Nationaluniversität Kolumbiens in Bogotá mitten in die größte Protestwelle seit zehn Jahren geraten. Studierende und ihre Professoren fordern eine bessere und gerechtere Finanzierung des Bildungssystems. Das Haushaltsloch der 32 öffentlichen Universitäten des Landes beziffern sie auf rund vier Milliarden Euro. Außerdem lehnen sie die nachfrageorientierten Finanzierungsmodelle ab. Seit zwei Monaten herrscht deshalb Streik an den Unis und statt im Seminarraum findet sich Leonie nun bei Demonstrationen und Straßenblockaden wieder. Sehr beeindruckt sei sie von der Demonstrationskultur und geschockt von der Polizeigewalt, sagt sie. Denn zunächst antwortete die Regierung den landesweit Zehntausenden Protestierenden nur mit dem Einsatz der Aufstandsbekämpfungseinheiten der Polizei. Dann erklärte sie sich jedoch zu Verhandlungen bereit, die bislang aber zu keinem Ergebnis führten.
Doch nicht nur die Studenten setzen den rechten Präsidenten Iván Duque unter Druck, der vor gut drei Monate das Amt übernommen hat. Auch Gewerkschaften, Kleinbauern, Indigene und Teile der städtischen Mittelschicht sind unzufrieden mit dem neuen Staatsoberhaupt und wollen sich den Protesten anschließen. Für diesen Mittwoch sind erneut Großdemonstrationen im ganzen Land angekündigt und selbst ein 24-stündiger Generalstreik wird diskutiert.
Stein des Anstoßes ist unter anderem Duques Vorhaben, die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel zu erheben. Er will so das Haushaltsloch stopfen und geplante Steuerbefreiungen für Investitionen sowie die Senkung der Gewerbesteuer ausgleichen, die die Produktivität der Unternehmen ankurbeln und Arbeitsplätze schaffen sollen. Duques Zustimmung ist in Umfragen seither auf 27 Prozent gefallen.
Insgesamt lasse die Regierung einen klaren politischen Kurs vermissen, beklagen Beobachter. Selbst in seiner eigenen Partei, dem rechten Centro Democrático, wird die Unzufriedenheit über einen unklaren Kurs lauter.
Duque hat auch das zentrale politische Projekt der Vorgängerregierung, den Friedensprozess mit den Guerillas, allen voran der FARC, nicht grundlegend reformiert, so wie es seine Partei wünscht. Aber das scheint zwei Jahre nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags ohnehin nur noch ein Randaspekt für die Regierung zu sein. In der kubanischen Hauptstadt Havanna wartet die Delegation der ELN-Guerilla nach wie vor auf die Wiederaufnahme der Gespräche.
Derweil versucht Duques Partei im Kongress, die Sondergerichtsbarkeit für die Aufarbeitung der im Konflikt begangenen Verbrechen abzuschwächen. Und große Transformationen des politischen Systems und die Umverteilung von Landbesitz zugunsten von Kleinbauern, wie sie der Friedensvertrag vorsah, versanden zunehmend. »Im derzeitigen Entwurf des Nationalen Entwicklungsplans der Regierung kommt der Friedensprozess kaum vor«, so Menschenrechtsanwalt Alirio Uribe gegenüber »nd«. »Auf internationalem Parkett verspricht Duque die Umsetzung des Friedensabkommens. Wir in Kolumbien aber erleben das Gegenteil.«
Duque interpretiert Frieden vor allem als die staatliche Einbindung der ehemaligen Konfliktregionen und die Reintegration der ehemaligen FARCGuerilleros durch Produktivprojekte. Die Unterfinanzierung dieser Programme, die man laut dem zuständigen Regierungsbeauftragten Emilio Archila von der Vorgängerregierung geerbt habe, werden u.a. Gelder aus Deutschland kompensieren. Die Bundesregierung, so das Ergebnis der bilateralen Verhandlungen vergangene Woche, wird ihre Zuwendungen für die nächsten zwei Jahre auf 535 Millionen Euro noch einmal verdoppeln.
Während die Regierung Duque den Jahrestag der Unterzeichnung des Friedens ignorierte, lobten die Sondergesandten der EU und der Vereinten Nationen, Eamon Gilmore und Jean Arnault, die kolumbianische Friedensvereinbarung als beispielhaft. Sie wiesen aber auch darauf hin, dass die Bewohner einiger Provinzen noch immer »keine grundlegenden Garantien« seitens des Staates hätten. »Die Herausforderung besteht zweifellos darin, die Präsenz staatlicher Institutionen zu verstärken, um die Friedensdividenden in die Gebiete zu bringen, die die dortigen Gemeinschaften anstreben: Sicherheit, Bildung, Gesundheit, Land, Infrastruktur und Entwicklungsmöglichkeiten, die Alternativen zu illegalen Wirtschaften darstellen.«
Bildung als Grundrecht – das fordern auch die Studenten. Leonie Männich wird heute ebenfalls wieder dabei sein. »Ich sehe das als Bereicherung meines Auslandssemesters«, sagt sie.