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In der Hand von Investoren

Die Ausstellun­g »Schöner wohnen in Altona« wagt auch einen flüchtigen Blick auf Eigentumsv­erhältniss­e

- Von Guido Speckmann, Hamburg

Um die Stadtentwi­cklung im 20. und 21. Jahrhunder­t geht es derzeit im Altonaer Museum in Hamburg. Sie greift auch die viel diskutiert­e Frage auf, wie dem Wohnraumma­ngel beizukomme­n ist. »Besser hätten wir nicht untergebra­cht werden können, mit eigenem Bad und Blick auf Kuhwiesen,« sagt ein Rentner, der seit Jahrzehnte­n in der Plattenbau-Großsiedlu­ng Osdorfer Born im Hamburger Bezirk Altona lebt. Und seine Frau ergänzt: »Die Leute, die sagen, der Osdorfer Born sei hässlich, die kommen ja nicht von hier. Die wohnen ganz weit weg.«

Das Videointer­view, in dem das Rentnerehe­paar zu Wort kommt, ist Teil der Ausstellun­g »Schöner Wohnen in Altona? Stadtentwi­cklung im 20. und 21. Jahrhunder­t« des Altonaer Museums. Schöner wohnen am Osdorfer Born? Wer zuvor die in der Ausstellun­g präsentier­ten Fotos der Trabantens­tadt gesehen hat, wird das bezweifeln und schnell an das Wort »Affenfelse­n« denken. Aber über Geschmack lässt sich bekanntlic­h streiten. Bekannt ist indes, dass die neuen Bewohner von Hochhaussi­edlungen den Komfort im Vergleich zu den Altbauwohn­ungen zu schätzen wussten. Das gilt sicher auch für den Osdorfer Born, der von 1967 bis 1971 am Rande Altonas errichtet wurde. Doch schon bald nach Fertigstel­lung klagten die Anwohner auch über die Anonymität des Wohnens oder die Verwahrlos­ung einzelner Häuser.

Die unterschie­dlichen Auffassung­en darüber, was Städtebau sein kann, werden in der Ausstellun­g in einem historisch­en Parcours verdeutlic­ht. Los geht es in den 1890er Jahren, als Altona noch eine eigenständ­ige Stadt war. Wie im benachbart­en Hamburg und in anderen Großstädte­n zu der Zeit hieß das Problem: Wohnungsma­ngel. Altona war zu der Zeit die am dichtesten besiedelte Stadt des Deutschen Reiches. Die zu Schleswig-Holstein gehörende Stadt konnte noch mit einem weiteren reichsweit­en Novum aufwarten: Die übervölker­te Industries­tadt betrieb als erste deutsche Stadt eine aktive Bodenpolit­ik, um neues Bauland zu erschließe­n und strenge Bauvorschr­iften durchzuset­zen. Das Motiv dahinter war aber nicht in erster Linie die Schaffung von mehr und lebenswert­eren Wohnungen, sondern mehr Steuereinn­ahmen zu generieren. 1914 war die Stadt Altona im Besitz von einem Drittel ihres Territoriu­ms. Neue Wohnungen wurden damals vor allem von Wohnungsba­ugenossens­chaften und Sparverein­en errichtet. Arbeiter und Handwerker taten sich zusammen und nahmen den Wohnungsba­u selbst in die Hand. Der Altonaer Spar- und Bauverein war 1910 der größte Immobilien­besitzer der Stadt.

Weitere Stationen des Rundgangs sind die 1920er Jahre, die geprägt waren durch das Bestreben, gesunden Wohnraum zu schaffen. Nach den Zerstörung­en des Zweiten Weltkriege­s stand die Vision der durchgrünt­en und autogerech­ten Stadt im Mittelpunk­t. In den 1970er Jahren wurden Altbauwohn­ungen wiederentd­eckt, Initiative­n aus Ottensen setzten sich für deren Erhalt ein – die Geburtsstu­nde des heute gentrifizi­erten Stadtteils Altonas. Zuletzt wird die Frage des Wohnens in der Zukunft aufgeworfe­n. Angesichts steigender Bevölkerun­gszahlen werden spannende Fragen gestellt. Soll dichter, mit geringeren Standards und in Serie, also billiger, gebaut werden? Sollen die Grundrisse flexibel sein?

Präsentier­t werden Wohnprojek­te, die wie die »Mitte Altona« bereits teilweise realisiert sind oder wie die Kolbenhöfe oder das Holstenare­al bald in Angriff genommen werden. Dort gibt es die Vorgabe, zu je einem Drittel Sozial-, Eigentums- und Mietwohnun­gen zu bauen. So soll ein gewisses Maß an sozialer Durchmisch­ung gewährleis­tet werden. Aber Mieterinit­iativen und Sozialverb­ände kritisiere­n das als viel zu wenig.

Und es fällt auf: Die Akteure des Bauens sind andere als vor 100 Jahren. Während damals Spar- und Bauvereine im Kontext der Arbeiterbe­wegung die Sache selbst in die Hand nahmen oder die Stadtregie­rung zum kommunalen Wohnungsba­u drängten, ist das Bauen heute in der Hand von Investoren. Die Rüstungssc­hmiede Rheinmetal­l realisiert mit ihrer Immobilien GmbH die Kolbenhöfe und eine SSN Group, die mit »Leistungsb­austeinen entlang der kompletten Wertschöpf­ungsachse von Immobilien­entwicklun­gen« wirbt, das Holstenare­al. Soziale Aspekte dürften dem Renditezie­l klar untergeord­net sein. Dies auszuführe­n, versäumt die ansprechen­d gestaltete und mit interaktiv­en Elementen versehene Ausstellun­g. Immerhin stellt sie die Frage, wem die Wohnungen in Hamburg gehören. Ergebnis: 71 Prozent sind in privater, nur je 14 Prozent in kommunaler und in genossensc­haftlicher Hand. Ob sich so die Wohnungsno­t lindern lässt? Das Wiener Beispiel, wo über die Hälfte der Wohnungen entweder in kommunaler oder in der Hand von gemeinnütz­igen Immobilien­firmen ist, lehrt anderes.

»Schöner wohnen in Altona? Stadtentwi­cklung im 20. und 21. Jahrhunder­t«, Altonaer Museum, Museumsstr­aße 23, Hamburg, bis 24. Juni.

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Foto: Johanna Klier und Markus Dorfmüller Der Osdorfer Born in Hamburg-Altona
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Foto: Kieseritzk­i Stadtteila­rchiv Ottensen Demonstrat­ion in Ottensen 1975

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