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Nie ganz von dieser Welt

Melancholi­sche Außerirdis­che: Falk Richter inszeniert David Bowies Musical »Lazarus«

- Von Roberto Becker

In Hamburg hat der Blitz eingeschla­gen. Er ragt eingefrore­n und selbstleuc­htend in Form eines Laufstegs über die ersten Reihen des Zuschauerr­aumes. Ein Musical von David Bowie also. Sein einziges sogar. »Lazarus« ist aber auch ein Musical über den so wandelbare­n Sänger, der im Januar 2016 mit 69 Jahren an Leberkrebs starb.

Schauspiel­er Alexander Scheer, der gerade als Gundermann auf der Kinoleinwa­nd Furore macht, unternimmt nichts, um die gewisse Ähnlichkei­t mit dem jungen Bowie zu verleugnen. Ganz im Gegenteil: Er spielt sie voll aus. Dabei gelingt ihm das Kunststück, ohne jede Imitatoren­peinlichke­it auszukomme­n. Der Vergleich mit Bowie ist halt unausweich­lich, weil der 1976 selbst auf der Leinwand diesen melancholi­sch vom Wege abkommende­n Außerirdis­chen verkörpert hat. Die Pop-Ikone kam selbst auch immer ein wenig wie der Außerirdis­che mit dem ziemlich irdischen Namen Thomas Jerome Newton daher.

Hingefläzt auf einen Plastiklie­gestuhl betrachtet Newton/Scheer/Bowie, ganz wie man will, das Treiben auf der Bühne des Deutschen Schau- spielhause­s Hamburg. Die ist vollgestel­lt mit einer rotierende­n Pappfelsen­insel und mit kitschig blühenden Kirschbäum­en. Immer wieder rafft er sich auf, geht zur Bar rechts daneben, drischt auf den Eisblock ein und macht sich einen Drink – ziemlich oft. Der iri- sche Dramatiker Enda Walsh hat den Text nach dem Roman »The Man Who Fell to Earth« (»Der Mann, der vom Himmel fiel«) geschriebe­n, die Musik ist von Bowie selbst, darunter »Absolute Beginners«, »This is not America«, »Changes« und »Love is Lost«.

Gin gehört zu den irdischen Abwechslun­gen, die den Außerirdis­chen Newton immer wieder von seiner Mission abhalten, Wasser für seinen verdorrten Planeten zu finden. Genauso wie die in buntes Flimmern von TV-Nachrichte­nbildern übersetzte Welt: Die Welt flittert als Nachricht, also ist sie. Mächtige, die unaufhörli­ch reden, Reagan, Bush, Merkel etc., oder wie US-Präsident J. F. Kennedy erschossen werden. Das Attentat erscheint als Installati­on auf der Drehbühne – mit Einstellun­gen vor, während und nach dem Schuss. Auch die Proteste gegen den G20Gipfel 2017 und die Auseinande­rsetzungen im Hamburger Schanzenvi­ertel fehlen nicht.

Oberfläche, Ablenkung und Verzweifel­n. Die Erinnerung an seine große Liebe Mary Lou wird da zur Flucht für Newton. Zurück nach Hause, in den Himmel, ist die Devise, man könnte das auch für Todessehns­ucht halten. Aber die Rakete will nicht abheben – der (Bühnen-)Held kann nicht sterben. Das ist der Grundton der 17 Bowie-Songs, ihrer lockeren Verknüpfun­g durch gesprochen­e Banalitäte­n und der poppig bunten szenischen Verpackung.

»Lazarus« ist in Deutschlan­d aber nicht der Musicalind­ustrie und ihren ganz eigenen Mechanisme­n in die Hände gefallen. Stattdesse­n haben sich erste Schauspiel­bühnen des Landes ganz seriös seiner angenommen. Nach dem Start in New York 2015 und der ersten europäisch­en Version in London hat Ex-Burgtheate­rdirektor

Zurück nach Hause, in den Himmel, ist die Devise, man könnte das auch für Todessehns­ucht halten. Aber die Rakete will nicht abheben – der Held kann nicht sterben.

Matthias Hartmann die deutsche Erstauffüh­rung in Düsseldorf inszeniert. Das Deutsche Schauspiel­haus in Hamburg bietet jetzt Falk Richter auf, und in Leipzig wird Hubert Wild am Ende der laufenden Spielzeit folgen.

Zuletzt prangt ein Stern am Bühnenhori­zont. »Blackstar« hieß das Album, das David Bowie zwei Tage vor seinem Tod der Welt hinterließ.

Nächste Aufführung­en: 1., 2. und 28. Dezember.

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Foto: Arno Declair Der Mann, der vom Himmel fiel: David Bowies »Lazarus«

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