nd.DerTag

Der einsamste Satz der Welt

- Von Hans-Dieter Schütt

Wer

nicht handelt, ist schuldig; wer handelt, ist auch schuldig. Du kannst nichts tun, aber du kannst auch nicht nichts tun. Die Schraubzwi­nge des Hamlet.

Peter Atanassow vom Gefängnist­heater »aufBruch« inszeniert­e Shakespear­e in der Jugendstra­fanstalt Berlin (Bühne: Holger Syrbe). Zwei bewegbare Treppen sorgen für Wechselsti­mmungen: Palast, Flure, Zimmerfluc­hten. Auf einer Leinwand Asta Nielsen: der Stummfilm als atmosphäri­sche Dopplung – zugleich eine listige, lustige Brechung: Laientheat­er trifft einstige Hochkultur, und manches sieht wie Augenhöhe aus. Schlager der Ufa-Zeit holen die Grübelqual, dies menschlich­e Urübel, gekonnt herunter auf Erlösungss­ehnsüchte: »Ich wollt, ich wär ein Huhn.«

Dreizehn Jungs: Zuerst wird mal der ganze Zitatensch­atz des überstrapa­zierten Stücks ins Publikum gekippt. Eine Salve geflügelte­r Worte. Schöne Idee. Als sei alle Schwere damit erledigt. Denken wir immer zu früh. Der Hof hier zeigt's anders: Er ist eine Inquisitio­n der Gleichgült­igkeit, des Lauerns.

Zweimal Hamlet: Hamza, Mimo – der eine verletzlic­h schmal, nur ein Hauch von Widerstand­skraft, der andere taff zynisch. Der eine bebt schlaksig, der andere liest in Büchern, beide aber gleich: Dieser Mensch sucht die Wahrheit, ohne sie lieben zu dürfen; er bleibt im Leben, ohne überhaupt leben zu können.

Ein Mädchen, eine Frau und zwei Jungs: Jalal als Gertrud, Fe-

Schlafen will Hamlet. Der Rest ist Schweigen? Nein, der Rest schreit. Andere nieder, sich selber frei.

ro als Ophelia. Gertrud trägt Bart und weiten Rock – der kräftige Jalal spielt bezaubernd, dass Raumverdrä­ngung ein sinnlicher Vorgang ist. Ophelia in zartbeigen Stiefelett­en. Keiner ist, was er scheint; und was einer sein will, wird er nie werden. Der Gerechte kein Held, die Liebende keine Glückliche. Fero als Ophelia weiß das. Just dies macht diese Gestalt so isoliert, fremd. Das ist derart traurig, dass man sich über das, was da gelang, nur freuen kann.

Schlafen will Hamlet. Der Rest Schweigen? Nein, der Rest schreit. Andere nieder, sich selber frei. Das wissen sie doch, die hier aufspielen. Ihre Art zu leben hat in Batek, der den Laertes im sportiven Tennisweiß spielt, vielleicht den wahren Repräsenta­nten. Der muskulös zur Sache geht: Schlag, mein Herz, schlag zu! Aber wozu diese Toten? Und der am Leben bleibt, ist doch kein Verschonte­r. Am Ende schauen alle, als habe das Tempo des eigenen Spiels sie überrollt. Hamlet a la Heiner Müller: Maschine.

G-Kay als Horatio im Staubmante­l: ein melancholi­scher Techniker jener Vernunft, die durch Zurückhalt­ung durch die Zeiten kommt. Noch einmal ein Chor. Bei Atanassow immer eine frontale Dosis Wahrhaftig­keit. Vortritt einer – für alle: »Ich spiele nicht mehr mit.« Der einsamste Satz, den die Welt erfand, aber alle Lehre bleibt Leere. Denn es ist ein Satz, den man nicht leben, sondern – wie die Komödiante­ntruppe in Goldmasken – nur spielen kann.

Das ist die wahre Tragödie. Ist Kern dieser härtebewus­st schnellen, wie beiläufig sich an Gefühlsfal­len vorbeidrän­genden, also klugen Inszenieru­ng.

Nächste Vorstellun­gen: 30. 11., 3.12., 5.12, 7.12.

Tel. »aufBruch«: 030/44049700

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