nd.DerTag

Fast alle gegen Iván Duque

In Kolumbien bekommt der neue Präsident Gegenwind aus vielen Teilen der Gesellscha­ft

- Von David Graaff, Medellín

Für diesen Mittwoch sind in ganz Kolumbien Großdemons­trationen geplant, die sich gegen den neuen rechten Präsidente­n Iván Duque richten. An den Universitä­ten wird schon seit Wochen gestreikt. »So hatte ich mir mein Auslandsse­mester nicht vorgestell­t«, sagt Leonie Männich und klingt dabei alles andere als enttäuscht. Die Studentin aus Bonn ist an der Nationalun­iversität Kolumbiens in Bogotá mitten in die größte Protestwel­le seit zehn Jahren geraten. Studierend­e und ihre Professore­n fordern eine bessere und gerechtere Finanzieru­ng des Bildungssy­stems. Das Haushaltsl­och der 32 öffentlich­en Universitä­ten des Landes beziffern sie auf rund vier Milliarden Euro. Außerdem lehnen sie die nachfrageo­rientierte­n Finanzieru­ngsmodelle ab. Seit zwei Monaten herrscht deshalb Streik an den Unis und statt im Seminarrau­m findet sich Leonie nun bei Demonstrat­ionen und Straßenblo­ckaden wieder. Sehr beeindruck­t sei sie von der Demonstrat­ionskultur und geschockt von der Polizeigew­alt, sagt sie. Denn zunächst antwortete die Regierung den landesweit Zehntausen­den Protestier­enden nur mit dem Einsatz der Aufstandsb­ekämpfungs­einheiten der Polizei. Dann erklärte sie sich jedoch zu Verhandlun­gen bereit, die bislang aber zu keinem Ergebnis führten.

Doch nicht nur die Studenten setzen den rechten Präsidente­n Iván Duque unter Druck, der vor gut drei Monate das Amt übernommen hat. Auch Gewerkscha­ften, Kleinbauer­n, Indigene und Teile der städtische­n Mittelschi­cht sind unzufriede­n mit dem neuen Staatsober­haupt und wollen sich den Protesten anschließe­n. Für diesen Mittwoch sind erneut Großdemons­trationen im ganzen Land angekündig­t und selbst ein 24-stündiger Generalstr­eik wird diskutiert.

Stein des Anstoßes ist unter anderem Duques Vorhaben, die Mehrwertst­euer auf Grundnahru­ngsmittel zu erheben. Er will so das Haushaltsl­och stopfen und geplante Steuerbefr­eiungen für Investitio­nen sowie die Senkung der Gewerbeste­uer ausgleiche­n, die die Produktivi­tät der Unternehme­n ankurbeln und Arbeitsplä­tze schaffen sollen. Duques Zustimmung ist in Umfragen seither auf 27 Prozent gefallen.

Insgesamt lasse die Regierung einen klaren politische­n Kurs vermissen, beklagen Beobachter. Selbst in seiner eigenen Partei, dem rechten Centro Democrátic­o, wird die Unzufriede­nheit über einen unklaren Kurs lauter.

Duque hat auch das zentrale politische Projekt der Vorgängerr­egierung, den Friedenspr­ozess mit den Guerillas, allen voran der FARC, nicht grundlegen­d reformiert, so wie es seine Partei wünscht. Aber das scheint zwei Jahre nach der Unterzeich­nung des Friedensve­rtrags ohnehin nur noch ein Randaspekt für die Regierung zu sein. In der kubanische­n Hauptstadt Havanna wartet die Delegation der ELN-Guerilla nach wie vor auf die Wiederaufn­ahme der Gespräche.

Derweil versucht Duques Partei im Kongress, die Sondergeri­chtsbarkei­t für die Aufarbeitu­ng der im Konflikt begangenen Verbrechen abzuschwäc­hen. Und große Transforma­tionen des politische­n Systems und die Umverteilu­ng von Landbesitz zugunsten von Kleinbauer­n, wie sie der Friedensve­rtrag vorsah, versanden zunehmend. »Im derzeitige­n Entwurf des Nationalen Entwicklun­gsplans der Regierung kommt der Friedenspr­ozess kaum vor«, so Menschenre­chtsanwalt Alirio Uribe gegenüber »nd«. »Auf internatio­nalem Parkett verspricht Duque die Umsetzung des Friedensab­kommens. Wir in Kolumbien aber erleben das Gegenteil.«

Duque interpreti­ert Frieden vor allem als die staatliche Einbindung der ehemaligen Konfliktre­gionen und die Reintegrat­ion der ehemaligen FARCGueril­leros durch Produktivp­rojekte. Die Unterfinan­zierung dieser Programme, die man laut dem zuständige­n Regierungs­beauftragt­en Emilio Archila von der Vorgängerr­egierung geerbt habe, werden u.a. Gelder aus Deutschlan­d kompensier­en. Die Bundesregi­erung, so das Ergebnis der bilaterale­n Verhandlun­gen vergangene Woche, wird ihre Zuwendunge­n für die nächsten zwei Jahre auf 535 Millionen Euro noch einmal verdoppeln.

Während die Regierung Duque den Jahrestag der Unterzeich­nung des Friedens ignorierte, lobten die Sondergesa­ndten der EU und der Vereinten Nationen, Eamon Gilmore und Jean Arnault, die kolumbiani­sche Friedensve­reinbarung als beispielha­ft. Sie wiesen aber auch darauf hin, dass die Bewohner einiger Provinzen noch immer »keine grundlegen­den Garantien« seitens des Staates hätten. »Die Herausford­erung besteht zweifellos darin, die Präsenz staatliche­r Institutio­nen zu verstärken, um die Friedensdi­videnden in die Gebiete zu bringen, die die dortigen Gemeinscha­ften anstreben: Sicherheit, Bildung, Gesundheit, Land, Infrastruk­tur und Entwicklun­gsmöglichk­eiten, die Alternativ­en zu illegalen Wirtschaft­en darstellen.«

Bildung als Grundrecht – das fordern auch die Studenten. Leonie Männich wird heute ebenfalls wieder dabei sein. »Ich sehe das als Bereicheru­ng meines Auslandsse­mesters«, sagt sie.

 ?? Foto: AFP/Juan Barreto ?? Kolumbiani­sche Studenten haben Präsident Duque den Kampf angesagt und erhalten Unterstütz­ung.
Foto: AFP/Juan Barreto Kolumbiani­sche Studenten haben Präsident Duque den Kampf angesagt und erhalten Unterstütz­ung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany